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Corona-Impfstoff „Produktionsstätten neu aufzubauen, ist eine ziemliche Herausforderung“

Bei den Corona-Impfstoffen wird dringend Nachschub erwartet
Bei den Corona-Impfstoffen wird dringend Nachschub erwartet
© IMAGO / ZUMA Wire
Nach dem holpgrigen Impf-Start soll die Produktion schnellstmöglich hochgefahren werden. Mit welchen Herausforderungen das Vorhaben verbunden ist und wie es um die eigene Impfstoffentwicklung steht, erklärt Andreas Neubert von IDT Biologika im Interview

Andreas Neubert ist Chief Scientific Officer des Biopharmakonzerns IDT Biologika. Das Unternehmen aus Dessau-Roßlau unterstützt biopharmazeutische Firmen bei der Herstellung und Entwicklung von Impfstoffen und Arzneimitteln. Mit dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) und der Ludwig-Maximilian-Universität München arbeitet IDT auch an der Entwicklung eines eigenen Corona-Impfstoffs.

Nach dem Impfgipfel hält Bundeskanzlerin Merkel an einem Impfangebot für alle bis zum Ende des Sommers fest. Wie realistisch ist das angesichts der Produktionsrealität?

ANDREAS NEUBERT: Das ist schwierig einzuschätzen und hängt davon ab, was bei den Herstellern geplant ist und was erfolgreich sein wird. Eine positive Entwicklung ist auf jeden Fall, dass die Hersteller der zugelassenen Impfstoffe ihre Produktion schon seit geraumer Zeit hochfahren, die Abläufe und damit verbundene Herausforderungen immer besser beherrschen und so auch in der Lage sind, größere Mengen zu fertigen. Auch wenn diese Mengen angesichts der enormen Nachfrage vielleicht nicht ganz ausreichen. Neben Deutschland und der EU haben ja noch viele andere Länder dringenden Bedarf. Was dagegen schwierig einzuschätzen ist, ist die Versorgung mit notwendigen Ausgangsstoffen für die Impfstoffe. Wir haben es zwischenzeitlich selbst erlebt, dass es zum Beispiel nicht so einfach ist, kurzfristig große Mengen an Injektionsflaschen für die Abfüllung, Filtersysteme oder andere Verbrauchsmaterialien zu bekommen. Allerdings haben die Hersteller auch dort reagiert und ihre Produktion gesteigert. Dass einige große Hersteller wie Bayer und GSK sich bereit erklärt haben, kleinere Impfstoffentwickler zu unterstützen, ist auch ein gutes Signal für mehr Kapazitäten in der Entwicklung, der Produktion und für den Vertrieb.

Was macht die Impfstoffherstellung so komplex?

Die Impfstoffherstellung beginnt immer mit einem biotechnologischen Verfahren. Diese können sehr komplex sein. Bei einem mRNA-Impfstoff ist es noch relativ überschaubar, weil es auf einem bakteriellen System beruht. Das heißt in den Bakterien werden Plasmide als DNA produziert, diese DNA wird dann als Muster zur Synthese des Wirkstoffes, der Boten-RNA, genutzt. Bei Vektor-Impfstoffen ist das komplexer, hier wird der Virusvektor genetisch konstruiert und als Saatmaterial für die Infektion von Zelllinien verwendet. Die Zellen produzieren als einzelne Minifabriken die Impfviren. Diese Zellen sind lebende Organismen mit einem eigenen Stoffwechsel und eigenen Enzymsystemen. Zellen reagieren auf die Kultivationsbedingungen und können die Herstellung der Impfviren abbrechen, wenn die Konditionen nicht optimal sind. Die Folge ist eine sinkende Ausbeute und gegebenenfalls ein nicht qualitätsgerechter Wirkstoff. Diese Bedingungen können sich durch eine schwankende Qualität der Ausgangsstoffe, durch geänderte Scherkräfte bei Rührprozessen oder andere Umgebungstemperaturen in vergrößerten Fermenteranlagen ergeben. All diese Fragen sind lösbar, erfordern aber experimentelle Daten. In einem normalen Entwicklungsprozess dauert es Jahre, bis dieser Punkt erreicht ist. Dann kann man damit sehr stabil große Mengen produzieren. Aber die Dringlichkeit der aktuellen Entwicklung erschwert das.

Als eine Lösung für größere Herstellungskapazitäten wird immer wieder der Aufbau neuer Produktionsstätten genannt. Wie schnell lässt sich das umsetzen?

Produktionsstätten neu aufzubauen ist eine ziemliche Herausforderung. Wenn man Glück hat, wie Biontech in Marburg, dann gibt es Produktionsstätten, die bisher für andere Zwecke genutzt wurden und die jetzt umgestellt werden können. Wenn man das Glück nicht hat und Produktionsstätten neu aufbauen will, muss erstmal das Gebäude entstehen, dann die Ausstattung mit der entsprechenden Technik erfolgen und dann wird es spannend, wenn die Technologie überführt wird und zu testen ist, ob die Produktion wie geplant funktioniert. Danach kann die Produktion beginnen, wobei man immer erst mal an mehreren Chargen zeigen muss, dass alles funktioniert. Das dauert in der Regel drei bis vier Jahre. Derzeit werden auch neue Produktionsstätten nach diesem System zumindest in Schallgeschwindigkeit aufgebaut. Das ist sinnvoll, wird aber nicht kurzfristig zusätzliche Impfstoffe bereitstellen.

Aktuell prüft der Bund, wie die Produktionskapazitäten bei IDT Biologika für Corona-Impfstoffe genutzt werden können. Wie schnell wäre es möglich, Ihre Kapazitäten entsprechend zu nutzen?

Die IDT ist ein Unternehmen, was Lohn- und Auftragsfertigung anbietet. Insofern ist das unser tägliches Geschäft seit Jahrzehnten, für sicher über hundert Kunden und ebenso viele Produkte. Das hat natürlich zur Folge, dass unsere Kapazitäten mit Produkten belegt sind, die schon am Markt sind. Wir hatten schon seit Mai 2020 Anfragen für Covid-19-Impfstoffe. Einzelne Projekte haben wir umgesetzt, andere waren noch vage, weil niemand genau wusste, ob sein Impfstoff am Ende auch wirklich zugelassen werden kann. Es ist auch keine gute Idee, jetzt die Produktion für lebensnotwendige Medikamente und Impfstoffe auszusetzen und stattdessen Covid-19-Impfstoffe zu produzieren. Da würde es Engpässe an anderen Stellen geben. Das ist also immer eine Balance, die man einhalten muss.

Und wenn man langfristig die Kapazitäten ausweitet?

Wir haben im letzten Jahr – und das haben wir auch mit dem Bundesgesundheitsministerium besprochen – ein Konzept mit der Möglichkeit entwickelt, langfristig eine Produktionskapazität für pandemische Impfstoffe aufzubauen. Also, Produktionshallen die man nutzt, sobald die Notwendigkeit besteht. Wir können in diesen Hallen zwischenzeitlich auch andere Produkte herstellen. Denn es gibt in der biomedizinischen Forschung so viele neue Produkte, dass man gar nicht die Angst haben muss, dass man diese Kapazitäten nicht füllen kann. Aber Kapazitäten für pandemische Impfstoffe vorzuhalten, ist keine einfache Entscheidung – welche Technologie ist gefragt, wie sieht so eine Produktionslinie dann aus, welche Abfülltechnologie wird gebraucht? Das sind komplexe Fragestellungen. Trotzdem ist mittlerweile die Erkenntnis gereift, dass man für solche komplexen Arzneimittel Kapazitäten braucht, die man vorhalten muss und die man im Notfall schnell nutzen kann.

Der „Sputnik V“-Entwickler prüft ebenfalls, inwiefern IDT Biologika als möglicher Produzent infrage kommt. Was macht Ihr Unternehmen für eine solche Kooperation attraktiv?

Die IDT hat sich seit über 20 Jahren sehr intensiv mit viralen Impfstoffen auseinandergesetzt und wir haben eine ganze Reihe von Impfstoffen entwickelt. Wir haben spezielle Technologien und Prüfverfahren entwickelt, die es ermöglichen virale Impfstoffe zu fertigen. Wir sind keine mRNA Experten – heute kann man sagen „eigentlich schade“ – aber unser Fokus liegt weiterhin auf viralen Vektor-Impfstoffen. Da haben wir die Bedingungen und die Expertise im Hause. Das ist für jeden Partner, der solche Produkte herstellen will, sehr wertvoll. Es ist immer essentiell, die Herausforderungen zu kennen und das Richtige zu tun, vor allem, wenn die Zeit knapp ist.

Auch IDT Biologika und das DZIF arbeiten an einem Vektor-Impfstoff. Wo steht die Entwicklung aktuell?

Der Impfvektor ist eine Entwicklung der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Gerd Sutter der Ludwig-Maximilian-Universität. Er basiert auf einem sehr sicheren Pockenvirus-Vektor, dem MVA-Impfvirus. Mit unserer langjährigen Erfahrung über diese Impfstoffe entwickeln wir gemeinsam mit wissenschaftlichen und klinischen Zentren des DZIF einen Covid-19-Impfstoff. Gerade mit dem MVA-Vektor haben wir über 20 Jahre Erfahrung. Natürlich ist jeder Impfstoff anders und der Impfstoffkandidat, den wir bisher erprobt hatten, war von den Eigenschaften her sehr gut. Er hat im Tiermodell gezeigt, dass das Coronavirus-Spike-Protein exprimiert wird und dass eine gute Immunantwort im Mausmodell indiziert wird. Am Schluss ist aber entscheidend, wie der Impfstoff bei Probanden funktioniert. Dort hat sich gezeigt, dass Sars-2-Coronavirus neutralisierende Antikörper nicht in der Größenordnung gebildet werden, wie wir erwartet hätten. Wir sind daraufhin in die Ursachenforschung gegangen und haben den Vektor verbessert. Jetzt ist unser Ziel, wieder zu starten und wir erwarten, dass wir mit einem veränderten Spike-Protein eine wesentlich bessere Wirksamkeit bekommen. Zumindest sehen wir diese deutlichen Signale schon in unseren Versuchsmodellen. Wir sind also positiv gestimmt, dass das ein sehr wirksamer Impfstoff werden kann.

Warum setzen Sie die eigene Entwicklung fort, anstatt sich auf die Produktion anderer Impfstoffe zu konzentrieren?

Wir werden beides machen. Für die Produktion anderer Impfstoffe brauchen wir andere Technologien im Vergleich zu unserem eigenen Impfstoff. Das kommt sich also nicht ins Gehege. Die Entwicklung wollen wir weiter vorantreiben, weil die Impfstoffe, die bereits zugelassen sind, ein spezifisches Muster in ihrer Wirksamkeit haben. Die ist sehr gut, diese Impfstoffe haben aber auch Nebenwirkungen für bestimmte Personen und Altersgruppen. Unser Impfstoff hat den Vorteil, dass er sehr sicher ist und die Nebenwirkungen gering sind. Wir glauben deshalb, dass wir besonders für Personengruppen, die stärker auf eine Impfung reagieren könnten, eine gute Alternative bieten und damit auch Personen immunisieren können, die mit den anderen Impfstoffen sonst nicht immunisierbar wären. Die zweite wichtige Indikation ist die Auffrischungsimpfung.

Inwiefern?

Die meisten viralen Vektoren funktionieren dann gut, wenn gegen die eigentliche Vektorplattform keine vorhergehende Immunität existiert. Dann wird der Impfstoff die körpereigenen Immunmechanismen sehr gut ankurbeln und die Bildung von Gedächtniszellen anregen – dann werden entsprechende Antikörper und Immunzellen produziert. Viele Vektorimpfstoffe werden nach einer ersten Immunisierung durch spezifische Immunmechanismen gegen den Vektor gebremst. Bei MVA ist das nicht so. Diese Eigenschaft würden wir gern ausspielen. Das heißt unser Impfstoff kann für die Zukunft durchaus für die Auffrischung von bestehenden Impfungen sehr nützlich sein. Insofern ist es vielleicht gar nicht so schlimm, dass unser Impfstoff später fertig wird.

„Sputnik V“ und Astrazeneca haben im Zuge ihrer Kooperation bereits überlegt, die Impfungen zu kombinieren. Wäre das auch mit Ihrem Impfstoff denkbar?

Wir arbeiten da mit verschiedenen Partnern zusammen, weil wir das heterologe Prime-Boost-System – also die erste Immunisierung mit einem und die zweite Immunisierung mit einem anderen Impfstoff – testen. Wir werden auch in der klinischen Entwicklung prüfen, ob das funktioniert. Wir werden nicht alle Kombinationen untersuchen können. Die Kombination mit mRNA-Wirkstoffe und mit adenoviralen Vektoren ist auf jeden Fall sehr interessant. Es gibt auch schon einen zugelassenen Impfstoff gegen Ebola, bei dem sich eine ähnliche Kombination bewährt hat.

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