Impfstoffe Impfstoffproduktion in Afrika: „Biontech bleibt auf dem Fahrersitz“

Ein aus mehreren Containern zusammengesetzter „Biontainer“ steht in einer Produktionshalle von Biontech in Marburg. Die Container in Modul-Bauweise sollen in Zukunft in Afrika eingesetzt werden, um dort vor Ort mRNA-Impfstoffe zu produzieren
Ein aus mehreren Containern zusammengesetzter „Biontainer“ steht in einer Produktionshalle von Biontech in Marburg. Die Container in Modul-Bauweise sollen in Zukunft in Afrika eingesetzt werden, um dort vor Ort mRNA-Impfstoffe zu produzieren
© picture alliance/dpa | Boris Roessler
Mit „Biontainern“ will Biontech die Impfstoffproduktion in Afrika ankurbeln. Der Wissenschaftler Remco van de Pas hält nichts von den Plänen: Das Verhältnis zwischen dem geistigen Eigentümer der Technologie und den afrikanischen Partnern ändere sich nicht
  

Das deutsche Biotechunternehmen Biontech will in Afrika in Spezialcontainern Impfstoffe herstellen. Die Vorstellung der Prototypen in Anwesenheit von drei afrikanischen Präsidenten und WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus folgt einer Vereinbarung mit Ruanda und Senegal vom vergangenen Oktober. Ziel ist es, durch Vakzine „made in Africa“ die Unterversorgung des Kontinents im Kampf gegen das Covid-19-Virus zu verbessern. Aber ist diese Form der Kooperation des Privatsektors mit Staaten der richtige Weg? Nein, meint Remco van de Pas, Experte für internationale Gesundheitspolitik. Er ist Forscher am Institut für Tropenmedizin in Antwerpen und am Institut Clingendael in Den Haag.

CAPITAL: Aufgrund des Impfstoffmangels sind erst elf Prozent der afrikanischen Bevölkerung doppelt gegen Covid-19 geimpft. Was können mobile Fabrikcontainer zu internationaler Impfstoffgerechtigkeit beitragen?

Remco van de Pas
Remco van de Pas
© Privat

VAN DE PAS: Wir sehen eigentlich eine Wiederholung der Ankündigungen vom vergangenen Jahr, als es eine Grundsatzverständigung darüber gab, Impfstoffe auf dem afrikanischen Kontinent herzustellen. Es wird erneut so inszeniert, als ob hier ein privater Konzern in Zusammenarbeit mit Staaten und unterstützt mit 1 Mrd. Euro von der Europäischen Union einen solidarischen Beitrag zu einem öffentlichen globalen Gut leistet, also zu einer gerechteren Verteilung von Impfstoffen. Selbst wenn man schlüsselfertige Produktionseinheiten in Afrika aufstellt, verändert das im Kern nichts an dem Verhältnis zwischen dem geistigen Eigentümer der Technologie und den afrikanischen Partnern: Die Kontrolle über die Früchte der Investitionen bleibt in Deutschland.

Sie meinen, es ändert nichts an dem Streit über eine Öffnung der Patente?

Nein, jenseits von diesem eher ideologischen geführten Streit, geht es doch darum, dass solche Impfstoffe in einer Pandemie ein allgemein zugängliches öffentliches Gut sein sollten. Und das wirft die Frage der „Governance“ auf, also wie die Weltgemeinschaft das steuern will: durch ein zeitweiliges Aussetzen des Patentschutzes? Oder durch Alternativen wie die Vergabe von Produktionslizenzen? Oder durch andere Arten des offeneren Zugangs zu dem Wissen. Die übergeordnete Frage lautet, verlassen wir diese Covid-19-Krise mit einem sinnvollen Modell für die gleichberechtigte Verfügbarkeit von Impfstoffen als öffentliche Güter, oder nicht? Und sind wir damit besser für die gesundheitliche Sicherheit in der nächsten Krise gerüstet?

Der Präsident von Ghana sprach dennoch von einer neuen Dynamik auf dem Weg zur Selbstversorgung. Mit drei eigenen Produktionsstätten in Ghana, Ruanda und Senegal hänge der Kontinent nicht mehr ab von der Gnade von Impfstoffnationalisten und Faktoren der Geopolitik …

Mir scheint die präsentierte Container-Lösung als eine sehr technokratische Herangehensweise. Außerdem wollen Biontech und Europa wohl öffentlichkeitswirksam guten Willen an den Tag legen. Im internationalen Gesundheitswesen gab es schon viele Beispiele solcher Gründungen und Versprechen, die dann leider im Sande verliefen. Wenn in einigen Jahren eine wichtige Komponente in der Lieferkette für die „Biontainer“ fehlt, verschwindet so eine Einheit möglicherweise schnell irgendwo auf einem Parkplatz. Ich denke da z.B. an Motorräder, die in der Ebola-Krise in Westafrika zur Verteilung von Impfstoffen angeschafft wurden. Nur wurde in der Kostenkalkulation der Treibstoff vergessen, und die Transportmittel blieben in der Garage.

Biontech-CEO Ugur Sahin hat allerdings die Frage der „Ownership“, also der kompletten Übergabe der Herstellung in afrikanische Hände am Ende eines vollständigen Wissenstransfers im Prinzip mit ja beantwortet.

Die Governance über die Herstellung und Verteilung von Impfstoffen und Medizintechnik im Allgemeinen wird damit nicht gerechter. Biontech bleibt auf dem Fahrersitz. Idealerweise wird das Unternehmen irgendwann freiwillig einer Lizenzproduktion zustimmen, wie für Generika üblich, aber unter welchen Bedingungen für die Preissetzung oder die Gewinnbeteiligung, das ist offen. Wirtschaftlich ist es völlig nachvollziehbar, die mRNA-Formel nicht preisgeben zu wollen, zumal der Innovation großes Zukunftspotenzial auch gegen Erkrankungen wie Krebs, Tuberkulose, HIV oder Malaria zugebilligt wird. Das ist ein goldenes Ei. Aber die Pharmaindustrie schafft wirtschaftliche Knappheit, eine Monopolstellung, und entscheidet – anstelle von Regierungen – über die Mechanismen der weltweiten Verfügbarkeit.

Öffentlichkeitswirksame Inszenierung: Vorstellung eines Biontainers bei Biontech mit hochrangigen Gästen
Die Führung von Biontech und Staatschefs aus Ruanda, Senegal und Ghana präsentieren den nächsten Schritt für die Impfstoffproduktion in Afrika.
© Biontech

Sie kritisieren also auch die Haltung der Regierungen? Sie treffen ja aktuell zum EU-Gipfel auch mit Afrika zusammen.

Die Kernfrage ist doch, sollte der Zugang zu solchen Wirkstoffen reguliert und offen sein? Einige europäische Regierungen haben sich für freiwilligen Technologietransfer der Pharmaindustrie und die Wahrung von Patenten entschieden. Ich fürchte das wird in der Folge in den internationalen Beziehungen das langfristige Vertrauen zu ihnen untergraben, wenn es wieder um die Frage geht, ob sie sich mit Partnern wie Afrika auf gleiche Augenhöhe begeben. An der Oberfläche gibt man sich kooperativ und geht kurzfristige Vereinbarungen ein, aber darunter bleiben Narben.

Laut Entwürfen des Kommuniqués vom EU-Afrika-Gipfels will die afrikanische Seite die Initiative zur Aussetzung des Patentschutzes auf Covid19-Impfstoffe bei der Welthandelsorganisation (WTO) erwähnen. Wird das kommen?

Ich glaube nicht, dass ein Bezug auf den Antrag für einen so genannten TRIPS Waiver, den Südafrika und Indien eingebracht haben, in die Abschlusserklärung Eingang finden wird – auch wenn über 100 Staaten und auch die Afrikanische Union ihn unterstützen. Es gab danach eine Erwartung, die Handelsbedingungen würden sich in dem Sinne verbessern lassen. Aber dazu wird es nicht kommen. Für die EU ist das eine rote Linie, die sie nicht überschreitet. Es dürfte auch kein Zufall sein, dass Südafrika nicht bei der Biontech-Präsentation vertreten war, obwohl es ein prominenter Partner beim Wissenstransfer für Impfstoffe ist, mit dem auch z.B. Frankreich zusammenarbeitet.

Weil Südafrika inzwischen eigene Wege geht?

In Südafrika ist inzwischen das so genannte Tech-Transfer-Hub der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Covid-19 angesiedelt – ein Pool, in den die Pharmaindustrie eingeladen ist, ihre Patente zu teilen und Impfstoffformeln zur Verfügung zu stellen. Das hatten die mRNA-Marktführer Moderna und Biontech/Pfizer zuvor schon abgelehnt. In dem Afrigen Biologics-Institut in Südafrika haben allerdings jüngst Forscher unter diesem WHO-Schirm herausgefunden, wie sie das Serum von Moderna kopieren könnten – und wollen nun eine eigene Version entwickeln. Belgien und Frankreich unterstützen das. Eine Biontech nahestehende Stiftung hat laut Informationen des British Medical Journals (BMJ) – die in Fachkeisen für einiges Aufsehen sorgte – diesen Erfolg diskreditiert. 

Nun haben Moderna und anschließend auch Biontech rechtliche Schritte dagegen abgelehnt. Auch der WHO-Chef betonte, die Container-Lösung sei eine willkommene Ergänzung zu dem mRNA-Technologie-Hub. Es wird also Harmonie zur Schau gestellt…

Jeder ist bemüht, einzelne Initiativen für eine bessere Versorgung von Afrika mit Impfstoff als Teil eines größeren Ganzen darzustellen. Auch für den WHO-Chef und die Präsidenten von Ruanda, Ghana und Senegal steht politisches Kapital auf dem Spiel. Sie wollen eine Vorreiterrolle einnehmen und dafür Zustimmung ernten. Aber ich bleibe dabei: Der Technologietransfer, wie er in der Container-Lösung geplant ist, ist schmalspurig und leistet aus entwicklungspolitischer Perspektive auch nicht wirklich einen Beitrag zum Ziel einer universellen Gesundheitsversorgung. Aus dem Technologie-Hub unter dem Dach der WHO in Südafrika könnte hingegen ein öffentliches Produkt hervorgehen.

Sind der angestrebte Produktionsbeginn 2023 für etwa 50 Millionen Impfdosen gegen Covid-19 also ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Ein solcher Ansatz im Mantel der Wohltätigkeit stellt ein falsches Versprechen dar und vermittelt falsche Hoffnungen. Wir erleben die Neuauflage einer öffentlich-privaten Partnerschaft (PPP). Aber systemisch ändert sich nichts zugunsten der globalen öffentlichen Gesundheit. Außerdem wird in der Debatte der Fokus zu eng auf die Impfung gelegt. In wenigen Monaten ist Covid-19 womöglich nicht mehr relevant. Aber die Aufnahmefähigkeit afrikanischer Länder für Impfkampagnen jeglicher Art, die auch ein Teil der niedrigen Impfrate ist, bleibt begrenzt. Das ist zu einen eine Frage der öffentlichen Gesundheitsinfrastruktur.  Zum anderen gibt es in Afrika aber auch den Reflex, dass viele andere Krankheiten eine dringendere Aufmerksamkeit verdienten.

Hätte den die Öffnung von Patenten für die neuartigen Impfstoffe den großen Unterschied gemacht?

Nicht unmittelbar für eine größere Selbstversorgung von Afrika. Aber es wäre in politisches Signal gewesen. Die wichtigsten Herstellerländer von Generika, wie Indien, China, Kuba oder Brasilien hätten sich auf eine viel umfassendere Herstellung vorbereiten können. Dies wiederum reiht sich ein in die breitere Vorbereitung auf Lösungen für die nächsten Pandemien.

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