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Ampelkoalition in der Krise Scholz im Alleingang: Wenn es knallt, ist er wahlkampfbereit

Lindner, Habeck und Scholz sitzen im Bundestag auf der Regierungsbank
Die großen Drei der Ampelkoalition: Viel haben sie sich nicht mehr zu sagen
© Kay Nietfeld/dpa / Picture Alliance
Rückenwind aus der Politik könnte die deutsche Wirtschaft gut gebrauchen. Stattdessen inszeniert Olaf Scholz einen Industriegipfel in eigener Sache – ohne Rücksicht auf die Koalition. Er zeigt: Ich bin bereit, wenn das Bündnis auseinanderbricht 

Beim ersten Mal ist es ein Affront, vielleicht auch ein Warnschuss. Aber gleich im Anschluss nachzulegen und genauso weitermachen zu wollen – das ist eine Strategie. Und eine Kampfansage. 

Die Rede ist vom Bundeskanzler, so oft belächelt und verspottet für seine etwas tapsigen Auftritte, und von seinem Verhältnis zu den wichtigsten Ministern in seiner eigenen Regierungskoalition. Dass Olaf Scholz nach einem ersten Treffen mit den Bossen großer Industriekonzerne und wichtiger Gewerkschafter in dieser Woche – ohne Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck – gleich zwei weitere Treffen in dieser Konstellation ankündigen ließ – ausdrücklich wieder ohne die beiden –, ist zwar noch kein Rausschmiss. Aber viel fehlt dazu nicht mehr. 

Nach dem ersten „Industriegipfel“ im Kanzleramt bleibt wenigstens eine Erkenntnis: Machtinstinkt hat Scholz, und unterschätzen sollte man ihn keinesfalls, mag er sich noch so sehr in der Defensive befinden. Scholz nutzt das Amt, das er noch hat, um sich darin größer zu machen als er ist, größer jedenfalls als jene 16 Prozent, auf die seine SPD in Umfragen derzeit noch kommt, und die ihn gefühlt schon zur „lame duck“ machen, zum Kanzler auf Abruf. 

Scholz im Wahlkampfmodus

Ende September, wenige Tage nach der Brandenburg-Wahl, die der dortige schwer unter Druck stehende SPD-Regierungschef Dietmar Woidke am Ende doch noch knapp vor der AfD für sich entschied, zeichnete sich ein Szenario für den kommenden Wahlkämpfer Olaf Scholz ab: Eine scharfe Polarisierung mit am Ende nur einer Frage – Merz oder Scholz? Alles andere würde egal sein, weitere Parteien und Kandidaten würden keine Rolle spielen. Christian Lindner und seine FDP: Wen interessiert’s? Robert Habeck als Kanzlerkandidat: Bitte schön, jeder blamiert sich selbst so gut er kann … so könne sich Scholz den Wahlkampf 2025 vorstellen, hieß es.

Manchmal entwickeln sich die Dinge schneller als gedacht. Keine sechs Wochen später, elf Monate vor dem nächsten regulären Wahltermin im Bund, legt Scholz bereits los. Ohne Rücksicht auf seine Koalition. Aber wie groß sein Interesse an den Sorgen und Nöten der Unternehmenschefs und ihrer Angestellten wirklich ist, ist mindestens mal offen – sonst würde er sich für seinen „Industriegipfel“ wahrscheinlich um ein Format bemühen, das wirkliche Beschlüsse fassen könnte. Auf der anderen Seite ist ziemlich offensichtlich: Mindestens ebenso wichtig bei den Treffen mit den Bossen ist ihm wohl die Sorge um den eigenen Job. 

Natürlich brachten die Chefrunden in dieser Woche keine Ergebnisse, weder die im Kanzleramt noch die trotzig-bemühte kleinere Version Lindners mit einigen Verbandschefs (die auch Lindner jetzt wiederholen will). Wie sollten sie auch? Für konkrete Ergebnisse und Veränderungen, für Reformen gar, bräuchten Scholz, Lindner und Habeck Mehrheiten, und die haben sie nur gemeinsam – oder eben auch nicht mehr.   

Das ist bitter, denn neue Nachrichten über die wirtschaftlichen Probleme des Landes kommen mittlerweile täglich rein: Die Krise beim größten Autokonzern Europas spitzt sich zu, die jüngsten Geschäftszahlen von VW lasen sich düster, doch brisanter noch ist der Ausblick. Kurz darauf vermeldete das Bundesamt für Statistik für das Sommerquartal zwar überraschend ein leichtes Wachstum um 0,2 Prozent (allerdings im Vergleich zu einem Vorquartal, das mit minus 0,3 Prozent umso kräftiger geschrumpft ist, wie die Statistiker einräumten), und auch hier wirkt der Ausblick bitter: Nach seiner jüngsten Konjunkturumfrage unter 25.000 Mitgliedern erwartet der Unternehmensverband DIHK für 2025 erneut ein Null-Wachstum – es wäre das dritte Jahr in Folge.

An die 1,1 Prozent reales Wachstum im nächsten Jahr, die Wirtschaftsminister Habeck vor Kurzem erst in den Raum stellte, glaubt inzwischen wahrscheinlich nicht mal mehr er selbst. Zumal der Großteil dieses erhofften Zuwachses aus einem Wachstumspaket aus 49 Einzelmaßnahmen kommen soll, von dessen Umsetzung in konkrete Gesetze man seit seiner Vorstellung Anfang Juli nichts mehr gehört hat. 

Übersteht die Ampel die US-Wahl?

Natürlich ist es für Unternehmenschefs, Gewerkschafter und Verbandsvertreter schwer, sich zu verweigern, wenn der Kanzler einlädt. Zumal für solche Manager, die wie etwa VW-Chef Oliver Blume so erkennbar auf die Unterstützung durch die Politik angewiesen sind. Doch auch für sie stellt sich die Frage, wie lange sie noch als Statisten und Schmuckwerk im Berliner Koalitionsdrama von SPD, FDP und Grünen dienen wollen. 

Nicht nur die Wirtschaft stagniert, auch die Politik tritt in diesen Tagen auf der Stelle – es ist ein Schwebezustand, der sich nicht lange durchhalten lässt. Ein erster wichtiger Einschnitt wird der kommende Dienstag sein, der Wahltag in den USA, und mehr noch der Mittwoch, wenn die Ergebnisse aus den einzelnen Bundesstaaten eintrudeln und sich mutmaßlich erst langsam ein Ergebnis abzeichnen wird. Wenn Sie sich am Wochenende auf diese entscheidenden Tage einstimmen wollen, dann empfehle ich Ihnen noch die große Analyse unserer US-Kollegen.   

Es mag zynisch klingen, aber die US-Wahl hat auch eine sehr banale innenpolitische Dimension in Deutschland: Sollte etwa Donald Trump die Wahl gewinnen, wäre das für die Berliner Ampel so etwas wie ein zweiter 24. Februar 2022, der Tag des Einmarsches Russlands in die Ukraine. Es wäre ein erneuter Schock, der die drei Koalitionäre, so zerrüttet ihr Verhältnis auch inzwischen ist, noch einmal zusammenschweißen könnte. Sollte hingegen Kamala Harris gewinnen, würde dieser äußere Druck entfallen – und die Fliehkräfte könnten schnell noch größer werden.

Zwei weitere wichtige Ereignisse stehen eine Woche später an: Am 12. November verhandelt das Bundesverfassungsgericht mal wieder (Erinnerungen an das Haushaltsurteil vor genau einem Jahr werden wach, das die Ampel erst an den Rand des permanenten Kollapses führte): Diesmal geht es um den Fortbestand des Solidaritätszuschlags für Unternehmen und Spitzenverdiener, eine Entscheidung von Olaf Scholz, als der noch Finanzminister war. Sein Nachfolger Lindner hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er diese Entscheidung für falsch hält, passenderweise geklagt haben jetzt FDP-Abgeordnete. Sollte das Gericht zu erkennen geben, dass es den Rest-Soli wahrscheinlich kippen wird (wann das Urteil folgt, ist offen – aber es könnte sehr, sehr teuer werden), wäre dies ein weiterer Treibsatz für das Regierungsbündnis. 

Und dann ist da noch der Haushalt 2025, in dem alle Konflikte dieser Koalition zusammenlaufen. Am 14. November steht eine wichtige Sitzung des Haushaltsausschusses im Bundestag an – sie könnte auch noch mal um ein paar Tage verschoben werden, aber ewig aufschieben lässt sie sich nicht: Das berühmte Wachstumspaket, vermeintliche Steuerentlastungen, die diversen Reformvorhaben bei der Rente, die Kindergrundsicherung, alles, was SPD, FDP und Grüne sich noch vorgenommen haben, steht da auf der Tagesordnung.

Finden die drei hier noch mal eine Lösung (zum Beispiel, weil sie angesichts eines Präsidenten Trump in Washington müssen), dann dürfte die Koalition doch noch länger halten, als vielen der Beteiligten inzwischen selbst lieb sein dürfte. Platzt die Einigung jedoch, dann dürfte der Wahlkampf noch vor Weihnachten starten – womöglich hat er in dieser Woche sogar schon begonnen. Dann wären die Industriegipfel von Olaf Scholz nur für einen ein Gewinn: den Wahlkämpfer Scholz, der sein Amt dazu nutzt, um seine Konkurrenten aus der eigenen Koalition in die Bedeutungslosigkeit zu drücken. 

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