Die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, einseitig Strafzölle zu verhängen, ist ein Schlag gegen die Welthandelsorganisation. Die WTO stellt ein beliebtes Ziel seiner Attacken dar. Die Verbündeten der USA sähen es gerne, wenn sich Trump für eine Reform der 164-Länder-Organisation stark machen würde, statt sie an den Rand zu drängen. Die Zukunft der WTO ist auch deshalb ungewiss, weil die Trump-Administration die Organisation einerseits umgeht, sich andererseits aber auf ihre Regularien beruft.
So hat die US-Regierung in der vergangenen Woche Zölle verhängt, die nach Ansicht vieler Verbündeter und Konkurrenten gegen WTO-Regeln verstoßen. Und Washington verhandelt direkt mit anderen Hauptstädten über Handelsabkommen außerhalb des WTO-Rahmens. Trump hat die WTO als „Desaster“ und „sehr unfair“ gegenüber den USA bezeichnet. Gleichzeitig verlangen die USA aber von ihren Verbündeten Unterstützung bei der Reform der Welthandelsorganisation und fordern die befreundeten Staaten auf, sich den Beschwerden gegen China bei der WTO anzuschließen. Die Verbündeten hoffen, dass sich letzterer Ansatz durchsetzt.
Japans Handelsminister Hiroshige Seko forderte am Freitag eine „WTO-zentrierte Lösung“. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, dass die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union „die Gespräche fortsetzen wollen, aber nur im Rahmen dessen, was wir alle in der WTO unterzeichnet haben“.
Ernüchterung gegenüber der WTO
Die EU und sechs weitere Länder – Japan gehört nicht dazu – haben Aufschub bei US-Zöllen von 25 Prozent auf Stahl und 10 Prozent auf Aluminium erhalten unter der Bedingung, dass sie bei der Beseitigung von Handelshemmnissen für US-Importe mitarbeiten. Die Verbündeten haben nun bis zum 1. Mai Zeit, um die US-Administration davon zu überzeugen, dass ihre Wünsche in Handelsfragen Berücksichtigung finden. Die bilateralen Gespräche haben bereits begonnen, und Südkorea hat in dieser Woche bereits ein dauerhaftes Abkommen geschlossen.
Der Rückgriff auf bilaterale Abkommen ist Ausdruck der Ernüchterung gegenüber der WTO, die 1995 als Nachfolgerin des 1948 geschlossenen Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens gegründet wurde. Im Jahr 2001, als China der Organisation beitrat, starteten die Mitglieder Gespräche über die Aktualisierung und Neufassung der globalen Handelsregeln, doch diese Bemühungen scheiterten vor einem Jahrzehnt.
Seitdem haben die Mitgliedstaaten Handelsverträge außerhalb des WTO-Rahmens ausgehandelt, um Märkte zu öffnen. Die dem Freihandel und der WTO positiv gegenüberstehende EU hat Abkommen zur Liberalisierung des Handels mit Kanada, Japan, Mexiko, Australien und Singapur getroffen oder strebt sie an.
Die WTO wird nicht in Vergessenheit geraten, ihre zentrale Rolle als Schiedsrichter globaler Handelskonflikte wird mit der Zeit aber abnehmen
Handelsexperte Mark Wu
Solche bilateralen Geschäfte sind nach den WTO-Regeln zulässig, wenn sie das multilaterale Handelssystem ergänzen, im Wesentlichen den gesamten Handel abdecken und den Handelsverkehr erleichtern, ohne Hindernisse für Nichtparteien zu schaffen. Nach Ansicht vieler Beteiligter ist die Ausbreitung solcher Nebenvereinbarungen jedoch ein Ausdruck für die schwindende Bedeutung der WTO.
Das größere Problem für die WTO ist aber laut US-Verbündeten und Handelsexperten, dass China die Regeln benutzt, um sich auf Kosten anderer Mitgliedstaaten Vorteile zu verschaffen. Die in Genf ansässige Organisation wurde vor dem Aufstieg des chinesischen Staatskapitalismus gegründet.
„Das WTO-Recht ist völlig unzureichend, um mit einigen wenn auch nicht unbedingt allen problematischen Handelspraktiken Chinas umzugehen“, sagt Harvard-Rechtsprofessor undHandelsexperte Mark Wu. Deshalb würden die USA und ihre Verbündeten immer wieder versuchen, einige Fragen über die WTO zu klären. Aber Lücken im Völkerrecht und unzureichende rechtliche Mittel sorgten dafür, dass Washington darauf drängt, weitere Schritte zu unternehmen entweder mit den Verbündeten oder eben allein.
„Zwar wird die WTO nicht in Vergessenheit geraten, ihre zentrale Rolle als Schiedsrichter globaler Handelskonflikte wird mit der Zeit aber abnehmen“, sagt Wu.
Beschwerden zielen meistens gegen China
Seine Unzufriedenheit mit der WTO hat das Weiße Haus auch dadurch zum Ausdruck gebracht, in dem es Ernennungen für das Berufungsgericht der Organisation verzögert und den Streitbeilegungsprozess blockiert. In den Augen der Verbündeten bedroht diese Haltung die WTO.
Trotz ihrer Kritik wollen die USA aber einen Fall vor die WTO bringen, in dem es um Lizenzen in China geht. Washington wirft der Volksrepublik vor, chinesische Unternehmen bei der Vergabe von Lizenzen zu bevorzugen. China ist häufig das Ziel, wenn die USA, Japan und die EU Beschwerden bei der WTO einreichen. Die USA hoffen, die Verbündeten auch jetzt für ihre geplanten WTO-Aktionen zu gewinnen.
Nach einem Treffen in Brüssel, bei dem es um China und Überkapazitäten bei Stahl und Aluminium ging, erklärten die drei Partner, sie würden sich um eine Verbesserung der WTO-Überwachung und eine Verstärkung des Notifizierungsverfahrens bemühen. EU-Beamte erklärten, dass die WTO-Regeln geändert werden sollten, um schneller gegen Dumping und Subventionen vorgehen zu können.
Grundlegende Reform ist unwahrscheinlich
„Die Haltung der US-Regierung ist zur Hälfte nachvollziehbar“, sagte Jyrki Katainen, Vizepräsident der Europäischen Kommission. „Es liegt auch in unserem eigenen Interesse, und es gibt momentan Verzerrungen in der Weltwirtschaft ... Das müssen wir angehen.“
Die Verständigung auf Korrekturen am Welthandelssystem könnte ein positives Ergebnis der derzeitigen Spannungen sein, „wenn es bei den Stahl- und Aluminiumtarifen einen Lichtblick gibt“, sagt Fredrik Erixon, Direktor des European Centre for International Political Economy.
Aber wahrscheinlich werde die grundsätzliche Auseinandersetzung nicht zu umfassenden WTO-Reformen führen, die das chinesische Problem lösen könnten, sagt Harvard-Professor Wu. Während „Regeln oder Verfahren hier und da angepasst werden könnten“, sehen sich die beteiligten Regierungen politischen Zwängen gegenüber, die eine Einigung erschwerten. „Keiner scheint bereit zu sein, die harten Zugeständnisse und mutigen Kompromisse zu schließen, die für eine große Reform notwendig sind.“
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