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Kommentar Offener Brief an Jens Weidmann

Warum die Bundesbank ihren Widerstand gegen den Kauf von Kreditverbriefungen aufgeben muss
Bundesbank-Chef Weidmann
Bundesbank-Präsident Weidmann
© Getty Images

Melvyn Krauss ist emeretierter Professor für Volkswirtschaft an der New York University. Er schreibt für Capital in unregelmäßigen Abständen über Geldpolitik und die EZB

Lieber Herr Präsident,

mit Bestürzung habe ich Ihr Interview im „Wall Street Journal“ (7.10.2014) gelesen, in dem Sie die Position der Bundesbank zu einer Reihe von Fragen erläutern, denen sich die EZB in diesen Zeiten einer gravierenden Finanzkrise stellen muss.

Auf die Frage, warum Sie den Ankauf von Kreditverbriefungen (Asset Backed Securities – ABS) durch die EZB ablehnen, sagen Sie: „Wenn man eine Zielgröße für die EZB-Bilanz nennt, dann besteht das Risiko, dass wir diese Wertpapiere zu teuer bezahlen. Damit würden Risiken von den Banken und Investoren auf die Zentralbanken und letztlich den Steuerzahler verlagert.“

Ich finde Ihre Antwort unzureichend und irreführend.

Ich teile die Einschätzung, dass ABS ein paar geringfügige Risiken für die deutschen Steuerzahler mit sich bringen. Aber Sie verschweigen den entscheidenden Grund, warum die EZB diesen Weg gehen will. Es geht darum, eine Deflation in der Eurozone zu verhindern.

Versicherung gegen Deflation

Für den deutschen Steuerzahler bedeutet Deflation ein immenses Risiko. Verglichen damit ist das Risiko minimal, dass die Papiere notleidend werden, die die EZB kaufen würde. Selbst während der größten Finanzkriese seit dem Zweiten Weltkrieg betraf das geschätzt weniger als 0,1 Prozent. So gesehen spricht mehr für ABS als Sie es darstellen.

Wenn die Preise in der Eurozone fallen, steht sehr viel deutsches Geld auf dem Spiel. ABS ist eine billige Versicherung, um dieses Geld vor einer Deflation zu schützen.

Hier ist der Kern des Problems: Wenn die Peripheriestaaten zu einer noch härteren Sparpolitik gezwungen werden, also die reale Steuerbelastung der Bürger dort wächst, steigt auch die Belastung durch die Zinsen, die sie den ausländischen Kreditgebern zahlen müssen. Und eine Deflation wird dann reale Fragen aufwerfen: Zum Beispiel die, ob die Peripheriestaaten in der Lage sein werden, die Zinsen weiter zu schultern und die Kredite zurückzuzahlen.

Betrachten Sie es so: Ist es das Problem der Bank, wenn ein Unternehmen, dem sie eine Menge Geld geliehen hat, einen finanziellen Rückschlag erlebt und den Kredit nicht bedienen kann? Und wie es das ist. Es ist der Albtraum des Bankers.

Deflation wäre der Albtraum für die deutschen Steuerzahler. Denn sie käme einem finanziellen Rückschlag für die Länder gleich, denen die Deutschen tonnenweise Geld geliehen haben. Aufgeklärte Deutsche sollten froh sein, eine billige Versicherung dagegen zu bekommen.

Deflationsgefahr nicht untertreiben

Herr Präsident, Sie spielen die Deflationsgefahr ständig mit dem Argument herunter, dass der Boden beim Preisverfall so gut wie erreicht sei. Aber während Sie das versprechen, schrumpft in der Eurozone die wirtschaftliche Aktivität und die Preise fallen. Und fallen.

In dem Interview sagen Sie: „Die Talsohle der Inflation sollte bald hinter uns liegen und nach unseren Prognosen wird die allmähliche Erholung dafür sorgen, dass die Inflation wieder steigt.“ Aber ihre Prognostiker lagen dauernd falsch. Warum sollten Sie oder wir ihnen jetzt glauben?

Was die Käufe von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt angeht, geben Sie zu, dass diese vom Mandat der EZB gedeckt sind. Aber Sie äußern sich besorgt darüber, dass sie dazu dienen könnten, das Verbot einer direkten Staatsfinanzierung durch die Zentralbank zu umgehen. „Das eigentliche Thema hier ist die Notwendigkeit struktureller Reformen.“ Sie glauben, dass Sie die Zauderer auf den richtigen Weg bringen, indem sie die Zügel anziehen.

Aber ist Ihnen nicht aufgefallen, dass der höhere Druck auf den Süden keine Strukturreformen gebracht hat? Sondern stattdessen eine Serie populistisch-faschistischer Wahlsiege in Italien, Griechenland und Frankreich. Wer kann das wollen? Schauen Sie sich an, was in den vergangenen Jahren in Europa geschehen ist. Dann werden Sie sehen, dass Ihre Theorie, so schön sie ist, nicht funktioniert. Sondern im Gegenteil katastrophale ungewollte Folgen hat.

Es gibt kein Indiz dafür, dass die Staatsanleihekäufe der EZB den Mangel an Strukturreformen in Ländern wie Italien und Frankreich verschlimmert. Der Preis Ihrer rigorosen Ablehnung des Programms ist, dass den Deutschen (und ihren Partnern in der Eurozone) ein effektives Instrument im Kampf gegen Deflation vorenthalten wird. Dabei käme dies nun, wo sich die deutsche Wirtschaft südwärts entwickelt, besonders gelegen.

Die Bundesbank ist anachronistisch

Herr Präsident, Sie sind nicht der Einzige im EZB-Rat, der Skepsis gegenüber den unkonventionellen Methoden empfindet, die Deflationserwartungen und einen Rückfall in die Rezession bekämpfen sollen. Aber die meisten Ihrer Kollegen verstehen, dass unkonventionelle Zeiten unkonventionelle Lösungen erfordern.

Ihre Argumente erinnern an die der Vertreter der „Christlichen Wissenschaft“, die sich aus religiösen Gründen weigern, einen Arzt zu rufen, selbst wenn das Fieber wütet und sich der Krebs ausbreitet. Diese Philosophie mag okay sein, wenn es kein Fieber und keinen Krebs gibt. Andernfalls ist sie tödlich. Leider steckt Europa derzeit in genau dieser Lage.

Der vielleicht verstörendste Teil Ihres Interviews ist der ganz am Ende, wenn Sie feststellen, dass „das Konzept einer unabhängigen Zentralbank, die sich auf Preisstabilität konzentriert, weder altmodisch noch überholt ist“. So soll die Wall Street über die Bundesbank denken.

Das wird nicht funktionieren. An den globalen Märkte weiß man, dass Ihr Konzept eine Einbahnstraße ist. Sie nehmen Risiken in Kauf, um die Inflation zu bekämpfen. Aber Sie werden nicht das Notwendige tun, um die Deflation zu bekämpfen. Das ist überkritisch.

Die Wall Street hält die Bundesbank nicht mehr für das Vorbild einer unabhängigen Zentralbank, sondern für einen Anachronismus. Für eine Institution, die zunehmend irrelevant wird, wenn nicht sogar eine Gefahr für die Lösung der Probleme und das zukünftige Wohlergehen Europas. Herr Präsident, je früher Sie und ihre Bundesbankkollegen damit aufhören, Obstruktionspolitik mit Unabhängigkeit zu verwechseln, desto besser wird es Deutschland und Europa ergehen.

Mit freundlichen Grüßen, Melvyn Krauss

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