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Rüstungspolitik „Wir rüsten besser so viel, wie uns unser Leben wert ist“

Ein Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 bei einer Übung
Ein Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 bei einer Übung
© dpa / Moritz Frankenberg / Picture Alliance
Aufrüstung ist teuer und unpopulär – daher verfallen einige Politiker auf eine neue Idee: Die Rüstungsmilliarden könnten eine Konjunkturspritze sein. Das ist gut gemeint, aber trotzdem falsch

Rund um die Erhöhung des Verteidigungshaushaltes und vor allem der Rüstungsanteile argumentieren einige Experten und Rüstungsvertreter, dass man mit den erforderlichen Ausgaben ein großes, rüstungsgestütztes Konjunkturprogramm für Deutschland auflegen könnte und sollte. Das klingt verlockend in den Ohren von Politikern: Auf einmal könnte aus dem Steuersäckl eine spezielle Förderung herausspringen und die dafür notwendigen Schulden oder Mehrausgaben sähen viel erträglicher aus! 

Die bislang gehandelten Zahlen von 300 oder sogar über 600 Mrd. Euro sind jedoch Fantasiebeträge. Über diese Luftbuchungen lassen sich natürlich Wohlstandsversprechen in beliebiger Farbe und Größe in den politischen Diskurs einfüttern. Doch diese Zahlen sind nicht rückgebunden an den heute bekannten Bedarf der Bundeswehr und damit an die Chance, dass es Aufträge in dieser Höhe geben könnte. Es gibt auch keine genauere Erläuterung der Befürworter, wie der Bundeshaushalt diese hohen Summen aufbringen könnte, angesichts der Schuldenbremse und dem mangelnden Appetit dieser und auch zukünftiger Regierungen darauf, Steuern zu erhöhen oder Sonderabgaben zu erheben.

Die tatsächlich nachvollziehbaren Summen liegen deutlich niedriger und strecken sich über längere Zeit: Für unsere Studie zu den Finanzbedarfen deutscher Verteidigungsfähigkeit gehen wir von einem Gesamtvolumen von circa 215 Mrd. Euro aus, das in den nächsten zehn Jahren für Rüstung ausgegeben werden soll. Diese Summe entsteht aus den geschätzten Kosten der wesentlichen Rüstungsprojekte. Ein erheblicher Teil davon ist nicht finanziert: Allein bis zum Jahr 2030 fehlen –inflationsbereinigt – ungefähr 103 Mrd. Euro.

Christian Mölling ist seit Anfang September Director bei der Bertelsmann Stiftung und arbeitet im Programm „Europas Zukunft“. Zugleich ist er einer der profiliertesten Experten für Sicherheits- und Rüstungspolitik in Deutschland. 

Torben Schütz ist assoziiertes Mitglied des Forschungsinstituts der DGAP in Berlin und Doktorand an der Helmut Schmidt Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg. Er forscht und arbeitet zu den Schwerpunkten deutscher und europäischer Sicherheitspolitik.

Zudem fließen nicht all diese Milliarden nach Deutschland. Für 65 Milliarden lässt sich überhaupt kein Hersteller bestimmen: Das ist der Wert von allgemeinen Verbrauchsgütern und Kleinteilen im Verteidigungshaushalt, die sich keinem Unternehmen zuordnen lassen, auch wenn davon zumindest ein Teil auch an deutsche Unternehmen fließen dürfte. Auch der Rest, etwa 150 Mrd. Euro, geht nicht komplett an deutsche Unternehmen, weil zum Beispiel Flugzeuge oder Raketen zum Teil importiert werden. Aber immerhin mindestens 80 Prozent dieser Summe, also rund 120 Mrd. Euro, fließen absehbar an deutsche Unternehmen als Hauptauftragnehmer. 

Wieviel davon in internationale Lieferketten fließt, ist wiederum schon deshalb nur schemenhaft schätzbar, weil diese Lieferketten wichtiges Geschäfts– und mittlerweile auch Staatsgeheimnis sind. Zudem schwanken die deutschen Branchen, die von den Investitionen profitieren: zwischen zirka 50 Prozent für Munition und 100 Prozent zum Beispiel für U-Boote.

Rüstungsinvestition hilft Volkswirtschaft nur bedingt

120 Mrd. Euro sind viel Geld. Und natürlich gibt es Regionen, die viel Rüstungsindustrie beherbergen. Diese profitieren von mehr Rüstungsbeschaffung. Doch unterm Strich ist die Idee des Rüstungs-Keynesianismus ein gut gemeinter Versuch, sicherheitspolitisch notwendige Investitionen über Wohlstandseffekte zu vermitteln. Doch er ist zugleich ist wenig plausibel und dürfte zu dem einige unerwünschte Nebeneffekte haben.

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Rüstung ist bekanntermaßen eine vergleichsweise schlechte Investition, wenn es um die Förderung der Volkswirtschaft geht. Hier bringen Investitionen in Bildung oder Infrastruktur viel höhere Effekte. Historische Beispiele für den Beitrag von Rüstungsproduktion zur mehr Wohlstand kommen zudem aus besonderen Phasen: In den 1940er Jahren der USA und den 1930ern in Deutschland fanden sich die Industrien in einer Rezession – es war Produktionspotenzial frei. Die Investitionen heute kommen zu einem anderen Zeitpunkt: Es gibt Kapazitätsengpässe und Probleme in den Lieferketten. 

Mehr Wohlstand durch Aufrüsten?

Die Idee, die Rüstungsinvestitionen deshalb am besten auf den wirtschaftlichen Zyklus anzupassen, wäre fatal: Man würde dringende Ausgaben in die Sicherheit verschieben, weil es gut für die deutsche Wirtschaft wäre. Letztlich würde man nicht kaufen, was militärisch gebraucht wird, sondern was die deutsche Wirtschaft irgendwann in der Zukunft produzieren könnte.

Man würde zudem ein anderes Ziel als Kollateralschaden verunmöglichen: Die derzeit allenthalben geforderten großen Serienproduktionen für Rüstungsgüter in Europa, die über Skaleneffekte für mehr Kosteneffizienz sorgen sollen. Jeder Euro, den die Politik dezidiert für nationale Industrieförderung ausgeben möchte, steht für die europäischen Ambitionen nicht mehr zur Verfügung.

Umstrittener Rheinmetall-Einstieg beim BVB

Rüstung bleibt gesellschaftlich ambivalent, das zeigt nicht zuletzt der Einstieg von Rheinmetall bei Borussia Dortmund: früher undenkbar, heute zwar möglich aber weiterhin Gegenstand von lautem Unwohlsein. In dieser Gemengelage ist das Wohlstandsargument eine Vermeidungsstrategie: Man weicht damit dem mühsamen Erklären aus, dass Rüstungspolitik ein notwendiger Teil deutscher Sicherheitsvorsorge ist. Es wird wieder die Chance vereitelt, größeres Verständnis für Investitionen in Verteidigung zu schaffen.

Gleichzeitig ist es auch ethisch fragwürdig, Wohlstandseffekte als primäre Begründung für Rüstungsinvestitionen zu nutzen. Es ist völlig in Ordnung und auch Grundbedingung in einer privatwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, dass Unternehmen ihren Gewinn mit den notwendigen Investitionen in Sicherheit erwirtschaften. Verteidigungsfähigkeit kann aber kein Geschäftsmodell einer ganzen Gesellschaft sein. 

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Auch wenn kein Cent der Milliarden in der deutschen Industrie hängen bliebe, dürften wir nicht aufhören zu investieren. Weil sonst sowohl unsere Existenz als eine Grundlage unseres Wohlstands entfallen könnte, wie auch die Produktionskapazitäten unserer Industrien und damit ein wesentlicher Teil des Wohlstands dieses Landes. Wir rüsten besser so viel, wie uns unser Leben wert ist.

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