Über Trumps Protektionismus und den Stand des freien Handels sprach Capital mitHolger Görg , Professor für Außenwirtschaft an der Universität Kiel und Welthandelsexperte am Institut für Weltwirtschaft
Capital: Herr Görg, nach den Entwicklungen der vergangenen Wochen: Muss sich die Weltgemeinschaft auf einen schrittweisen Rückzug Amerikas vom Freihandel vorbereiten?
Holger Görg: „Prinzipiell würde ich soweit nicht gehen. Man sollte versuchen, den Freihandel wieder auszuweiten. Wobei der Begriff Freihandel generell etwas irreführend ist. Denn Zölle gibt es zurzeit fast überall. Wenn den Staaten also am so genannten Freihandel gelegen ist, sollte man weiterhin das Gespräch suchen. Meine Beobachtung ist jedoch, dass die EU und auch China nicht an den Freihandel glauben – zumindest nicht vorbehaltlos."
Glauben Sie, dass Trump die Reaktionen der anderen Länder nur testen wollte? War es ein taktisches Manöver?
„Das ist natürlich schwer einzuschätzen. Es wäre durchaus möglich, dass es eine Taktik war und Trump davon ausging, dass Länder „einknicken“ sobald die USA nur mit Zöllen droht. Zumindest im Hinblick auf China ist diese Rechnung jedoch nicht aufgegangen."
Wie sollte sich die EU in den kommenden Verhandlungen positionieren?
„Die EU sollte klar Stellung für den Freihandel beziehen. Das tut sie aber nicht, sondern verhandelt Ausnahmen für sich selbst. Das ist gelinde gesagt sehr enttäuschend. Besser wäre, eine klare und positive Haltung zum Freihandel und zur Welthandelsordnung zu beziehen. Das tut man nicht, in dem man in Kauf nimmt, dass die USA Zölle für alle – außer der EU – unilateral erhöht, oder indem man über Strafzölle nachdenkt, die den Freihandel weiter einschränken würden."
Könnte es nicht sein, dass sich hier in erster Linie ein Handelskrieg zwischen China und den USA anbahnt? Welche Rolle könnte Europa dabei spielen?
„Das ist durchaus möglich, insbesondere, wenn man Reaktionen und Gegenreaktionen der letzten Tage ansieht. Ein solcher bilateraler Handelsstreit könnte schnell eskalieren, wenn China Strafzölle gegen die US-Strafzölle verhängt, auf die dann wiederum weitere Maßnahmen der USA folgen. Hier könnte Europa wirklich als Vermittler und Repräsentant des Freihandels auftreten – aber die derzeitige EU Position ist da nicht sehr glaubwürdig und keine gute Ausgangsposition für eine solche Vermittlerrolle."
Auch die EU verhängt Strafzölle gegenüber anderen Ländern. Warum schlägt Trump trotzdem so viel mehr Kritik entgegen?
„Das liegt an der jeweiligen Begründung. Innerhalb der WTO ist es nicht erlaubt, Zölle einfach zu erhöhen. Eine Ausnahme bietet die drohende Gefahr durch Dumpingpreise und Subventionen. Auf diese beruft sich beispielsweise die EU bei den Stahlzöllen gegenüber China und Japan. Trump hingegen berief sich jetzt auf eine andere Begründung, die nur schwer nachzuvollziehen ist. Er sagt der Schutz der Stahlindustrie ist eine Frage der nationalen Sicherheit – oder vielmehr: die Stahlimporte richten sich gegen die nationalen Sicherheitsinteressen. Diese Begründung entbehrt jeglicher Grundlage und wurde auch zum ersten Mal in der WTO angeführt."
Sind Trumps Schritte dennoch nachvollziehbar für einen Ökonomen wie Sie?
„Die amerikanischen Beschäftigten in der Stahlindustrie haben ohne Zweifel unter den Verschiebungen auf dem Stahlmarkt gelitten. Die Strafzölle sind allerdings der falsche Ansatz dieses Problem zu lösen. Die Politik sollte sich stattdessen anderweitig an die „Verlierer“ der Stahlindustrie richten und ihnen aufzeigen, wo sie eine Beschäftigung finden können. Sie sollte Lösungen im Kleinen anbieten. Das passiert zum Beispiel über Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten."
Wie geht es denn nun weiter mit der Globalisierung? Ist der von Trump eingeschlagene Weg eine Zäsur?
„Ich würde nicht so weit gehen, von einer Zäsur zu sprechen. Denn wie bereits erwähnt scheint die Form des freien Handels der EU derzeit zwar zu nützen – was aber nicht bedeutet, dass diese Werte ins Mark der EU übergegangen sind. Man fährt im Moment damit ganz gut. Das kann sich aber auch ändern. Solange es um die Exporte geht, ist der Freihandel das höchste Maß, wenn es allerdings ums importieren geht – und das gehört ja auch zum Freihandel – da scheiden sich dann die Geister. Da scheint auch die EU nicht mehr ganz so überzeugt zu sein."
Aber wenn nicht nur die USA, sondern auch andere große Player wie China und die EU nun nicht mehr so überzeugt sind – bedeutet das nicht den Anfang vom Ende der Globalisierung?
„Das Ende der Globalisierung sehe ich hier nicht. Es gibt zwar Zölle, doch die sind historisch gesehen gering. Es besteht jetzt die Möglichkeit mit bilateralen Abkommen, wie mit Kanada, Handelsbarrieren abzubauen, und da herrscht nach wie vor reges Interesse der meisten Beteiligten. Nur eben von den Amerikanern offenbar nicht. Aber es wird auch ohne sie weitergehen."
Durch Jahrzehnte der Globalisierung sind eng verknüpfte, grenzüberschreitende Produktionsketten rund um den Globus entstanden. Könnte sich durch die jüngste Entwicklung an der globalen Arbeitsteilung etwas ändern?
„Es geht erst einmal nur um die Stahlindustrie. Aber die ist natürlich vernetzt, sowohl in den USA als auch im Ausland. Da wird es interessant sein zu beobachten, wie die weiterverarbeitenden Industrien reagieren. Autobauer stehen natürlich in direkter Abhängigkeit von den Stahlproduzenten. Sollte es für sie schwieriger und vor allem teurer werden Stahl einzuführen, wirkt sich das auch auf den Produktionsprozess aus. Dann überlegt man als Unternehmer selbstverständlich, ob es nicht Sinn ergibt, seine Produktion zu verlagern. Und das kann absolut nicht im Interesse der amerikanischen Wirtschaft sein."
Trumps Entscheidungen sind ja in Teilen der amerikanischen Bevölkerung alles andere als unpopulär. Warum sehen die Menschen die Errungenschaften der Globalisierung nicht und bejubeln protektionistische Schritte?
„Es gibt Teile der Bevölkerung, die von der Globalisierung abgehängt wurden. Die Stahlindustrie ist dafür ein Beispiel. Die Gewinne die mit der Globalisierung eingefahren wurden, sind an ihnen vorbeigegangen. Das Geld und der Wohlstand fließt in andere Taschen. Die Verlierer werden nicht ausreichend von den Gewinnern kompensiert und unterstützt. Trumps Zolldrohungen sind ein einfaches Angebot, um die Verlierer der Globalisierung wieder ins Boot zu holen. In Wirklichkeit ist das Problem ein Verteilungsproblem. Dieses Problem effektiv zu lösen, ist aber deutlich komplexer."