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Firmeninsolvenzen Wo bleibt die große Pleitewelle?

Die Einmachgläser-Fabrik von Weck in Bonn
Die Einmachgläser-Fabrik von Weck in Bonn. Der Hauptsitz der J. Weck GmbH u. Co. KG ist im badischen Wehr
© picture alliance / | R4223
Schon zu Beginn der Coronapandemie wurde eine große Insolvenzwelle befürchtet, doch der Staat steuerte gegen und größere Firmenpleiten blieben vorerst aus. Nun häufen sich die Meldungen wieder

Kommt sie oder kommt sie nicht? Schon nach dem ersten Corona-Lockdown 2020 sollte sie anrollen, doch bis heute blieb sie im gefürchteten Ausmaß aus: die große Insolvenzwelle. Nun aber häufen sich die Meldungen mal wieder: Orsay, Görtz, Peek & Cloppenburg Düsseldorf, Reno, Galeria Karstadt Kaufhof, Feinkost Schlemmermeyer, Hallhuber und die Einmachglas-Traditionsfirma Weck – sie alle und zahlreiche weitere Firmen mussten in den vergangenen Wochen und Monaten Insolvenz anmelden.

Tatsächlich beobachteten Statistikerinnen und Statistiker im Frühjahr einen Anstieg der Firmenpleiten: Im Februar beantragten 10,8 Prozent mehr Unternehmen ein Regelinsolvenzverfahren als im Vormonat, im März stieg die Zahl sogar noch einmal um 13,2 Prozent. Vergleicht man das erste Quartal 2023 mit dem von 2022, dann stieg die Zahl der Insolvenzen binnen eines Jahres sogar um 18,2 Prozent auf 4117 Fälle.

Laut den Amtsgerichten geht es dabei um Forderungen der Gläubiger in Höhe von rund 6,7 Mrd. Euro. Am meisten strauchelten Firmen aus dem Baugewerbe und dem Handel. Betrachtet man das gesamte erste Quartal, kommen die meisten Insolvenzanträge von Firmen aus den Bereichen Verkehr und Lagerei, aber auch Bergbau und wirtschaftliche Dienstleistungen, worunter zum Beispiel Zeitarbeitsfirmen fallen.

„Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nimmt bereits seit August 2022 kontinuierlich zu“, schreiben die Statistiker. Doch ein geradliniger Trend ist derzeit noch schwer erkennbar, vielmehr ist es ein Auf und Ab. Denn im April sanken die Insolvenzzahlen wieder und gingen im Vergleich zum Vormonat um 14,1 Prozent zurück. Im Mai nahmen sie hingegen wieder um 3,1 Prozent zu. Die hoffnungsvollen Daten könnten allerdings auf Verzögerungen beim Meldeverfahren zurückzuführen sein: Die Insolvenzfälle fließen erst nach der ersten Entscheidung des Insolvenzgerichts in die Statistik ein. Der tatsächliche Zeitpunkt des Insolvenzantrags liege in vielen Fällen annähernd drei Monate davor, so die Statistiker.

Insolvenzverwalter sieht keine Welle

Die Insolvenzverwalter sehen vorerst keinen großen Grund zur Sorge. Die Fälle nähmen seit einiger Zeit zu, doch das Gesamtniveau an Insolvenzen sei bisher relativ niedrig gewesen, heißt es aus der Branche. Die Aufmerksamkeit für Insolvenzanträge sei in diesem Fall häufig größer als sonst. „Es sind prominente Fälle von Unternehmen, die viele Menschen kennen“, sagt Insolvenzverwalter Holger Rhode von der Wirtschaftskanzlei Görg. „Sie zählen alle zu kritischen Branchen, die ohnehin in Umbrüchen und Transformationen stecken. Insolvente Mittelständler sehen wir dagegen kaum, das lässt hoffen.“

Obwohl die Lage für Firmen wegen der Coronapandemie und den kriegsbegingt gestiegenen Energiepreisen 2020, 2021 und 2022 schwierig war, mussten bisher vergleichsweise wenige Insolvenz anmelden. Das hängt auch mit umfangreichen staatlichen Hilfen zusammen, die die Bundesregierung gewährte: Von Anfang März 2020 bis Mai 2021 war die Insolvenzantragspflicht für überschuldete Unternehmen wegen der Coronapandemie ganz oder teilweise ausgesetzt. Für Firmen, die vom Hochwasser im Juli 2021 an der Ahr betroffen waren, galt diese Frist bis Ende Januar 2022.

Zu den staatlichen Regeländerungen kamen vielfach Stundungsmöglichkeiten: Einige Vermieter zum Beispiel verzichteten vorerst auf Mietzahlungen. Auch viele Finanzämter kamen den Betroffenen entgegen. Bei denjenigen Unternehmen, die dennoch in die Insolvenz rutschten, lag das unter anderem an zurückgeforderten Coronahilfen, nachgeforderten Steuern oder einer geringeren Kundennachfrage samt schrumpfender Einnahmen, sagt Rhode. „Aber die große Welle ist das mit Sicherheit nicht.“

Doch dass diese Welle vorerst ausbleibt, heißt nicht, dass es in allen Branchen rosig läuft. Der Einzelhandel stehe nach wie vor unter Druck, so Rhode. Hier sei eine Trendwende erkennbar, die auf weitere Insolvenzen schließen lasse. „Der Peak ist noch nicht überschritten, außer wohl im Textilbereich.“ Auch Firmen aus dem Gesundheitsbereich wie Pflegeheime und Krankenhäuser könnte es künftig treffen. Sie sind vielfach von gestiegenen Energiekosten betroffen, aber auch von inflationsbedingten höheren Mieten und Personalkosten. Die enormen Zinserhöhungen und gestiegene Baukosten wiederum machen Unternehmen aus der Immobilienbranche zu schaffen. In diesem Bereich rechnen Experten zukünftig ebenfalls mit Insolvenzen. Einige von ihnen könnten als sogenannte Zombie-Firmen erst einmal weiter existieren. Als solche gelten Unternehmen, die sich nicht mehr allein durch ihr Geschäft tragen können, sondern die durch Zuschüsse oder Sonderregelungen künstlich am Leben gehalten werden.

Und dennoch: Auch der Blick auf den europäischen Vergleich zeigt, dass es für deutsche Firmen nach wie vor glimpflich läuft: Nach einer Untersuchung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform nahmen die Insolvenzen 2022 hierzulande um 3,8 Prozent zu, wohingegen das Wachstum in anderen westeuropäischen Ländern signifikant höher lag. In Spanien notierte Creditreform 16 Prozent mehr Insolvenzfälle, in den Niederlanden knapp 21 Prozent mehr, und in Frankreich und Österreich sogar 50 bzw. rund 60 Prozent. Insgesamt macht das einen Anstieg der Firmeninsolvenzen in den westlichen EU-Ländern einschließlich Schweiz, Norwegen und Großbritannien von knapp 140.000. Das entspricht einem Anstieg um 24 Prozent gegenüber dem Jahr davor.

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