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Fußball Lionel Messi wechselt nach Miami – und befeuert damit einen Kampf der Systeme

Lionel Messi gilt als einer der besten Fußballer aller Zeiten. Sein Wechsel nach Miami wirkt aus sportlichen Gründen deshalb kaum nachvollziehbar. Wirtschaftlich macht dieser jedoch enorm viel Sinn
Lionel Messi gilt als einer der besten Fußballer aller Zeiten. Sein Wechsel nach Miami wirkt aus sportlichen Gründen deshalb kaum nachvollziehbar. Wirtschaftlich macht dieser jedoch enorm viel Sinn
© IMAGO/Xinhua
So viel mehr als ein Wechsel: Lionel Messi geht in die USA und sagt Saudi-Arabien ab. Im Hintergrund brodeln nationale Anstrengungen, ein Clash der Systeme und eine Zeitenwende. Dem Weltstar und dem Fußball ist das egal – und die Verlierer stehen schon fest

Lionel Messi setzt seine Karriere bei Inter Miami fort. Nicht in der saudi-arabischen Liga bei Al-Hilal, wonach es lange aussah. So weit, so simpel. Doch die Entscheidung für die USA und gegen das Königreich auf der arabischen Halbinsel bedeutet keinen einfachen Wechsel eines Fußballspieler. Es ist ein Signal im Kampf um Bedeutungshoheit im Fußball. Ein Clash der Systeme. Der Kulturen. Die USA, deren Liga früher die Alt-Stars von Beckenbauer bis zu Beckham locker an Land zog, bangen, dass sie im Vergleich mit Saudia-Arabien oder Katar an Einfluss verlieren. Und Messi ist zwar mit 35 Jahren alt im Vergleich zu Erling Haaland und Kylian Mbappé, doch immer noch der größte Name im Fußballgeschäft.

Dieser Fall ist daher gleich auf mehreren Ebenen bedeutsam. Eine Frage, die über Messis Saudi-oder-USA-Deal schwebte, lautet: Wie stark wirkt Joseph Nyes berühmtes Konzept der Soft Power der USA noch? Wie sehr ist die Anziehung des American-Dream-Lifestyles im Zeitalter der Scheich- und Petrodollar? Messi hat sich (vorerst) gegen den Weg in die Wüste entschieden. Gegen ein Regime, das Menschrechte wie Fußbälle tritt.

Doch die Mär vom „land of the free“, vom Mythos „vom Tellerwäscher zum Millionär“, wirkt nicht erst seit George W. Bushs Irakkrieg und dem globalen War on Terror nicht mehr wie in den 1980ern. Im Nahen und Mittleren Osten ist der Westen seitdem teilweise verhasst. Auch im Fußball wird er dort (siehe WM in Katar) immer stärker als eine personifizierte, schwingende Moralkeule wahrgenommen.

Saudi-Arabien will den Fußball kapern

Damals, während des Kalten Krieges, war es den USA ein Leichtes, als Supermacht Soft Power als Mittel zur Verbreitung ihres politischen und ideologischen Einflusses einzusetzen. Nicht-militärische Mittel wie Kino, Musik und kulturelle Interaktionen waren Instrumente, um indirekt Macht auf die breite Masse in Europa, der UdSSR und anderen Ländern auszuüben. Heute sieht das anders aus, es geht auch um eine andere Art von Einfluss. Außerdem um Fußball und natürlich Geld. Was im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion Hollywood leisten sollte, soll nun der Sport im Clash der Systeme übernehmen. Messi wird zum Spielball wirtschaftlicher und nationaler Anstrengungen.

Das Königreich Saudi-Arabien will den Fußball kapern und tritt dabei in ein direktes Duell mit den Vereinigten Staaten. Die Frontlinie in diesem Kampf der Systeme lässt sich in der englischen Premier League nachzeichnen. Dort treffen dieser Tage all die kapitalistischen Ideen des Fußballs aufeinander. Die Staaten, die Investoren und die klassischen Besitzer alter englischer und auch amerikanischer Schule. Manchester City ist der sportliche Arm von Abu Dhabi, Katar will sich Manchester United einverleiben und Newcastle United gehört nun eben dem Public Investment Fund der Regierung von Saudi-Arabien. Newcastle kehrt in der nächsten Saison nach zwei Dekaden der Abwesenheit in die Champions League zurück, Jürgen Klopps Liverpool ist nicht dabei, weil den Fans zufolge zu wenig Geld für neue Spieler ausgegeben wird.

Die von Saudi-Arabien und den anderen Staaten ausgehende Gefahr für andere Geschäftsmodelle wird durch den Mix aus Kapital und Wissen nur potenziert. An der Front des Systemkampfs setzen sie eben nicht nur auf große Namen, sondern auch große Köpfe. Das unterscheidet sie zum Beispiel von den plumpen Versuchen Chinas in den Fußball einzudringen. Das unterscheidet sie aber auch von den bizarren Investoren wie Lars Windhorst im deutschen Fußball.

Während sie in England also mit Bedacht an den Fußball herangehen, setzen sie zu Hause auf den großen Knall. Die vier Top-Vereine der Liga gehören seit dieser Woche zu 75 Prozent dem saudi-arabischen Staatsfonds PIF. Die Stars aus Europa strömen herbei, folgen Cristiano Ronaldo. Geld spielt für die Klubs - anders als für die Stars - keine Rolle. Das Gehalt ist zudem steuerfrei. Die Liga soll sich als eine der führenden Ligen der Welt etablieren. Dazu braucht es breite Konkurrenz innerhalb der Liga, um die ohnehin schon vorhandene Qualität der Liga noch einmal deutlich zu steigern. Natürlich geht es um Sichtbarkeit im internationalen Fußballgeschehen.

Apple bezahlt Messi

Nun jedoch der Coup der USA. Für Messi selbst ist es vielmehr die freie Marktwirtschaft als irgendeine Soft Power, die ihn in die USA treibt. In diesem Fall trägt sie sogar einen Namen: Sie heißt Apple und hat eine noch größere Sogwirkung als jegliche steuerfreie Saudi-Millionen. Das Tech-Imperium fährt - nach dem Aufmischen der Musikindustrie - einen Großangriff auf den Sport und wird auch im Kampf um die TV-Rechte für die WM 2026 eine tragende Rolle spielen. Allein für das Jahr 2022 hat das Unternehmen riesige Investitionen getätigt: 50 Millionen US-Dollar jährlich für die NFL Super Bowl Halftime Show für die nächsten zehn 10 Jahre und 85 Millionen Dollar jährlich für die Freitagsspiele der Baseball-Liga MLB. Hinzu kommen Gespräche über 2,5 Milliarden Dollar für die Übertragungsrechte der NFL am Sonntag (abgebrochen) und über NBA-Streaming-Rechte (noch aktuell). Peanuts, wenn man bedenkt, dass Apple allein mit den Airpods im Jahr 2021 12 Milliarden Dollar Umsatz gemacht hat.

Und dann ist da natürlich noch die MLS. Die Fußball-Liga hat in den USA mittlerweile zu den Big 4, den vier größten Sportarten Football, Basketball, Baseball und Eishockey, aufgeschlossen. Fußball wird immer populärer in den Staaten, gerade die ansteigende Population der Latino-Community feiert den beliebtesten Sport der Welt, der in den Staaten Eishockey bald überholen könnte. Darauf zielt die FIFA ab, wenn im Jahr 2026 der ganz große Zirkus mit dann 48 Teams in den USA, Mexiko und Kanada gastiert und der nächste Goldschatz für den allmächtigen Boss Gianni Infantino ausgegraben werden soll. Darauf zielt Messi ab. Darauf zielt Apple ab.

250 Millionen US-Dollar zahlt das Tech-Imperium jährlich für die Major League Soccer für die Streaming-Rechte auf AppleTV+. Zweieinhalb Milliarden insgesamt. Davon möchte Messi eine Scheibe abhaben. Er wird nun an den Einnahmen des Streaming-Dienstes beteiligt - und dadurch quasi nicht nur von seinem Klub Inter Miami, sondern auch von Apple bezahlt.

Messis Wechsel wird zu einer Art wirtschaftlicher Zeitenwende im Fußball. Was im US-Sport (siehe Basketballer Michael Jordan, der seit seinem NBA-Einstieg mit Nike die Jordan-Marke aufbaute) schon länger en vogue ist, entwickelt sich bei Messi und Co. gerade erst noch: Die Verzahnung von Sportler und Unternehmen. Natürlich werden auch Fußballer schon längst von Nike, Adidas und Co. gesponsert, aber hier geht es um Anteile und Wetten auf Erlösmodelle. Aktienoptionen statt Cash.

Auch die Champions League bröckelt

Innerhalb nur weniger Tage hat sich die Landschaft des Weltfußballs auf mehreren Ebenen gewandelt. Das eurozentrische Zeitalter ist endgültig vorbei, auch wenn die europäischen Köpfe es nicht glauben wollen. Das war bereits bei der Wüsten-WM in Katar zu sehen. Sie hat den Fußball verändert. Sie hat gezeigt, dass das System Fußball längst nicht mehr nur von den europäischen Top-Ligen abhängig ist. Noch sind sie die Leuchttürme des Weltsports, überragt werden sie nur von der UEFA Champions League.

Doch genau an dieser Champions League zerrt und reißt das unerschöpfliche Kapital aus Saudi-Arabien. Ihre Partner sind ihnen dabei egal. Es geht ihnen offenbar viel mehr um die Zerschlagung des erfolgreichsten Produkts des Klubfußballs. Wie „The Independent“ berichtet, stand das Königreich bereits hinter zwei Attacken auf die Königsklasse. Im Jahr 2020 soll Saudi-Arabien das finanzielle Backing für eine neue Version der FIFA Klub-WM geliefert haben. Als die Pandemie sich wenig später durch die Geldreserven der Superklubs fraß, soll das Königreich eine entscheidende Rolle in der letztendlich krachend gescheiterten Gründung der Super League gespielt haben.

Der Fußball wusste sich damals zu wehren. Nicht der Teil des Spiels, der längst moralischen Bankrott angemeldet hat, sondern jener, der das größte Kapital des Spiels darstellt. Es ist der Teil, der dafür sorgt, dass das Spiel von Generation zu Generation getragen wird und der zugleich für die emotionalen Momente sorgt - die Anhänger der Vereine. Die Fans gingen sogar in England auf die Straße und stoppten die Liga so, bevor sie überhaupt zum ersten Mal nach Luft schnappen konnte.

Es wird nicht bei diesen gescheiterten Versuchen bleiben. Der Fußball, der größte Sport der Welt, mag die niemals enden wollenden Unterhaltungsmaschine sein. Längst jedoch setzt das Königsreich auf ein breitgefächertes Portfolio. Der Schlüsselmoment liegt dabei weit über drei Jahre zurück. Der Kampf um den Schwergewichtstitel im Boxen zwischen Anthony Joshua und Andy Ruiz Jr. im Dezember 2019 leuchtete Saudi-Arabien zum ersten Mal im grün-günstigen Licht des Sportswashing aus. In diesem Kampf war alles angelegt. Die Bilder des Triumphs, das Geld, die Reinwaschung jener, die mit den Millionen um sich warfen. Unten verteidigte der Brite seinen Titel und von oben blickte Kronprinz Mohammed bin Salman auf die Menge herab. Die den Anordnungen von Bin Salman zugeschriebene Ermordung des Publizisten Jamal Khashoggi war da gerade einmal ein Jahr her.

Messi: Saudischer Botschafter in den USA

Es folgten andere Sportarten: Basketball, die Formel 1, eSports, Snooker, Tennis und Pferdesport und erst in dieser Woche der Golfsport, der nun effektiv Saudi-Arabien gehört. Teil der Strategie des Landes: die Massen müssen unterhalten werden. Koste es, was es wolle. Die junge Bevölkerung des Landes, 70 Prozent sind unter 35, dürstet nach Events.

Nationale Anstrengungen. Clash der Systeme. Zeitenwende. Lionel Messi ist bekannt für Superlative und löst auch in diesem Sommer ein Erdbeben aus. Allzu spontan wird seine Entscheidung für die USA nicht gefallen sein, schließlich verkündet Apple am Dienstag bereits eine vierteilige Dokuserie über den argentinischen Superstar. Das wirkt sehr orchestriert und von langer Hand geplant. So wie es im Fußball-Business heutzutage eben läuft.

Messi verhindert zwar den saudischen Doppel-Coup mit Ronaldo, positioniert sich aber beileibe nicht gegen das Regime um bin Salman. Auch das passt zu den Kickern von heute. Der neue US-Star bespielt lieber beide Seiten als Grenzgänger. Schließlich pflegt Messi bereits Geschäftsbeziehungen mit Saudi-Arabien, arbeitet für das Königreich als Tourismusbotschafter.

Europa schaut derweil zu und muss Antworten finden. Sonst verschwinden nicht nur die Top-Stars, sondern mit dem Geld auch die letzten europäischen Werte. Dem Fußball ist es egal. Das hat er bereits in Katar bewiesen: Dort hatten bis auf ein paar genervte Europäer alle ihren Spaß.

Dieser Artikel ist zuerst bei n-tv.de erschienen.

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