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Essay Keine Angst vor Macht

Die Bedeutung von Macht und Führung verändert sich. Einseitige Machtmodelle funktionieren nicht mehr. Besonders weibliche Führungskräfte leben das Prinzip vom Teilen der Macht. Von Simone Menne
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Die 52-jährige Simone Menne ist seit gut einem Jahr im Vorstand der Lufthansa. Dort verantwortet sie das Finanzressort – als erste Frau überhaupt in einem DAX-Konzern.

Macht ermöglicht Veränderung. Ich wage zu behaupten, dass heutzutage jeder von uns den Wunsch hegt, Einfluss zu nehmen – sei es privat oder beruflich. Ich habe in meinem Leben immer um Macht gekämpft, damit ich Dinge zum Besseren verändern kann. Und als Finanzvorstand eines DAX-Konzerns habe ich mittlerweile das Gefühl, dass ich diese Form der Macht habe. Das ist ein gutes Gefühl. Ich merke, dass ich glücklich bin, dass es Spaß macht und dass es gut ist, diese Macht zu haben und ausüben zu können. Deshalb sage ich: Scheuen Sie sich nicht davor, Macht zu haben und auszuüben. Das kann einen glücklich machen.

Macht zu besitzen bedeutet aber auch, Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, die nicht immer leicht sind, die Konflikte bergen und Kompromisse bedeuten, mit denen naturgemäß nicht alle glücklich sind. In diesem Jahr haben wir bei Lufthansa die schwierige Entscheidung getroffen, mittelfristig Standorte in Deutschland zu schließen. Diese Seite der Machtmedaille gefällt mir nicht, auch wenn ich um die Notwendigkeit der Maßnahmen weiß. Das sind die Momente, in denen Macht einsam machen kann.

Und ein weiteres Thema gibt mir nach einem Jahr in diesem Job besonders zu denken: Macht ist ein zweischneidiges Schwert. Sie schafft zwar die Möglichkeit zur Veränderung, sie verändert aber auch die Persönlichkeit. Menschen, die lange Zeit eine Machtposition innehatten, sind oftmals nicht mehr dieselben wie vorher. Macht kann korrumpieren, sie kann zu Heuchelei und Egois­mus verführen. Macht ist also auch gefährlich. Vor dieser Persönlichkeitsveränderung muss man sich hüten – und zwar bewusst und immer wieder.

Macht der Öffentlichkeit

Was bedeutet das alles nun für unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert – im Zeitalter der Digitalisierung? In der Vergangenheit manifestierte sich Macht meist in einer gewissen Position, nährte sich aus Hierarchien, Wissen und Information. Diese Grundpfeiler der Macht sind noch immer dieselben. Aber es gibt auch eine Verschiebung im Machtgefüge: Der Zugang zu Informationen und Wissen ist heute deutlich einfacher – sowohl im Alltag als auch im Unternehmen. Die alten Machtmodelle funktionieren nicht mehr so wie früher. Es gibt eine immer stärker werdende „Macht der Öffentlichkeit“, die die Digitalisierung für ihre Zwecke nutzt. Auch die Macht von Mitarbeitern wächst, wenn sie zum Beispiel im Intranet über kontroverse Themen diskutieren und einen regelrechten Sturm der Entrüstung heraufbeschwören.

Was wir angesichts dieser Entwicklung in Unternehmen brauchen, erscheint manchen Führungskräften durchaus paradox: Man muss Macht abgeben, um als Unternehmen eine Führungsposition zu erlangen und als Vorstandsmitglied eine Führungsrolle zu übernehmen. Um in einem Konzern erfolgreich zu sein, muss man Informationen teilen, Innovationen fördern und die Zusammen­arbeit unterstützen. Nun teilen Menschen in Machtpositionen ihre Macht nur höchst ungern – unabhängig vom Geschlecht. Wie Frauen mit Macht umgehen, dazu gibt es zwar sehr unter­schiedliche Meinungen. Ich glaube, dass Frauen genauso gerne wie Männer Macht besitzen, nutzen und sie manchmal sogar missbrauchen. Es gibt aber auch Belege dafür, dass Frauen Macht eher im sozialen Bereich nutzen und einsetzen, um etwas Gutes für die Gesellschaft oder eine Gruppe zu tun, und sie weniger zum eigenen Vorteil gebrauchen.

Die Tatsache, dass zunehmend mehr Frauen Führungspositionen übernehmen, hilft also vielleicht dabei, das erwähnte Paradoxon aufzulösen, Führungsrollen zu teilen und in der Gesellschaft und in Unternehmen Fortschritte zu erzielen. Ob nun Mann oder Frau – Macht ist und bleibt ein zweischneidiges Schwert. Es gilt, sie bewusst und verantwortungsvoll einzusetzen. Dann kann Macht viel bewirken.

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Foto: © Getty Images

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