Jenny Genger schreibt in ihrer Kolumne über Unternehmensführung, Netzwerke und Karrierethemen.
Überdurchschnittlich lange 13 Jahre hat Steve Ballmer Microsoft geführt. Mitte August, mitten in dieser ungeraden Amtsperiode hat er dann eben mal seinen Rücktritt verkündet. Die Reaktionen, Kommentare und der kräftige Aktienkursanstieg lassen darauf schließen, dass wohl niemand so richtig traurig über diese Entscheidung ist. Wie auch immer sie wirklich zustande gekommen ist: auf eigenen Wunsch oder nach massivem Druck. Verwunderlicher ist vielmehr, warum Ballmer verkündet, dass er seinen Platz in einem Jahr räumen wird. In einem Jahr erst!
Und nun sitzt Ballmer also zwölf Monate in der Firmenzentrale in Redmond in seinem Chefzimmer rum und sinniert darüber, was er ab kommenden Sommer mit seiner Zeit und seinen 15 Mrd. Dollar Vermögen anstellen wird? Über Microsoft wird er zumindest nicht mehr ganz so intensiv nachdenken müssen. Denn seine Vorstellungen und Entscheidungen sind jetzt ziemlich irrelevant. Mitarbeiter, Investoren, Geschäftspartner, Kunden – alle wollen doch jetzt nur wissen, wer künftig das Sagen hat und die dringend erforderlichen Antworten auf Fragen nach der Vision und Strategie des Konzerns geben wird. Ballmer ist nun definitiv die in solchen Zusammenhängen gern bemühte lahme Ente.
Mit ein bisschen Rumgeschnatter kann sich Microsoft aber nicht über die kommenden Monate hangeln. Ein zwölfmonatiges Führungsvakuum kann sich in der schnelllebigen Wirtschaftswelt heute keine Organisation leisten - in der vom rasanten Technologiewandel geprägten und prägenden IT-Industrie erst recht nicht.
Wer oder was hat Ballmer also dazu getrieben, seinen Abschied jetzt schon zu verkünden? Ganz formal natürlich das Regelwerk der Börsenaufsicht, das fordert, sämtliche relevanten Entscheidungen umgehend publik zu machen, um alle Investoren auf dem gleichen Wissensstand zu halten. Das hat seine Berechtigung und wird angesichts des drohenden juristischen Nachspiels auch penibel beachtet. Wir erinnern uns hierzulande an den Abgang von Daimler-Chef Jürgen Schrempp: eine Erlösung im Sommer 2005 nach dem ganzen Debakel um die misslungene Fusion mit dem US-Konkurrenten Chrysler. Allerdings hatte der Aufsichtsrat schon zwei Monate zuvor über die frühzeitige Auflösung des Vertrags verhandelt, die umgehende Pflichtmitteilung an die Aktionäre aber unterlassen.
Immerhin präsentierte Daimler damals mit Dieter Zetsche gleich einen Nachfolger für Schrempp. Microsoft dagegen fängt jetzt gerade erst mit der Suche an - was schon ein Armutszeugnis und eine eklatante Verantwortungslosigkeit an sich ist. Hat das zuständige Führungsgremium also geglaubt, es könnte potenzielle Kandidaten vorher noch nicht ansprechen, weil sich damit das Gerücht über eine Ablösung Ballmers verbreiten würde und somit Insider-Informationen im Umlauf kommen würden? Das wäre eine krude Logik. Schließlich ist es nicht so ungewöhnlich, dass für die Besetzung in börsennotierten Konzernen idealerweise frühzeitig auch mehrere externe Kandidaten angesprochen werden. Dafür gibt es auch in Deutschland etwa mit Bayer, BASF oder Henkel Beispiele, bei denen das professionell, ruhig und ohne langwieriges Führungsvakuum vonstattengeht.
Der Chefwechsel läuft heute zunehmend anarchistisch. Da macht einfach jeder, was er will und was ihm gerade passt. Bei SAP kündigt Co-Chef Jim Hagemann Snabe ebenfalls Knall auf Fall seinen Rücktritt für kommendes Jahr an, um dann in den Aufsichtsrat zu wechseln. Bei Siemens wird Vorstandschef Peter Löscher innerhalb eines Wochenendes gestürzt und rasch der naheliegendste interne Nachfolger inthronisiert. Air-Berlin-Chef Joachim Hunold verkündete einst überstürzt am Rande eines Termins seinen Abgang und an allen Instanzen vorbei gleich noch seinen Wunschnachfolger. Beim Nachrichtenmagazin Spiegel wird die Chefredaktion entmachtet und der Nachfolger löst bereits vor seinem Amtsantritt mit voreiligen Entscheidungen einen erbitterten Machtkampf aus.
Zunehmende Taktung und Druck mögen für alle Entscheider steigen. Überstürzte Wechsel in der Chefetage paralysieren dagegen den ganzen Betrieb.
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