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Gastkommentar Out of Office - und zwar wirklich

Früher war es cool, auch im Urlaub ständig erreichbar zu sein. Diese Zeiten sind definitiv vorbei. Von Lucy Kellaway
Out of Office: Urlaub ohne E-Mails
Out of Office: Urlaub ohne E-Mails
© Getty Images

Lucy Kellaway ist Kolumnistin bei der Financial Times. Seit 15 Jahren schreibt sie über Managementthemen und den Büroalltag (Foto: © Picture Press)

Als Studentin bin ich einmal einen Sommer lang mit Freunden quer durch Europa gereist. Einer der Freunde schlug vor, dass wir mal im Haus seiner Eltern in Südfrankreich vorbeischauen.

Zwei Dinge sind mir von diesem Besuch in Erinnerung geblieben. Wie ich fast im Boden versunken wäre, als uns ein Butler begrüßte und dann würdevoll mein schäbiges Gepäck - etwas Zeugs in einer Plastiktüte - zu der Mehrzimmersuite trug, die mir zugewiesen worden war. Noch besser erinnere ich mich aber an das Bild des Vaters - der sich als ein berühmter Tycoon erwies -, in enger Badehose, eine Zigarre zwischen den Zähnen, einen Gin Tonic in der Hand.

Man schrieb das Jahr 1979, und so sah damals Macht aus. Der Mann war zu wichtig, um keinen Kontakt zu seinen laufenden Deals zu haben. Also hatte er neben dem Swimmingpool ein Telefon installieren lassen und verbrachte seine Sommer damit, von einer Liege am Wasser aus Anweisungen zu erteilen.

Ein Vierteljahrhundert später machte es die Technik möglich, dass wir alle so tun konnten als seien wir Tycoons. Wir hatten vielleicht keinen Butler und kein Haus mit Pool, aber jeder konnte neben dem Handtuch auch noch einen Blackberry mit an den Strand nehmen. Und weil wir das konnten, haben wir es gemacht. Bloß, dass wir keine Deals geschmiedet haben, sondern auf triviale Anfragen reagierten, die auch noch zwei Wochen hätten warten können. Oder für immer.

In diesem Jahr beschloss ich, etwas Radikales zu tun, das ich fast ein Jahrzehnt lang nicht gemacht hatte. Ich nahm einen richtigen Urlaub. Ich koppelte mich komplett von der Arbeit ab. Ich öffnete keine Nachrichten aus dem Büro. Ich verbrachte die Zeit mit Lesen, spazieren gehen, Meer anschauen — manchmal bekam ich richtig Spaß daran - und in der ganzen Zeit habe ich eigentlich über nichts wirklich nachgedacht. Als ich zurückkam und mich wieder mit dem Mailsystem vertraut machte, war die Sache völlig simpel. Ich habe fast alle Mails ungelesen gelöscht und nur auf die Dinge geantwortet, die interessant aussahen. Ich fühlte mich überhaupt nicht überwältigt, sondern verspürte im Gegenteil auf einmal eine gewisse Aufregung dabei, abrupt wieder in die Arbeit einzutauchen. Es war so dieses Neue-Schuhe- und Gespitzter-Bleistift-Gefühl, das man früher zu Beginn eines neuen Schuljahrs hatte.

Prahlen mit dem Nichtstun

In den vergangenen Tagen ist mir klar geworden, dass meine radikale Aktion überhaupt nicht radikal war. Ich habe nur die neueste Mode mitgemacht.

Ich habe eine Mail an einen Unternehmer geschickt, den ich kenne, und innerhalb von Sekunden kam die automatische Antwort zurück: “Ich bin bis zum 30. August im Urlaub und werde keine Mails lesen.” Das war insofern besonders bemerkenswert, als er mir bei unserer letzten Begegnung— ungefähr vor fünf Jahren— erzählt hatte, dass er von allen seinen Mitarbeiter erwarte, dass sie sofort auf Nachrichten reagieren. Ganz egal wo sie sind und was sie gerade tun.

Also schrieb ich ihn nochmal an und fragte, was ihn zu diesem Gesinnungswandel gebracht habe. Aber alles was zurückkam war dieselbe automatische Nachricht, die mir sagte, dass er nichts von allem lese, was auch immer ich ihm zuschicke.

Am nächsten Tag bekam ich einen Mail von einer Frau, die ich vor meiner Abreise kontaktiert hatte. Sie begann so: “Sorry für meine Funkstille — ich hatte einen wunderbaren zweiwöchigen Urlaub und arbeite jetzt gerade erst meinen Posteingang auf.” Es war dieselbe Sache: eine hochmotivierte Thirty-Something-Unternehmerin, die mich nicht wissen lassen will, wir hart sie im Urlaub gearbeitet hat, sondern wie sie rumgegammelt und wie sehr sie das genossen hat.

Um zu überprüfen, wie verbreitet dieses neue Verhalten ist, habe ich ein kleines Experiment gemacht. Ich habe alle Out-of-Office-Mails gesammelt, die ich in diesem Sommer bekommen habe. Und ich habe ausgezählt, auf wie viele davon gleich eine Mail vom Strand folgte. Vor drei Jahren war es sehr ungewöhnlich, wenn nach der Abwesenheitsnotiz nicht gleich eine reale Nachricht kam. In diesem Jahr habe ich insgesamt 38 Abwesenheitsnotizen erhalten, aber nur in sechs Fällen folgte gleich darauf eine persönliche Antwort vom Rand des Pools.

Prahlen, dass man im Urlaub nicht arbeitet, scheint ein Teil eines neuen, größeren Trends zu sein. Der angesagte Executive erzählt nicht davon, wie viel er arbeitet, sondern wie wenig. E-Mails vom Pool zu verschicken ist kein Beweis von Macht. Es wird inzwischen als das erkannt, was es ist: Ein Zeichen von Schwäche, schlechtem Zeitmanagement und einer Unfähigkeit zu delegieren. Wenn man sich zwei Wochen komplett ausklinken kann, dann zeigt das, dass man jegliche Gadget-Sucht überwunden hat und so wie ein Tycoon unserer Tage selbst darüber bestimmen kann, wann man arbeitet - und wann nicht.

Copyright The Financial Times Limited 2016

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