Eine der brutalen kleinen Regeln in unserem journalistischen Gewerbe lautet: Kürzen geht immer. Stets. Notfalls ganz streichen. (Probieren Sie´s in diesem Text)
In der Online-Welt ist der Zwang dazu zwar – rein technisch - nicht mehr ganz so gnadenlos. Aber für die klassischen Kanäle gilt wie eh und je das eiserne Formatgesetz: Jeden Tag kann nur exakt so viel berichtet werden wie in eine Tageszeitung passt. Oder in eine Viertelstunde Tagesschau.
Platzbudget ist Platzbudget. Punkt. Gelegentliche Sonderausgaben zur Bundestagswahl und zum Weltuntergang bestätigen nur die Regel.
Seltsamerweise kriegen aber auch wir abgebrühten Dauerkürzer auf der Stelle weiche Knie, sobald uns wieder einmal jemand erzählt, der Staat habe in Deutschland einfach viel zu wenig Geld. Die Budgets und die Steuereinnahmen reichten schon für das Dringendste und Allernotwendigste nicht mehr aus. Hilfe!
Schlecht ernährte Kinder sitzen in Schulen, deren Dächer genauso zerbröseln wie die meistbefahrenen Autobahnbrücken und die Schleusen im Nord-Ostsee-Kanal. Über die Schlaglöcher auf den Straßen jammern selbst Grüne, die am liebsten sowieso die halbe Republik verkehrsberuhigen wollen.
Ja. Schlimm, schlimm, schlimm ist das alles. Selbst zentrale Staatsaufgaben werden unübersehbar vernachlässigt. Und die Wahlprogramme dieser Tage listen immer noch neue "Handlungsbedarfe" auf.
Aber heißt das wirklich, dass wir größere Budgets und höhere Steuern brauchen? Hier mein Antrag zur Geschäftsordnung: Fragen wir in diesem Wahlkampf konsequent nur nach Prioritäten.
Mich interessiert es, offen gestanden, überhaupt nicht, wofür die CDU oder die Grünen (oder die Roten oder die Gelben) noch alles Geld ausgeben würden, wenn das Geld eines Tages mal keine mehr Rolle spielen würde. Mich interessiert aber sehr, was für sie jeweils ganz besonders wichtig ist. Und was nicht. Nenne mir Deine Rangfolge und ich sage Dir, wer Du bist.
In unserem eigenen Gewerbe fangen gute Nachrichtentexte mit dem Wichtigsten an und steigen dann zum Zweit- Dritt- und Unwichtigsten herunter. Gekürzt wird von hinten weg, also das Unwichtigste zuerst. Einer will mehr Platz für seinen Spielbericht, weil sonst der Endstand nicht in den Artikel passt? Der hat vermutlich seinen ersten Tag im Job. Und wenn es dumm läuft auch seinen letzten.
„Kennedy erschossen“, „Papst tritt zurück“, „Bayern holt Triple“ - wer Top-News dieser Art bei sich nicht unterbringen kann, der hat selbstverständlich ein Problem. Aber das kommt garantiert nicht vom knappen Platzbudget. Sondern von fehlendem Urteilsvermögen und miserablen Auswahlprozessen. Von grober Unfähigkeit, zwischen wichtig und nachrangig zu unterscheiden. Zwischen essenziell, nice-to-have und Firlefanz.
Der deutsche Staat ist heute angeblich zu knapp bei Kasse, um die Kinder dieses Landes ordentlich zu bilden und um die zentralen Verkehrsadern auch nur intakt zu halten. Die gesamten Einnahmen dieses Staates erreichten im vergangenen Jahr aber immerhin 45,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Laut Bundesfinanzministerium war das der höchste Stand seit dem Jahr 2000.
Das reicht immer noch nicht für funktionierende Schulen und Brücken? Weil wir zuerst noch andere Dinge finanzieren müssen, die viel wichtiger sind? Liebe Leute – ich glaub´s nicht.
Christian Schütte schreibt an dieser Stelle jeweils am Dienstag über Ökonomie und Politik. Seine letzten Kolumnen: Next Stop Checkpoint Bravo und Das Wachstum und wir Gartenzwerge
E-Mail: schuette.christian@capital.de
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