Der Druck einer Lüge wiegt schwer. Über Monate hinweg hatten sich die Geschäftszahlen gut entwickelt, doch um die steile Kurve fortzuführen, reichten sie nicht mehr. Die Gründer, beide noch jung, hielten den hohen Erfolgsdruck nicht aus. Sie sollen die Rohdaten der Finanzzahlen gefälscht haben, um ihre makellose Wachstumsstory weiter erzählen zu können. Kurze Zeit später platzte der Traum, sie flogen auf und mussten ihr einst gehyptes Start-up verlassen. Die Geschichte erzählen einige der beteiligten Personen über das Berliner Unternehmen. Auch Investoren bestätigen das.
Der Name des Unternehmens tut nicht zur Sache, denn es gibt mehrere ähnliche Geschichten. Das Prinzip des „Fake it till you make it“ hat sich in den vergangenen Jahren in der internationalen Start-up-Szene verbreitet. Sich größer zu machen, als man ist, kommt regelmäßig vor. Es gibt viele Tricks – von kleinen Ungenauigkeiten (Zahlen stark aufrunden) bis hin zum Überbewerten von Technologie. (Die Künstliche Intelligenz wird als Heilsbringer genannt, während viele Werkstudenten die Arbeit der „KI“ eigentlich erledigen).
„Oh shit, Ihr habt euer Versprechen nicht gehalten“
Aktuelle Extrembeispiele dieses Prinzips sind die deutsche Payment-Hoffnung Wirecard , die in einen Bilanz-Skandal verwickelt ist und einen großen Teil der Umsätze erfunden hat, und das Augmented-Reality-Start-up Magic Leap. Insgesamt 3 Mrd. Dollar hat der Gründer Rony Abovitz von Geldgebern eingesammelt, um eine Brille zu entwickeln, die Realität und digitale Elemente vermischt.
Auch seine Vison platzte erst kürzlich. Der Wirtschaftsdienst Bloomberg zitierte einen nicht namentlich genannten Geldgeber, der beschrieb, wie alle Investoren an die große Vision glauben wollten. „Niemand hielt inne, um zu sagen: ‚Dieses Produkt ist scheiße‘. Das erste Mal, als ich das echte Produkt aufsetzte, dachte ich ‚Oh shit, Ihr habt euer Versprechen nicht gehalten.‘“ Nicht irgendwelche Wald-und-Wiesen-Investoren haben die Milliarden in Magic Leap gesteckt, sondern Tech-Giganten wie Google und Alibaba.
Es geht auch anders. Gerade die großen Wachstumsgeschichten, die von einer bodenständigen Kommunikation begleitet werden, erzeugen den größten Respekt. Etwa das Münchner Milliarden-Unternehmen Celonis . Die drei Gründer treten selbstbewusst auf. Ihnen ist bewusst, was sie erreicht haben, gleichzeitig haben sie nie Luftschlösser für die kommenden Jahre auf. Ein nächster Schritt ist es, schon auf dem Weg zum Erfolg ehrlich über die Höhen und Tiefen zu sprechen.
Offenheit – nicht erst nach dem Exit
Als ich vor einigen Jahren noch als freier Journalist den Berliner Gründer Julian Leitlof kennenlernte, war er einer der wenigen, die offen mit mir sprachen. Für ein Gehaltsprotokoll erzählte er, wie viel er jeden Monat verdient. Es waren damals 2200 Euro. Das erschien nicht viel, selbst für jemanden, der aus der Medienbranche kommt. Julian führte schon etwa 20 Leute in seinem Start-up, das Schmuck aus dem 3D-Drucker herstellt.
Wir blieben in Kontakt und ich bekam mit, was er mit Mitte 20 alles erlebte: Er musste seinen besten Freund feuern, mit dem er sein Start-up Stilnest zusammen gegründet und aufgebaut hatte. Später stritt er sich mit seinen eigenen Investoren. Gleichzeitig gab es auch die ersten Erfolge, als plötzlich der Durchbruch gelang – mit mehreren hunderttausend Euro Umsatz in wenigen Tagen. Seine Geschichte habe ich in dem Buch „Keinhorn“ aufgeschrieben.
Sie steht stellvertretend für eine andere Art der Start-up-Geschichte. Sie soll weitere Gründer dazu ermutigen, offen über ihren Werdegang zu sprechen. Nicht erst, wenn der Exit gelungen ist und die Millionen auf dem Konto liegen, sondern auf dem Weg dahin. Selbst Jahre später wollen viele bereits erfolgreiche Gründer nicht über geplatzte Finanzierungsrunde und Krisen sprechen. Die viel geforderte Fehlerkultur wird sich anders in Deutschland nicht erreichen lassen. Fast alle wahren nach außen den Schein des großen Erfolgs und problemlosen Aufstiegs.
Es gehört dazu, um ernst genommen zu werden
Generell gibt es zwei Unterschiede: Die Start-ups, die vorgaukeln mit ihrer Technologie etwas zu können, was nicht funktioniert. Theranos ist dafür das beste Beispiel, die Gründerin Elizabeth Holmes wollte ein Blutanalyse-Verfahren entwickeln, das es vielen Menschen ermöglicht, sich nur mit einem Bluttropfen untersuchen zu lassen. Doch es war technisch nicht möglich. Holmes und ihr Komplize trieben es so weit, dass sie damit Menschleben gefährdeten. Obwohl das Verfahren nicht funktionierte, testeten sie trotzdem Menschen auf Krankheiten. Theranos zählt natürlich zu den Extremfällen, man muss nicht darüber diskutieren, dass es falsch ist.
Und es gibt eine Kommunikation nach einem bestimmten Prinzip. Die Unternehmen machen sich größer als sie sind, in dem sie falsche oder irreführende Zahlen und Fakten nach außen geben – oder Ziele formuliere, die sich nicht erreichen lassen. Genau diese Art von Kommunikation wird mittlerweile von vielen Gründern und Investoren als legitim betrachtet. Es gehört einfach dazu, um ernst genommen zu werden, lautet ein Argument.
Doch weil es fast jeder im Markt macht, ist es mittlerweile „eingepreist“. Professionelle Start-up-Investoren und langjährige Marktbeobachter entziffern die Bullshit-Kommunikation oft sofort. Auch Gründer selbst wissen, dass bei den Kollegen von anderen Start-up nicht alles gut läuft, das sehen sie ja an ihrem eigenen Unternehmen spätestens. In dem Meer von Unehrlichkeit ergibt sich die Chance, mit einer offenen Kommunikation herauszustechen. Ein Gründer wird vielmehr Gehör finden, wenn er ehrlich über seine Misserfolge spricht – und nicht nur über die tollen erreichten Ziele.