Neulich klingelte es an unserer Haustür. Eine nette ältere Dame stand davor und wollte eine Spende für missbrauchte Mädchen und Frauen. Spontaner Gedanke von mir: wichtiges Thema, das sollte man unterstützen. Tatsächlich spenden meine Frau und ich für unterschiedliche Projekte, unter anderem die Heilsarmee und pbi (peace brigades international). Will sagen: Spenden ist für uns jetzt nichts Außergewöhnliches.
Was ich aber aus Prinzip nie mache, sind Spenden „over the counter“: an der Haustür oder in der Fußgängerzone. In der Fußgängerzone will ich – typisch Mann – schnell von A nach B kommen. Hält mich jemand auf, ist das für mich ein motivationales Frusterlebnis auf dem Weg meiner Zielerreichung. Und an der Haustür möchte ich dubiosen Geschäftemachern nicht in die Hände fallen. Been there, done that.
Gespräche können brutal nutzenorientiert sein
Also habe ich die Dame höflich gefragt, ob sie denn ein Formular oder eine Website hätten, die man für eine Spende nutzen könnte. Sofort erlosch das Interesse in den Augen der freundlichen älteren Frau, sie wandte sich grußlos ab und ging ein Haus weiter. Ich konnte buchstäblich sehen, wie bei ihr der mentale Vorhang fiel. Ich war nicht mehr von Interesse, keine Geldquelle mehr, nur noch eine Hausnummer auf einer Checkliste. Nicht einmal nach dem Namen der Initiative konnte ich fragen, weil sie sich unmittelbar abwandte und zum nächsten Haus ging.
Dabei will ich gar nicht unterstellen, dass die feine alte Dame eine Betrügerin war. Sicher war ihr Anliegen nobel und ihr Engagement ehrlich. Bemerkenswert fand ich vielmehr an unserer Begegnung, wie brutal nutzenorientiert ein Gespräch ablaufen kann: „Hallo.“ „Hallo.“ „Geld?“ „Nein.“ „Tschüss.“
Nutzenorientierte Kommunikation dominiert unsere Arbeit
Ich glaube, dass viele unserer Gespräche in der Arbeitswelt ähnlich ablaufen. Immer wollen wir etwas von anderen Leuten, oder andere Leute wollen etwas von uns. Wir befinden uns in permanenten Verhandlungen, in „Nutzen-Kommunikation“ mit unserer Umwelt. Bis zu einem gewissen Grad ist das okay. Schließlich ist ein Arbeitsumfeld eben keine Familie (auch wenn das manche Unternehmen vorgaukeln). In einer Familie gibt es vermehrt beziehungsorientierte Gespräche, man unterhält sich um des Unterhaltens willen, fragt, wie der Tag so war oder die Schule, beschäftigt sich auch mal mit abseitigen Themen.
Das ist im beruflichen Umfeld anders. Wir alle haben einen Job zu erledigen, wenig Zeit und manchmal eine kurze Zündschnur: „Hallo.“ „Hallo.“ „Dein Bericht?“ „Später.“ „Tschüss.“ Wir benutzen andere Menschen, müssen sie benutzen, um unsere Ziele zu erreichen. Und im Gegenzug benutzen sie uns. Fair enough, ohne Zusammenarbeit läuft halt nichts in unserer modernen Arbeitswelt.
Auch in der Arbeit sollten wir Beziehungsorientierung pflegen
Trotzdem plädiere ich für mehr beziehungsorientierte Gespräche in unserem Arbeitsalltag. Beobachten Sie sich einmal selbst: Wie viele Ihrer Gespräche in der Arbeit sind eigentlich NICHT nutzenorientiert? Wie viele Begegnungen mit Menschen haben Sie, ohne dass Sie explizit etwas von ihnen wollen?
Gehen Sie deshalb in Ihr nächstes Meeting nicht mit dem Willen, für sich selbst das Beste herauszuholen und Ihren Nutzen zu maximieren. Fragen Sie nicht, was Ihr Team für Sie tun kann – sondern was Sie für Ihr Team tun können. Nutzenorientiert sprechen wir von Arbeitsrolle zu Arbeitsrolle, beziehungsorientiert von Mensch zu Mensch. Wir brauchen beides, die nutzenorientierte und die beziehungsorientierte Kommunikation. Weniger Haustür, mehr Küchentisch.