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Kommentar Kein zweiter Marshall Plan

Deutschland braucht keine Belehrungen - schon gar nicht von George Soros. Die Deutschen wissen, was sie an Europa haben, deshalb helfen sie den Krisenländern großzügig. Von Melvyn Krauss
Tut Deutschland genug für Europa?
Tut Deutschland genug für Europa?
© Getty Images

Der Spekulant George Soros hat die Deutschen kürzlich in einer Rede in Kiel an den Pranger gestellt, weil sie angeblich nicht so großzügig gegenüber der europäischen Peripherie sind wie die Amerikaner gegenüber Westeuropa nach dem zweiten Weltkrieg. Soros verlangt einen neuen Marshall Plan für Europas Süden, den Deutschland bezahlen soll.

Doch der Marshall Plan war nicht – wie Mr. Soros ihn darstellt – eine rein selbstlose Anstrengung, sondern das Ergebnis tiefer und berechtigter Sorge, dass Europa nach dem Krieg von Kommunisten untergraben werden könnte. „Wir müssen die Europäer wirtschaftlich wieder auf die Beine bringen“, dachte man sich in Washington, „dann werden sie Uncle Joe die kalte Schulter zeigen“. Uncle Joe war damals in den amerikanischen Medien eine beliebte Bezeichnung für Josef Stalin.

Das hatte wenig mit Großzügigkeit zu tun. Zur Wahrheit gehört auch, dass der Marshall Plan in weiten Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit nach dem Krieg extrem unpopulär war. Als der Plan in einer Rede an der Universität Harvard bekanntgegeben wurde, waren keine US-Journalisten eingeladen, um das Thema aus den amerikanischen Medien herauszuhalten. Präsident Harry Truman berief sogar am gleichen Tag, dem 5. Juni 1947, noch eine andere Pressekonferenz ein, um die Schlagzeilen der US-Presse umzulenken. Nur mit großer Entschlossenheit und einem Schuss List gelang es der Washingtoner Elite, den Marshall Plan gegen den Widerstand der isolationistischen Öffentlichkeit durch den Kongress zu bringen.

Deutschland ist großzügig

Melvyn Krauss ist emeretierter Professor für Volkswirtschaft an der New York University
Melvyn Krauss ist emeretierter Professor für Volkswirtschaft an der New York University

Es ist also bösartig, unfair und unkorrekt, den Marshall Plan jetzt als Strohmann aufzubauen, um den Deutschen mit Schuldgefühlen noch mehr Geld für den europäischen Süden abzujagen. Die Deutschen sind heute in jeder Hinsicht genauso großzügig gegenüber den europäischen Randstaaten wie die Amerikaner es gegenüber Westeuropa waren – wenn nicht sogar noch großzügiger.

Wo die Amerikaner tatsächlich weise Voraussicht und echte Großzügigkeit demonstrierten, war ihre Unterstützung eines regionalen Ansatzes beim ökonomischen Wiederaufbau als Gegenpol zum Nationalismus. Washington setzte sich zum Beispiel dafür ein, dass für die westeuropäischen Zollunionen eine Ausnahme im damaligen internationalen Handelsrecht geschaffen wurde – auch wenn das letztlich zu organisierter Diskriminierung gegen US-Exporte nach Europa führte. Eine Zollunion mit freiem Binnenhandel aber Zollwällen nach außen ist der Gegenpol zum Meistbegünstigungsprinzip, das Gleichberechtigung aller Handelspartner fordert. Doch Washington bestand darauf, das damalige GATT-Abkommen zu erweitern in der Hoffnung, dass die europäische Integration nationalistische Tendenzen, insbesondere in Deutschland, ersticken würde.

Und was für Erfolge hat diese Politik gebracht! Warum sonst würden die Deutschen Geld in den Süden schicken und finanzielle Garantien für die Peripherieländer übernehmen, warum sonst würden sie sich als überzeugte und entschlossene Europäer verstehen?

Keine Belehrung von Soros

Die Tatsache, dass Berlin heute die De-facto-Hauptstadt Europas ist – und nicht London, Paris, Brüssel oder Rom – zeigt, dass Washingtons frühe Bemühungen um die europäische Einigung funktioniert haben. Wir schulden daher enorme Dankbarkeit weniger dem Marshall Plan, sondern den amerikanischen Architekten der europäischen Integrationspolitik.

Die Deutschen haben es nicht nötig, belehrt zu werden, wie man sich als „gute Europäer“ verhält, noch verdienen sie es – schon gar nicht von einem milliardenschweren Währungsspekulant aus New York City, dessen „Ruhm“ auf einer Wette gegen die Bank of England beruht.

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