Anzeige
Anzeige

Kommentar Ich liebe mein Büro - trotz der Mäuse

Neue Büros sind hip und stylisch. Eine Mischung aus Kindergarten und Showroom. Schön! Aber was soll das?
Die Büros werden immer hipper. Aber auch effektiver?
Die Büros werden immer hipper. Aber auch effektiver?
© Getty Images

Lucy Kellaway ist Kolumnistin bei der Financial Times. Seit 15 Jahren schreibt sie über Managementthemen und den Büroalltag 

Mein Büro liegt in einem schlichten, gewöhnlichen Gebäude am Rande der Londoner City. Funktionale Schreibtische stehen in Reih und Glied, der Teppich ist besprenkelt mit Kaffeeflecken und hin und wieder saust auch mal eine Maus durch den Raum.

Für mich ist es dennoch ein beinahe perfektes Büro. Aus vier Gründen: Da sind zum einen die Kollegen, mit denen ich interessante Gespräche führen kann. Ich habe einen eigenen Schreibtisch, den ich so hinterlassen kann, wie ich will. Zugemüllt oder porentief rein. Ich kann mein Büro mit dem Fahrrad erreichen. Und vor allem ist da dieser Mann am Empfang, der mich jedes Mal, wenn ich das Gebäude betrete mit „Hallo Lucy“ begrüßt.

In einer perfekten Welt wären zwei weitere Dinge ganz nett: Ein bisschen mehr Tageslicht. Und einen Blick, der nicht an einem hässlichen Rotklinkerbau endet. Aber ich will nicht meckern. Man kann nicht alles haben.

Ein Tempel für die Kreativität

Oder kann ich doch? In den vergangenen Monaten habe ich eine Reihe an brandneuen Büros besucht. Die Chefs waren so begeistert von ihren Räumen, dass sie es mir erlaubten, mich dort in aller Ruhe umzuschauen.

Das erste, was ich feststellte war, dass durchgestylte Lofts in alten Fabriken mit weiß gekalkten, verwinkelten Wänden und niedrigen Decken, an denen man sich den Kopf stoßen kann, anscheinend ausgedient haben. Ebenso wie die Komplexe mit den riesigen Eingangshallen, in denen Wasserfälle plätschern, und Empfangsschalter aus Marmor entweder Furcht oder Neid hervorrufen. Das moderne Büro ist ein heller Raum, ohne erkennbare Hierarchien, ein Tempel des Spaßes und der Kreativität.

Dabei spielt es keine Rolle, wie unkreativ die Branche ist. Sei es eine reine Buchhaltungsfirma oder die Zentrale eines Seifenproduzenten. Die Betonung liegt immer auf einer gewissen Verspieltheit, die an irgendwas zwischen Kindergarten und modernem Möbelhaus-Showroom erinnert.

Unterlage mit Grimasse

In allen Büros, die ich besuchte, waren Leuchtstoffröhren out, funky Lampenschirme dafür in. Überall sind die Wände in Primärfarben gestrichen. Bei der CBI, der Confederation of British Industry, der wahrscheinlich sprödesten Organisation in Großbritannien, hatte jeder Mitarbeiter eine Schreibtischunterlage unter seiner Tastatur, die ihn zeigte, wie er eine Grimasse zieht.

Alles ist darauf ausgelegt, die Mitarbeiter zu animieren, sich zu treffen und auszutauschen: Überall gibt es bequeme Sitzgruppen, inklusive Schälchen mit Naschzeug. Die Sofas sind komfortabel, es gibt kleine private Ecken, in die man sich zurückziehen kann, um zu telefonieren, gesundes Essen, Sportangebote und sogar Meditationsräume.

Coole Möbel, mehr Produktivität?

Sieht so die neue Arbeitswelt aus? Obwohl ich die infantilen Primärfarben und die Anordnung zum Spaßhaben verabscheue, kann ich nicht verhehlen, dass diese neuen Büros netter aussehen als meines. Allerdings bin ich mir nicht sicher, wie sich die Gestaltung des Büros auf die Arbeit auswirkt.

Fitnessstudios und gutes Essen gibt es auch außerhalb des Büros. Und es ist sicherlich keine große Bereicherung, wenn es sie auch im Büro gibt. Und mir fällt es schwer zu glauben, dass coolere Möbel eine höhere Produktivität bewirken.

Zuhause schätze ich Design. Gerade habe ich mir einen Lampenschirm gekauft, der so teuer ist, dass ich die Anschaffung vor mir selbst damit rechtfertige, dass es sich um Kunst handelt. Aber sobald ich ins Büro komme, interessiere ich mich nicht mehr für den Style der Lampen. Es ist mir egal. Nichts, was im Büro ist, gehört mir. Ich bin nicht verantwortlich dafür – das fühlt sich für mich wie eine Befreiung an.

Etwas läuft ganz gehörig falsch

Es gibt jedoch eine Sache, auf die ich neidisch bin. Die spektakulären Ausblicke mancher Büros über London. Den ganzen Tag über die Dächer der Stadt zu schauen muss toll sein. Aber ich frage mich auch hier: Wie würde sich das auf meine Arbeit auswirken? Mein Großraumbüro hat vier Außenwände. Drei Seiten bieten trostlose Ausblicke. Von einer Seite aus blickt man über die Themse nach St. Paul’s. Die Kollegen mit Flussblick scheinen mir weder produktiver noch glücklicher zu sein. Der Blick ist ein Privileg, und wahrscheinlich gibt es einen kleinen Motivationsschub, wenn man ihn genießen darf. Aber wenn man jemandem das Privileg wieder nimmt, dann bricht die Hölle los.

Trotz der großartigen Ausblicke und des stylischen Designs, ich würde mein Büro nicht tauschen wollen, mit denen, die ich besucht habe. In eigentlich allen Büros lief eine Sache ganz gehörig falsch: zu viele Schreibtische waren leer.

Die Ironie der modernen Arbeitswelt

Das ist die Ironie der modernen Arbeitswelt. Gerade als Architekten und Designer verstanden haben, attraktivere Büros zu bauen, beginnen die Menschen von zu Hause aus zu arbeiten.

Das einzige Büro, das ich besucht habe, und das gut gefüllt war, war das in einer Firma, in der Home Office verpönt ist. Und jeder Mitarbeiter seinen eigenen Schreibtisch hat.

Bei all den anderen war Flexibles Arbeiten erwünscht und es gab freie, wechselnde Arbeitsplätze. Jemand, der hier ins Büro kommt, kann nicht erwarten, mehr als die Hälfte des Teams anzutreffen. Vielleicht ist er auch ganz allein.

Was nützt da ein schnittiges Design? Wo bleibt der Spaß im Büro, wenn man nicht jeden Tag die gleichen Leute im Büro sieht und sagen kann: War 'Homeland' gestern Abend nicht wieder brillant?

Copyright The Financial Times Limited 2015

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel