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Management Verliebt, verlobt - erprobt

Liebe Unternehmer, experimentieren Sie mehr! Das sollte zum Standardrepertoire gehören, bevor eine Idee umgesetzt wird. Von Lars Vollmer
Lars Vollmer
Lars Vollmer
© larsvollmer.com

Ja, es ist zu früh für Frühlingsgefühle. Aber das macht nichts: Denn die meisten Unternehmen sind ganzjährig in Balzstimmung. Innovationen, neue Ideen, Verbesserungsvorschläge – sie alle werden gehandhabt wie potenzielle Eheschließungen. Und vor jeder Trauung steht: der Blick in die Zukunft.

Lassen Sie uns einmal die rosarote Brille abnehmen und sehen, wie so ein unternehmerischer Bund fürs Leben mit der Innovation heute aussieht…

Der Reiz des Neuen

Gibt im Unternehmen jemand eine neue Idee in die Runde, folgen nach meiner Erfahrung exakt zwei Reaktionsmuster: die Diskussion und die Grundsatzentscheidung.

Im ersten Fall, liebe Gemeinde, die wir uns heute hier versammelt haben, sieht das so aus: Jemand macht einen Vorschlag – „Schatz, lass uns heiraten!“ oder „Wir sollten ein neues Produktmanagement einführen!“ – und begründet diesen glaubhaft: „Das wird ewig halten“ beziehungsweise „Damit werden wir sehr viel effektiver“ In der Folge können sich nun alle Betroffenen den Mund fusselig reden über den möglichen Nutzen oder den potenziellen Schaden, den der Vorschlag mit sich bringen könnte. Wenn wir dem Vorschlag folgen, dann …

Was die Beteiligten im Unternehmen meist vergessen, ist: Vorheriges Diskutieren ist schön und gut. Es sorgt für einen gelungenen Abgleich von jedermanns Wissen. Aber was dann wirklich passiert, wenn eine neue Idee angestoßen und eine Innovation verfolgt wird – das kann auch nach noch so viel Diskussion niemand vorhersagen. Eigentlich eine Banalität.

Ganz oder gar nicht

Deswegen gibt es ja auch jene, die sich nicht in langen Diskussionen und Beratungen verstricken. Nein, sie krempeln die Ärmel hoch und machen! Das Motto heißt: ganz oder gar nicht!

Die Führungsriege entscheidet sich grundsätzlich dazu, beispielsweise in der Hardware-Entwicklung Scrum einzuführen – in der Softwareentwicklung ist das ja schon gang und gäbe. Sie sucht sich sofort einen Experten, der die Vorgehensweise bis ins Detail und zu 100 Prozent vorbereitet. Und damit auch ja die große Innovation kommt, legt man gleich den Tag fest, an dem sie anläuft – an dem quasi der Schalter konsequent umgelegt wird.

Und wenn das Innovationsvorhaben dann nicht wirkt? War es für die Katz’ – oder gar teuer und schädlich.

Sie wissen vermutlich, worauf ich hinaus möchte: Ja, das gute alte Experiment wäre in solch einem Fall hilfreich gewesen – der Prototyp, der Testlauf, die Generalprobe. Denn ganz ehrlich: In eine Ehe stürzt sich doch auch niemand freiwillig, ohne erst mal zu sehen, ob es mit der anderen Person funktioniert.

Woher kommt dieser Wahn vieler Führungskräfte, die Hochzeitsglocken mit innovativen Ideen so überstürzt zu läuten?

Drum prüfe, wer sich ewig bindet…

Vielleicht muss ich hier ein wenig zurückrudern, bevor Sie meine Ansichten über mutige Vermählungen für völlig sarkastisch halten. Ja, es soll sie geben: diese Paare, die in größter Euphorie vor den Altar springen und für immer glücklich sind. Nun … ich meine, ein wenig Risikominimierung kann im Normalfall trotzdem nicht schaden – auch im Unternehmen. Bevor Sie Ihre komplette Entwicklung umstellen, tut es nicht weh, das neue Modell einmal an zwei Projekten zu testen. Bevor Sie eine Innovation verordnen, die im Lehrbuch toll klingt, erproben Sie die Neuerung zunächst in wenigen Bereichen. Ich bin ja nun wirklich nicht der Erste, der dafür plädiert, Neuerungen zu erproben und sich erst mal einen Eindruck von ihrer Wirkung zu verschaffen.

Was so logisch klingt, scheitert dennoch regelmäßig in der Praxis – wie so manche hoffnungsvolle Ehe – am Menschen, der seine Schwächen nicht eingestehen kann. Ich zumindest vermute: Etliche Top-Führungskräfte und Entscheider springen deshalb sofort auf jede sich bietende Gelegenheit, ohne sie zuerst zu erproben, weil sie stark wirken wollen. Starke Entscheidungen – ganz oder gar nicht eben. Wer Experimente und Testläufe braucht, ist ja offensichtlich nicht in der Lage, eine Sache von vorne bis hinten zu durchdenken. Wenn das nicht schwach ist!

Liebe Kollegen: Schwach ist, wer behauptet, komplexe Zusammenhänge von A bis Z voraussehen zu können. Das ist, als ob Sie eine Ehe bis zur Eisernen Hochzeit in allen Eventualitäten durchdiskutieren – und wie der nächste Ehekrach ausgeht, wissen sie deshalb doch nicht.

Zurück in den Sandkasten

Deswegen wünsche ich mir gerade von den „Ganz oder gar nicht“-Typen der Unternehmenswelt, dass sie nicht direkt vor der neuesten Idee oder jeder vielversprechenden Theorie niederknien und sich auf ewig an sie binden. Denken Sie doch einmal zurück an die Zeit der Sandkastenliebe. Die war doch auch immer so ein Mittelding: ein bisschen probieren, ein bisschen testen – neu bauen, wenn es nicht klappte, oder ein weiteres Stockwerk auf die Burg, wenn sie hielt.

Nur eines hat sich seither grundlegend geändert: Das Experimentieren im Unternehmen darf keinesfalls zu einem „trial and error“ verkommen, nach dem Motto: Hauptsache, Zeug ausprobiert! Denn dieses Vorgehen bewirkt keine Innovationen, höchstens im Glücksfall. Vor allem fördert es jedoch puren Aktionismus: „Streichen wir doch mal alle Büros rot und erproben wir die Wirkung!“ Der Nutzen eines solchen Experiments? Mehr als fragwürdig.

Ein Experiment ist nicht nur ein Versuch oder ein Test einer Idee. Es dient dazu, eine These zu verifizieren. Und deshalb beginnt jedes sinnvolle Experiment mit so einer These, am besten in Schriftform. Dass in der Praxis etliche Befindlichkeiten diese These zerstören können, ist zunächst uninteressant. Was zählt, ist: Ist die These überhaupt plausibel? „Wenn wir beide einen zweiten Partner heiraten, dann gehen wir uns weniger auf die Nerven!“ – Plausibel? Nein, weil es hierzulande gegen das Gesetz verstößt. Aber: „Wenn wir uns einmal in der Woche einen Paarabend gönnen, bleiben wir glücklich miteinander.“ – Aha! Dann können Sie das ja einmal ein paar Wochen lang testen.

Und das Beste daran, wenn Sie den Weg des Erprobens wählen, anstatt Ideen ganz auszuschließen oder gleich 100 Prozent durchzuziehen: Das ganze Vorgeplänkel, was bei der Umsetzung der neuen Idee herauskommen könnte oder würde, können Sie sich sparen. Und zwar ganz. Denn sie tun es gar nicht.

Das schönste Experiment

Eine fundierte These zu erproben, spart nicht nur Zeit. Es ist auch deutlich weniger Aufwand, als die mögliche, komplexe Wirkung einer Innovation zu durchdenken. Das geht bis ins Detail ohnehin nicht. Und ich wünsche mir sehr, dass dieses Verständnis noch zu vielen Führungskräften vordringt – und zu ihren Mitarbeitern gleichermaßen. Denn die beiderseitige Erwartungshaltung, dass Führungspersonen direkt wissen und voraussehen müssen, „wie es geht“, verhindert die Experimentierkultur. Dabei zeugen Experimente von nichts anderem als Klugheit – deutlich mehr Klugheit als der ewige Ruf nach einer positiven Fehlerkultur. Fehler zuzulassen, bringt schließlich noch niemanden ins Handeln.

Experimentieren Sie mehr, liebe Unternehmer! Verlieben Sie sich gerne einmal in eine neue Idee, aber stecken sie ihr nicht direkt den Ring an den Finger. Trauen Sie sich vielmehr, Neuerungen zu erproben, anstatt sie ewig zu rationalisieren und zu durchdenken. Aber bitte systematisch, indem Sie eine These aufstellen und überprüfen.

Darüber darf man sich ruhig mal Gedanken machen.

Lars Vollmer ist Unternehmer, Vortragsredner und Autor. Zuletzt ist von ihm erschienen: „Zurück an die Arbeit - Wie aus Business-Theatern wieder echte Unternehmen werden", Linde Verlag, Februar 2016

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