Hamburgs Erster Bürgermeister empfängt zum Gespräch im Amtszimmer des Bürgermeisters im Rathaus, wo schon viele Senatschefs ihre Gäste begrüßt haben: Delegationen ausländischer Regierungen, Wirtschaftsvertreter, Journalisten. Es ist Anfang Februar, noch knapp drei Wochen bis zur Bürgerschaftswahl, in der der SPD-Politiker sein Amt verteidigen will, das er 2018 von Olaf Scholz übernahm. Von dem Wirbel um die Rolle der Hamburger Finanzbehörden in der Cum-Ex-Affäre um die Privatbank Warburg, die auch Fragen an den früheren Finanzsenator aufwirft, ist an diesem Tag noch nichts zu spüren. Verabredet ist ein Gespräch für eine Capital-Geschichte über den Klimaschutzplan des Senats, für den sich der Bürgermeister auch mit der Industrie verbünden will. Nachfolgend lesen Sie die ausführliche Fassung des Interviews. Eine umfangreiche Analyse über die Modellstadt Hamburg finden Sie in der aktuellen Printausgabe.
Capital: Hamburg hat im Dezember einen Klimaplan mit 400 einzelnen Maßnahmen verabschiedet. Für das detaillierte Konzept gibt es viel Anerkennung. Kann das eine Blaupause für andere in Deutschland sein?
PETER TSCHENTSCHER: Ja. Wenn wir zeigen können, wie eine Millionen-Metropole wie Hamburg im Verkehr, im Gebäudesektor und in der Industrie beim Klimaschutz vorankommt, dann wird es viel Interesse auch von anderen geben. Insofern haben wir schon den Ehrgeiz, ein Stück weit Vorbild zu sein.
Warum sollte sich Hamburg beim Klimaschutz leichter tun als andere?
Wir sind als Stadtstaat handlungsfähiger, weil wir die Kompetenzen als Bundesland und als Kommune in einer Hand haben.
Bislang funktionierten Klimapläne in Deutschland oft so, dass schöne Ziele formuliert wurden, es aber keine ernsthaften Konsequenzen gab, wenn sie verfehlt wurden. So wird etwa der Bund sein CO2-Ziel für 2020 reißen...
Das wird sich ändern, weil Deutschland empfindliche Sanktionszahlungen an die EU drohen, wenn das Land seine Verpflichtungen zur CO2-Reduzierung nicht erfüllt. Dadurch wird das Thema auch politisch brisanter. Bei unserer Strategie in Hamburg geht es ebenfalls darum, Klimaziele nicht nur zu haben, sondern sie auch tatsächlich zu erreichen. Deshalb die vielen konkreten Maßnahmen, und ein Klimaschutzgesetz, das den Pfad der CO2-Minderung gesetzlich verankert. Das sorgt für die nötige Disziplin.
Nach dem Klimaplan des Senats muss Hamburg seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern. 2017 waren erst es erst rund 20 Prozent. Wie wollen Sie den Rest schaffen?
Wir müssen bis 2030 etwa sieben Millionen Tonnen CO2 einsparen. Rund die Hälfte davon kommt aus den Maßnahmen des Bundes, wenn man grob rechnet Denn durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien verbessert sich der Energiemix. Im vergangenen Jahr ist der Anteil der regenerativen Energien bundesweit bereits auf 46 Prozent gestiegen. Das entlastet auch unsere Bilanz.
Was ist mit der anderen Hälfte?
Die andere Hälfte erreichen wir durch die Maßnahmen unseres Klimaplans. Ich habe die Behörden beauftragt, für jede der 400 Maßnahmen zu beziffern, welche CO2-Einsparungen damit verbunden sind. Dabei sind wir von realistischen Annahmen beziehungsweise Erwartungen ausgegangen. Denn es bringt nichts, Pläne zu schreiben, mit denen man sich selbst täuscht. Maßnahmen, deren Wirkung wir noch nicht abschätzen können, haben wir noch nicht mit eingerechnet. Dazu erstellen wir Gutachten. Insofern hat unser Klimaplan auch noch eine stille Reserve. Ich gehe davon aus, dass wir die minus 55 Prozent bis 2030 sicher erreichen – aufgrund zusätzlicher Maßnahmen, die wir noch konkretisieren, vermutlich sogar früher.
Zu Ihrer Strategie in Hamburg gehört, dass Sie Klimaschutz im Bündnis mit der Wirtschaft organisieren wollen. Was erwarten Sie davon?
Große Projekte wie der Klimaschutz funktionieren nur, wenn man zusammen arbeitet und sich nicht gegenseitig blockiert. In Hamburg haben wir schon länger das Prinzip der Partnerschaften zwischen Wirtschaft und Politik. Zum Beispiel als Bündnis für das Wohnen, als Masterplan Handwerk oder als Bündnis für die Industrie der Zukunft. Für das Wohnungsbauprogramm haben wir Vereinbarungen mit der Wohnungswirtschaft, den Behörden, Bezirken und Mietervereinen. Dadurch kam viel Aktivität in die Wohnungspolitik und wir haben die Zielzahlen für neue Wohnungen regelmäßig übertroffen. Ich hoffe, dass es beim Klimaschutz genau so läuft wie im Wohnungsbau.
Allerdings ist der Klimaschutz die weitaus größere Aufgabe.
Es machen aber auch mehr Akteure mit.
Hamburg ist ein großer Industriestandort, hier produzieren auch energieintensive Konzerne aus der Kupfer-, Aluminium- und Stahlindustrie. Welche Beiträge erwarten Sie von der Industrie für den Klimaschutz?
Wir haben in Hamburg eine sehr innovative Industrie, die in den vergangenen Jahren viel investiert hat, um energieeffizienter zu werden. Im industriellen Sektor sind die CO2-Emissionen in unserer Stadt in den vergangenen Jahren zurückgegangen, während sie in Deutschland insgesamt gestiegen sind. Aber viele Investitionen in Klimaschutztechnologien rechnen sich für die Industrie heute noch nicht. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Unternehmen insgesamt stärken, indem wir ausreichend Flächen bereitstellen, Genehmigungen zeitnah erteilen und insgesamt gute Standortbedingungen herstellen. Die Politik kann den Unternehmen nicht einfach die Transformation zu einer klimafreundlichen Produktion verordnen und sie ansonsten allein lassen. In sogenannten Reallaborprojekten kooperieren die Stadt, Unternehmen und wissenschaftliche Institute, um neue CO2-arme Technologien zu entwickeln und einzusetzen.
Ein solcher Ansatz geht manchen nicht schnell genug...
Wenn es ausschließlich darum ginge, schnell CO2 in Hamburg zu reduzieren, dann könnte ich theoretisch auch sagen: Wir machen die drei großen Hamburger Unternehmen der Grundstoffindustrie zu – also Aurubis, ArcelorMittal und Trimet und legen damit die Produktion von Kupfer, Stahl und Aluminium still. Dann bin ich als Bürgermeister von Hamburg über Nacht Weltmeister im CO2-Einsparen. Kupfer wird aber zum Beispiel in Hamburg mit nur halb so viel CO2-hergestellt wie im weltweiten Durchschnitt. Es würde dann zukünftig auch noch in China, Indien oder den USA für den Weltmarkt produziert – mit einer deutlich schlechteren CO2-Bilanz. Für das weltweite Klima wäre damit nichts gewonnen. Sinnvoller ist es also, unsere Unternehmen so zu stärken, dass sie noch besser werden und noch klimafreundliche Produktionstechnologien entwickeln. Diese Transformation wollen wir auch mit unserem Bündnis mit der Industrie unterstützen.
Können Sie Klimaaktivisten wie die von „Fridays for Future“ denn mit solchen Sachargumenten erreichen?
Junge Leute haben wenig Vertrauen in meine Generation. Das ist mir in meinen Diskussionen mit Vertretern von Fridays for Future sehr bewusst geworden. Sie sind freundlich, aber die Diskussionen kamen immer wieder zu dem Punkt, dass es hieß: „Sie hätten doch schon lange handeln können, dann wären wir doch schon viel weiter.“ Insofern geht es weniger um Argumente, sondern mehr um einen Vertrauensverlust der jüngeren gegenüber der älteren Generation.
Wie lässt sich diese Vertrauenskrise reparieren?
Diese Stimmung wird sich nur ändern, wenn wir durch Handeln beweisen, dass es beim Klimaschutz vorangeht. Das ist auch meine politische Ambition: Ich möchte beweisen, dass es geht. Denn bislang ist das Klimaschutzthema oft mit negativen Sichtweisen und Begriffen belegt: Krise, Notstand und so weiter. Wir müssen das umdrehen und sagen: Das ist eine Riesenchance, eine industriepolitische Erfolgsstrategie. Wir werden wettbewerbsfähiger, die Luft wird sauberer, und es wird ruhiger auf den Straßen.
Ob der Hamburger Klimaplan ein Erfolg wird, haben Sie als Senat allerdings nicht allein in der Hand. Gerade in der Energie- und Klimapolitik werden viele wichtige Entscheidungen im Bund oder auf EU-Ebene getroffen.
Das ist richtig. Unser Bündnis für die Industrie der Zukunft ist erst einmal eine standortbezogene Initiative. Wir wollen als Hamburger Senat ein guter Partner für die Industrie sein. Natürlich müssen wir als Bundesrepublik Deutschland das europäische Recht umsetzen. Aber wir sind auch nicht verpflichtet, alles immer noch komplizierter zu machen, als es die EU-Regeln vorschreiben. Da können wir in Deutschland pragmatischer handeln, so wie in anderen Ländern auch tun.
Und was ist mit der Energiepolitik im Bund?
Da müssen wir als Bundesländer deutlich mehr Druck machen. Schon vor einem Jahr habe ich eine Sonder-Ministerpräsidentenkonferenz zum Thema Klimaschutz vorgeschlagen. Denn wenn alle so vor sich hin werkeln, dann behindert eher einer den anderen. Wir haben jetzt als Länder ermittelt, welche Probleme wir sehen und welche Schwerpunkte Deutschland setzen muss, um voranzukommen. Denn bisher gab es auf Seiten des Bundes keinen erkennbaren Plan für die Energiewende. Auf einer Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin haben wir jetzt beschlossen, auf einem Treffen im Frühjahr einen Masterplan für die Energiewende zu beschließen – zum Beispiel auch für den Ausbau der Windenergie.
Der Bau neuer Windräder ist in den vergangenen Monaten praktisch zum Erliegen gekommen. Macht Ihnen das Sorgen?
Als Stadt, die zu den großen Energieverbrauchern gehört, brauchen wir viel Windenergie. Viele Maßnahmen unseres Klimaplans beruhen auf dem Einsatz von grünem Strom im Verkehr, im Gebäudesektor oder in der Industrie. Das heißt, wir müssen nicht nur den bisherigen Strombedarf aus regenerativen Quellen decken, wir brauchen insgesamt ein Vielfaches mehr an Strom aus regenerativen Quellen. Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein könnten ihre Stromproduktion onshore und offshore binnen kürzester Zeit vervielfachen, wenn die Bundesregierung die Handbremse los lassen würde.
Ähnlich wie der Bund setzen Sie auch in Hamburg auf Wasserstoff als klimaschonenden Energieträger – in der Industrie, aber auch in anderen Sektoren. Woher soll denn der ganze Wasserstoff kommen?
Wasserstoff hilft uns für den Klimaschutz nur weiter, wenn er mit regenerativ erzeugtem Strom hergestellt wird. Ich habe aber auch nichts dagegen, wenn wir Wasserstoff importieren – beispielsweise aus Ländern mit viel Wasserkraft oder Solarenergie. Warum sollten wir nicht Wasserstoff importieren, so wie wir heute Kohle, Gas und Erdöl importieren?
Was versprechen Sie sich von einer Nutzung von Wasserstoff in großem Stil?
Über den Wasserstoff können wir Energieproduktion und Energieverbrauch miteinander verbinden. Daran arbeiten wir etwa in Hamburg in unserem Reallabor NEW 4.0, für das Unternehmen und der Bund 350 Mio. Euro zur Verfügung stellen. Dort gibt es reihenweise Ideen für konkrete Projekte etwa in der Industrie – auch solche, die leicht skalierbar sind, wenn man sie einmal entwickelt hat. Dann werden viele Unternehmen die Ideen übernehmen. Natürlich hat die Wasserstoffproduktion noch einen mäßigen Wirkungsgrad, ist also mit Verlusten bei der Elektrolyse verbunden. Aber auf der Technologieseite können wir in den nächsten Jahren große Fortschritte erwarten. Wenn wir unsere Ingenieure auf den Weg schicken, werden sie für viele Probleme eine Lösung finden.
In Hamburg steht heute noch einer der größten CO2-Verursacher im Norden: das Steinkohlekraftwerk Moorburg. Setzen Sie für Ihre Klimabilanz darauf, dass das Kraftwerk im Zuge des Kohleausstiegs bald vom Netz geht?
Das Kohlekraftwerk in Moorburg liefert den Strom ja nach ganz Deutschland, nicht nur nach Hamburg. Der Betreiber Vattenfall kann Deutschland einen Gefallen tun, wenn das Kraftwerk künftig mit einem anderen Brennstoff als Kohle versorgt wird. Deshalb bin ich sehr dafür, hierfür gemeinsam mit Vattenfall eine Lösung zu finden.
Mehr zum Hamburger Klimaplan und der Rolle der Industrie lesen Sie in der Capital-Ausgabe , die am 20. Februar erscheint. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay