Fast genau zwei Monate vor der Bundestagswahl gibt es ein Thema, das viele in Deutschland umtreibt: Was ist eigentlich mit dem Sommer los? Bald Ende Juli und man kann die Outdoor-Tage an einer Hand abzählen. Und dazu noch die Mückenplage.
Zugegeben, das Wetter hat die Menschen immer schon besonders interessiert. Aber etwas ist dieses Jahr anders: Aus den Gesprächen ist das Ceterum Censeo der deutschen Weltsorge verschwunden: der Klimawandel. Seit Angela Merkel nicht mehr darüber spricht, tut dies auch sonst kaum mehr jemand, Hochwasserkatastrophe hin oder her. Wir haben nun anderes Sorgen.
Aber welche waren das nochmal? Als Journalist hat man sich daran gewöhnt, dass der Schreibzyklus von Erregungswellen bestimmt wird, schließlich trägt unsere Branche maßgeblich dazu bei: Klimawandel, islamistische Gefahr, Rechtsradikalismus, Zuwanderung. Ein paar Wochen lang herrscht jeweils große Aufregung, es wird analysiert, prophezeit. Dann passiert etwas Neues, und die Karawane zieht weiter. „Hyperventilieren“ nennt das ein Kollege. Man kann es aber auch positiv sehen: Als das Bemühen, Phänomene zu begreifen, als lebendige Auseinandersetzung, befruchtender Streit.
Dieses Jahr allerdings hat man das Gefühl, es möchte niemand hyperventilieren. Es möchte niemand streiten, debattieren, sich aufregen. Die berühmte „deutsche Angst“ ist weg. Die Eurokrise findet woanders statt, der Krieg in Syrien sowieso. Nicht einmal der Datenklau der Amerikaner schlägt riesige Wellen. Die meisten Deutschen finden das Verhalten des NSA nicht gut, aber was kann man schon tun? Mit der Kanzlerin des Politphlegmas im Leitstand fahren die Deutschen im Schlafwagen durch die Krise. Der Bundestagswahl könnte es gehen wie jüngst der Station Göttingen, bei der ein ICE-Zugführer zu stoppen vergaß. Eh sich die Reisenden versahen, waren sie in Hannover.
Der Wahlkampf findet keine Themen, und die Leidtragenden sind die Oppositionsparteien. Sie mühen sich seit Monaten tapfer, den Zug zum Halten zu bringen: Gerechtigkeit, Mindestlohn, Wohnungsnot, Datenklau, Eurokrise, Energiewende. Nichts zieht. Vielleicht sollte es Herr Steinbrück einfach mal mit dem Wetter versuchen.
Ines Zöttl schreibt jeden Mittwoch über internationale Wirtschafts- und Politikthemen. Ihre letzten Kolumnen: Schwaches Fleisch, starker Wille, EU, wozu? und Heul doch!.
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