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Klima-Budget und Ziele Klimaschutz in Europa: Schweden und Briten lockern ihre Politik

Rishi Sunak
Der britische Premierminister Rishi Sunak verlässt die Pressekonferenz, bei der er die Aufweichung der Klimaziele angekündigt hat
© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Justin Tallis
Schweden kürzt sein Klimabudget, Großbritannien weicht seine Ziele auf. Das hat zwar verschiedene Gründe, zeigt aber: Der Westen hat beim Klimaschutz vor allem einen großen Fehler gemacht

Wenn jemand die Klimawende schafft, dann ist es wohl Schweden. Mit der 1991 eingeführten CO2-Steuer, Emissionszielen, die die Vorsätze aus Paris übertreffen, und einer beispiellosen Müllentsorgung hat sich das Land zum Klima-Musterschüler gestrebert. In internationalen Rankings, etwa dem Climate Change Performance Index (CCPI), stehen Skandinavier ganz oben – angeführt von Schweden. Doch jetzt tritt die Regierung in Stockholm auf die Bremse.

Im Haushaltsplan für das Jahr 2024 hat die rechte Koalition in dieser Woche 259 Millionen Kronen (etwa 22 Millionen Euro) für Klima- und Umweltschutz gestrichen. Außerdem werden die Steuern auf Benzin und Diesel gesenkt. Seine für 2030 gesteckten Verkehrsziele kann das Land damit vergessen. Schätzungen zufolge werden bis dahin durch die Steuersenkung sechs bis zehn Millionen Tonnen CO2 zusätzlich ausgestoßen.

Und Schweden ist kein Einzelfall in Europa: Beinahe zeitgleich kündigte der britische Premierminister Rishi Sunak an, die Klimaziele Großbritanniens zu verschieben. Das Aus für die Verbrenner kommt nicht 2030, sondern fünf Jahre später, die Umstellung von Gas- und Ölheizungen auf Wärmepumpen will Sunak ebenfalls verzögern. Und Steuern auf Fleisch, Flüge und Urlaub habe er direkt „in die Tonne befördert“, verkündete der Premier und argumentierte damit, dass Großbritannien sein Soll beim Klimaschutz schon mehr als erfüllt habe.

Verglichen mit anderen G7-Staaten stimmt das auch. Die Briten haben ihren Treibhausgasausstoß seit 1990 stärker gesenkt als alle anderen. Jeder sechste britische Neuwagen in diesem Jahr war ein E-Auto, mehr als im internationalen Durchschnitt.

Wirtschaft schlägt Klimaschutz

Die beiden Beispiele zeigen einmal mehr, dass der Klimaschutz in der aktuellen weltpolitischen Gemengelage einen schweren Stand hat. Schweden rechtfertigt seine Budgetkürzungen etwa mit den derzeitigen wirtschaftlichen Herausforderungen. Finanzministerin Elisabeth Svantesson warnte vor steigender Arbeitslosigkeit und hoher Inflation in den kommenden Jahren. Dazu kämen Probleme mit der inneren Sicherheit und der Ukrainekrieg, sagte die Finanzministerin – nicht ohne hervorzuheben, dass die Regierung zumindest die wirtschaftlichen Probleme mit mehr Geld für Sozialleistungen und Steuersenkungen angehen werde. Und: „Wirtschaftlich ist Schweden im zweiten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 2 Prozent geschrumpft – lediglich in Estland ging die Wirtschaftsleistung noch stärker zurück“, sagt Jens Marquardt, der an der TU Darmstadt unter anderem zu internationaler Klimapolitik forscht.

Dass in wirtschaftlichen Krisensituationen der Klimaschutz meist verliert, zeigt auch eine aktuelle Studie des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, die im Fachblatt „Nature Climate Change“ erschienen ist. Dafür analysierten die Forscher die Haltung der Menschen in den Vereinigten Staaten und 15 europäischen Ländern im Zeitraum von 2000 bis 2019. Wirtschaftliche Rückschläge können demnach dazu führen, dass Menschen den Klimaschutz kritischer betrachten. Sind Einkommen, Lebensstandard und Arbeitsplätze bedroht, rückt der Umweltschutz schnell in den Hintergrund, so das Ergebnis der Studie.

Das machen sich Politiker im Wahlkampf zunutze. Premierminister Sunak stritt zwar ab, die bisher eher schlechten Umfragewerte mit den Anti-Klima-Plänen aufpolieren zu wollen. Laut einer Blitzumfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov unterstützen aber 50 Prozent der Briten das verschobene Brenner-Aus. Nur 34 Prozent der mehr als 3000 Befragten sind demnach dafür, die bisherigen Klimaziele weiterzuverfolgen. Und bei den Nachwahlen im Juli siegten die Tories im Wahlbezirk Uxbridge bei London sehr wahrscheinlich, weil der dortige Kandidat sich dagegen eingesetzt hatte, dass der Ort zur Umweltzone wird, in der nur noch Fahrzeuge mit niedrigem Schadstoffausstoß Zugang haben. Viele Bewohner, die nach London pendeln, hätten sich bei einem Sieg der Labour-Partei wahrscheinlich ein neues Auto kaufen müssen.

Während die Wähler den Anti-Klimakurs der britischen Regierung wohl mit Stimmen honorieren, kommt aus der Wirtschaft Kritik. Drastische Worte fand etwa der Autohersteller Ford. Er warf Sunak in einer Mitteilung vor, die Bedürfnisse der Industrie zu missachten. Kritische Stimmen warnten zudem davor, dass die Pläne des britischen Premiers bereits abgeschlossene Investitionen in die Umstellung auf E-Mobilität gefährden würden.

Die Klimapolitik war bisher zu wirtschaftlich

Ging es um Klimaschutz, haben Politiker in der Vergangenheit vor allem die Wirtschaft in die Pflicht genommen. Beispiel Schweden: „Das Land hat sich den Ruf als Klima-Musterschüler unter der Prämisse aufgebaut, 'Wir schaffen das durch technologischen Fortschritt'“, sagt Klimapolitikwissenschaftler Marquardt. Das sei auch ein logischer Schritt, weil die meisten Emissionen in der Industrie entstünden. Auch in Großbritannien stand die Wirtschaft im Mittelpunkt, zeigen die Reaktionen auf Sunaks Klima-Pläne.

Aber damit haben viele Regierungen, auch die Ampel-Koalition in Deutschland, die Menschen abhängt. Marquardt mahnt: „Klimafreundliche Gesellschaft bedeutet nicht, dass wir überall Windräder aufstellen, und dann war es das.“

Den Bürgern den Kampf gegen die Erderwärmung schmackhaft zu machen, ist eine Mammutaufgabe, weil es um Verzicht und Umverteilung geht. Mehrere Umfragen konnten bereits zeigen, dass Bürger die Klimaschutzziele mehrheitlich unterstützen – so lange, bis sie selbst betroffen sind. Und genau dann wird Klimaschutz von Misserfolgen gekrönt, wie Habecks Heizungsgesetz oder die Mobilitätsdebatte zeigen.

Elektroautos zu fördern, löst das soziale Problem aber auch nicht. Subventionen kommen nur bei Bevölkerungsgruppen an, die sich solche Autos sowieso schon leisten können, alle anderen sind weiter auf die Verbrenner angewiesen. „Und den Leuten zu sagen, dass sie ab 2030 ohne Auto auskommen müssen, wäre politischer Suizid“, meint Marquardt.

Eine verfehlte Klimawende wäre fatal

Damit bewegt sich Europa auf einem Scheideweg: Die Länder müssen klären, ob sie im Kampf gegen den Klimawandel kapitulieren oder die Bürger mit einbeziehen. „Allen ist klar, dass etwas passieren muss. Aber es bleibt die Frage, wie sozial gerechte Klimapolitik aussehen kann“, sagt Marquardt. Ein Beispiel ist Österreich: Mit dem Klimabonus macht die Alpenrepublik vor, wie die Verursacher der Emissionen zur Kasse gebeten werden und die Bevölkerung vom Klimaschutz profitiert.

Das löst aber nicht alle Probleme. Klimaschutz als Sozialpolitik bleibt extrem heikel, insbesondere weil es dabei um Umverteilung und Verbote geht. Das sehen nicht nur die Deutschen beim Autofahren kritisch. Viele Parteien fürchten sich laut Marquardt davor, Klimaschutz an soziale Fragen zu knüpfen, „weil das bedeuten könnte, dass sie den nächsten Wahlkampf politisch nicht überleben“.

Das trifft wohl auch gerade vor allem auf Schweden und Großbritannien zu. Abstriche beim Klimaschutz hält der Politikwissenschaftler aber für ein gefährliches Signal. Wenn selbst Schweden an einer wirksamen Klimaschutzpolitik scheitert, dann schafft es auch sonst niemand, könnten viele andere Länder argumentieren. Das beträfe nicht nur Europa, befürchtet Marquardt. „Auch die Länder im Globalen Süden würden sich zu Recht fragen, warum sie sich noch anstrengen sollen.“

Der Beitrag ist zuerst bei stern.de erschienen

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