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US-Konjunktur Hier boomt Amerika

Mitten im ländlichen Wisconsin will ein taiwanesischer Konzern Flachbildschirme bauen. Der Bundesstaat macht dafür Steuerrabatte von 3 Mrd. Dollar locker
Mitten im ländlichen Wisconsin will ein taiwanesischer Konzern Flachbildschirme bauen. Der Bundesstaat macht dafür Steuerrabatte von 3 Mrd. Dollar locker
© Lyndon French
Die USA erleben eine der längsten Wachstumsphasen ihrer Geschichte. Obwohl manche schon vor Überhitzung warnen, will Donald Trump den Aufschwung noch befeuern. Im Präriestädtchen Mount Pleasant können sie ein Lied davon singen

Die kleine Siedlung am Prairie View Drive hält, was ihr Name verspricht: Wenn Howard L. morgens aus seinem Haus tritt, kann er den Blick meilenweit über die Landschaft schweifen lassen. Um diese Jahreszeit sind die Felder, auf denen sonst Mais und Sojabohnen sprießen, abgeerntet, und der kalte Wind Wisconsins pfeift über die gelben Stoppeln. Howard, Endfünfziger, grauer Bart, Wollmütze, liebt die Beschaulichkeit seiner Wahlheimat in der Gemeinde Mount Pleasant, auch wenn der Flugzeugmechaniker dafür zweimal am Tag 75 Kilometer zu seinem Arbeitsplatz in Chicago und zurück fahren muss.

„Das hier“, sagt er und macht eine weit ausholende Geste, die die Einfamilienhäuser mit ihren kurzgeschorenen Vorgärten, Doppelgaragen und Basketballkörben, die Felder, den Wasserturm, vielleicht auch den Lake Michigan in der Ferne umfasst, „das hier ist der amerikanische Kleinstadttraum.“

Ein Bus voller Chinesen

Aber größer noch als der Himmel über Howards kleiner Heimat sind die Träume der Lokalpolitiker und die des Präsidenten in Washington. Denn Donald Trump hat seinen Wählern versprochen, die Fabriken heimzuholen. Die Börse boomt, die Wirtschaft droht zu überhitzen, aber Trump will mehr: America first. Jobs für diejenigen, die ihn gewählt haben, koste es, was es wolle. Dafür senkt er die Steuern, beschenkt Unternehmen, riskiert einen Handelskrieg. Und das hat Auswirkungen, die auch im Präriestädtchen Mount Pleasant zu spüren sind.

Als Ausläufer des industriellen Rostgürtels hat der Südosten des Bundesstaats Wisconsin eine glorreiche Vergangenheit als Standort für Maschinenbauer und Autozulieferer. Dann eroberten die globalen Wettbewerber die Märkte, die Fabrikarbeitsplätze wanderten ab, die Betriebe automatisierten. Die Finanzkrise von 2008 gab vielen Unternehmen in der Gegend den Rest. Zuletzt kündigte Harley-Davidson, die Motorradlegende aus Milwaukee, Standortschließungen an.

Doch an einem regnerischen Tag im Frühjahr 2017 kletterte vor dem Gemeindezentrum von Mount Pleasant eine Gruppe Chinesen aus einem Tourbus: eine Delegation von Foxconn, dem weltgrößten Auftragshersteller für Unterhaltungselektronik. Die Gäste aus Asien waren auf der Suche nach einem Standort für eine 10-Mrd.-Dollar-Investition.

Dave DeGroot, Bürgermeister der 26.000-Seelen-Gemeinde in Wisconsin
Dave DeGroot, Bürgermeister der 26.000-Seelen-Gemeinde in Wisconsin (Foto: Lyndon French)
© Lyndon French

„Das war schon etwas surreal“, erinnert sich Dave DeGroot, Bürgermeister der 26.000-Seelen-Gemeinde, der hier „Village President“ genannt wird und damals im zweiten Bus mitfahren durfte.

Nicht einmal ein Jahr später sitzt der Lokalpolitiker an einem Konferenztisch in der Technischen Hochschule von Sturtevant, in dem auch die Foxconn-Vorhut vorläufig untergekommen ist, und hantiert mit Zahlen, die manchen seiner Bürger schwindelig machen. Mount Pleasant hat den Zuschlag für die Fabrik, die Flachbildschirme bauen soll, bekommen. Oder besser gesagt, der Zuschlag wurde erkauft: Der Bundesstaat Wisconsin hat dem Investor aus Taiwan einen Steuerrabatt von 3 Mrd. Dollar zugesagt – das viertgrößte Subventionspaket in der Geschichte der USA. Man drückt zudem ein Auge zu bei den strengen Umweltvorgaben, der Bezirk hat sich verpflichtet, die Infrastruktur hochzurüsten und – daran scheiterte die Bewerbung vieler konkurrierender Gemeinden – eine riesige zusammenhängende Fläche von knapp 1,9 Quadratkilometern bereitzustellen.

1,9 Quadratkilometer, die auch das Haus von Howard L. und die seiner Nachbarn umfassen.

Öl ins Feuer

Was in Mount Pleasant im Gange ist, passt ins allgemeine Bild. Weil Trump bei seinen Wählern im Wort steht, befeuert der Ex-Immobilienmogul das munter lodernde US-Konjunkturfeuer gleich fässerweise: ein expansiver Bundeshaushalt, eine Steuerreform, die die Unternehmen massiv und die Verbraucher zumindest temporär entlastet, die Abschaffung staatlicher Vorgaben, dazu Pläne für eine gigantische Infrastrukturmodernisierung und ein Rollback bei der Bankenregulierung. All das würde in schlechten Zeiten dazu beitragen, eine dümpelnde Wirtschaft wieder kräftig in Fahrt zu bringen.

Das Problem: Die USA brauchen diesen Stimulus nicht. Im Gegenteil. Die Wirtschaft wächst seit fast neun Jahren, 2018 dürften es knapp drei Prozent werden. Mit 4,1 Prozent ist die Arbeitslosigkeit so niedrig wie seit 17 Jahren nicht mehr, Ökonomen zufolge herrscht damit Vollbeschäftigung. Allein im vergangenen halben Jahr schufen die Unternehmen monatlich im Schnitt 180.000 neue Stellen. Vielerorts in Amerika suchen Personalchefs händeringend nach Fachkräften. „Die größte Sorge der Kleinunternehmer sind nicht mehr Steuern und Regulierung, sondern qualifizierte Arbeitskräfte“, sagt die Präsidentin des Firmenverbandes NFIB, Juanita Duggan. Ihr Small Business Optimism Index ist im Januar auf einen Rekordwert geklettert. Noch nie seit Bestehen des Index haben so viele Firmeneigner erklärt, jetzt sei eine gute Zeit zum Investieren.

source: tradingeconomics.com

Viele der globalen Konzerne allerdings nutzen die aus dem Ausland zum vergünstigten Steuersatz heimgeholten Gewinne für den Rückkauf eigener Aktien statt für neue Investitionen. Nach einer Studie von Morgan Stanley werden 43 Prozent der durch die Steuerreform gesparten Körperschaftsteuer an die Aktionäre ausgeschüttet, 17 Prozent investiert und nur 13 Prozent als Bonus oder Lohnerhöhungen an die Mitarbeiter weitergegeben. Aber auch das reicht, um die Nachfrage der Konsumenten anzukurbeln. Zugleich haben die regierenden Republikaner und ihr „Schuldenkönig“ (Trump über Trump) ihr Credo von der Notwendigkeit strenger Finanzdisziplin über Bord geworfen. Das Haushaltsdefizit steuert auf die Marke von einer Billion Dollar zu. Wer sollte sich da noch am ordnungspolitischen Subventionssündenfall von Wisconsin stören, der sich nach unabhängigen Berechnungen für den Bundesstaat im allerbesten Fall ab 2043 rechnen wird?

Sicher nicht der sich ansonsten als Fiskalfalke gerierende Repräsentantenhausvorsitzende Paul Ryan, in dessen Wahlkreis Mount Pleasant liegt. Im Herbst stehen die Abgeordneten und ein Teil der Senatoren zur Wahl. Wisconsin ist eines der „Schlachtfelder“, in denen sich weder die Republikaner noch die Demokraten des Sieges sicher sein können. Trump hat den „swing state“ 2016 geholt. Er wird alles tun, damit das so bleibt. 230.000 Dollar Staatsknete für jeden der 13.000 Jobs, die im günstigsten Fall in der Foxconn-Fabrik entstehen werden, sind aus dieser Sicht ein kleiner Preis.

Die Bagger kommen

Wenn Howard L. in die Hauptstraße von Mount Pleasant einbiegt, sieht er die Bagger jeden Tag ein Stück näher rücken. Am Straßenrand stapeln sich blaue Rohre mit mehreren Metern Durchmesser. Die Gemeinde hat begonnen, die Straßen zu verbreitern und leistungsstärkere Abwasserrohre zu verlegen. „Was wir jetzt in einem Zug an Bauarbeiten machen, das ist sonst das Programm von zehn Jahren“, sagt Bürgermeister DeGroot. Der Bezirk hat dafür neue Kredite aufgenommen und sich ein Downgrade der Ratingagentur Moodyʼs eingehandelt. Mancher Farmer dagegen ist über Nacht zum Millionär geworden. Um schnell an das Land zu kommen, zahlt die Gemeinde einen Aufschlag auf den Verkehrswert. Drei Viertel der Fläche habe man bereits beisammen, sagt DeGroot.

Irgendwann in den nächsten Monaten werden die Bagger auch bei Howard vorfahren und den Schutt abholen, der dann sein Haus war. Wie der Ex-Berufssoldat wissen viele in Mount Pleasant nicht recht, ob sie sich freuen oder fürchten sollen.

Tammy Graceffa, Inhaberin des Restaurants Hiawatha Bar and Grill
Tammy Graceffa, Inhaberin des Restaurants Hiawatha Bar and Grill (Foto: Lyndon French)
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Als „bittersüß“ beschreibt Tammy Graceffa ihre Gefühle. In ihrem Hiawatha Bar and Grill, wo sich die Einheimischen nach Feierabend auf eine Runde Billard oder zur Polka-Livemusik treffen, wurde zuletzt kaum über etwas anderes debattiert. Die einen bangen um ihren Kleinstadtfrieden, die andern hoffen aufs große Geschäft. Die meisten tun wie Tammy beides. Die Mutter dreier erwachsener Töchter steht am Tresen, wo an diesem Abend wenig los ist, obwohl Barbecue Chicken Wings im Angebot sind, die hier zum Grundnahrungsmittel gehören. Graceffa hat eine Menge investiert, seit sie die Kneipe vor ein paar Jahren von ihrem Vater übernommen hat. Sie ist sicher, dass sich das jetzt auszahlen wird, und zwar schon, bevor bei Foxconn der erste Fernseher zusammengeschraubt wird. „Es werden 10.000 Bauarbeiter gebraucht“, sagt sie. „Die müssen doch irgendwo essen.“ Sie plant, zusätzliche Köche einzustellen, aber ihr schwant auch: „Es wird nicht einfach sein, die Qualität zu halten.“

Graceffa bezweifelt nicht, dass sie ausreichend Personal finden wird. Köche und Kellner sind schnell angelernt. Ganz anders dagegen sieht das bei der künftigen Foxconn-Belegschaft aus, die bislang nur auf dem Papier existiert. Zwischen 3000 und 13.000 neue Stellen sollen entstehen. Doch an qualifizierten Bewerbern mangelt es.

„Wir suchen nicht Jobs für die Leute, sondern Leute für die Jobs“, gesteht Jonathan Delagrave, Verwaltungschef des Bezirks Racine, sparsam lächelnd. Denn der Aufschwung hat längst auch Wisconsin erreicht. Die Arbeitslosenquote liegt bei nur 3,1 Prozent, die Immobilienpreise ziehen an. „Foxconn ist ein bisschen Benzin, das wir ins Feuer gegossen haben“, sagt Delagrave. Der Gemeindemanager trägt eine schwarze Funktionsjacke, er sieht alle fünf Minuten auf die Uhr, und er hat das Macher-Mantra drauf: Probleme gibt es nicht, nur Themen. Foxconn biete dem Bezirk die Gelegenheit, sich „neu zu definieren“ in Sachen Schulen, Gesundheitssystem, Kulturangebote, Parks. Er und seine Kollegen wissen, dass ihre Anstrengungen zur Mobilisierung der verbliebenen Erwerbslosen und ihre Qualifizierungsoffensiven am Ende nicht reichen werden. Sie haben eine PR-Agentur angeheuert, um Arbeitskräfte in den Nachbarstaaten abzuwerben. Die Investition aus China werde seinen Bezirk „als Amerikas Hauptstadt der Elektronikfertigung etablieren“, sagt Delagrave voraus.

Mount Pleasant wird umgebaut – der neue Investor soll es schön haben
Mount Pleasant wird umgebaut – der neue Investor soll es schön haben (Foto: Lyndon French)
© Lyndon French

Es ist eine Haltung, wie sie dem Präsidenten in Washington gefällt, für den sich die Welt in Gewinner und Verlierer teilt – und der alles tut, um zur ersten Kategorie zu gehören. Foxconns Standortwahl sei ein „großartiger Tag für Amerikas Arbeiter, die Industrie und für jeden, der an das Konzept und die Marke ‚made in the USA‘ glaubt“, jubelte Trump. Und selbstredend sei das alles nur seinem Wahlsieg zu verdanken.

Die Nervosität wächst

Die US-Wirtschaft habe „Rückenwind“, hat der frisch gekürte Notenbankgouverneur Jay Powell erklärt. Der Neue an der Fed-Spitze kann nach eigenem Bekunden bislang keine Anzeichen für eine Überhitzung erkennen. Gleichzeitig aber hat Powell angedeutet, dass es statt der drei für 2018 geplanten Fed-Zinserhöhungen auch vier werden könnten.

Die meisten Konjunkturexperten teilen seinen Optimismus. Die Löhne sind bislang nur moderat gestiegen, die Inflation wird den Prognosen zufolge in diesem Jahr die Zwei-Prozent-Zielmarke der Fed nicht knacken. Trotzdem wächst an den Märkten die Nervosität. Anfang Februar brach der Dow Jones, der vorher von Rekord zu Rekord geeilt war, ohne erkennbaren äußeren Anlass ein. Binnen kürzester Zeit verlor der Index 1600 Punkte, so viel wie noch nie in seiner Geschichte. Trump, der den vorangegangenen Höhenflug mit einer Salve von gut 60 Tweets begleitet hatte, schwieg an diesem Tag still.

Die Wall Street hat sich seitdem berappelt, doch die Volatilität nimmt zu. Für Powell, den Juristen an der Fed-Spitze, hat ein schwieriger Balanceakt begonnen. Er muss ein Heißlaufen der Konjunktur verhindern, ohne den Aufschwung so stark zu drosseln, dass er in eine Rezession umschlägt.

Trump macht dem Notenbanker, den er selbst berufen hat, die Arbeit nicht leichter. Seine Strafzölle auf Importstahl und –aluminium macht die Märkte nervös – und brachte ihm selbst in der eigenen Partei Kritik ein. Denn die Rechnung geht nicht einmal im ersten Schritt auf. Nach Schätzung der Denkfabrik Brookings hat die stahl- und aluproduzierende Industrie in den USA kaum noch 200.000 Beschäftigte, während 6,5 Millionen Menschen bei Unternehmen arbeiten, die Stahl und Aluminium verarbeiten. Auch könnten die Strafzölle eine Welle des Protektionismus auslösen, unter der die Weltwirtschaft leidet. Trump aber, der findet, Handelskriege seien „leicht zu gewinnen“, setzte noch einen drauf und drohte, auch die Einfuhr von Autos aus der EU zu verteuern. Asien klammerte er dabei aus – vielleicht weil er den Besuch von Foxconn-CEO Terry Gou im Weißen Haus in bester Erinnerung hatte?

Die Party geht weiter

Noch ist die Konjunkturparty in vollem Gange, und Zweifler wie Kaliforniens Gouverneur Jerry Brown finden kaum Gehör. „Dunkelheit, Unsicherheit, Niedergang und Rezession“ sagte er voraus, weil jedem Aufschwung irgendwann der Abschwung folgen müsse. Als Lenker der de facto sechstgrößten Volkswirtschaft der Welt macht Kaliforniens Gouverneur das, was Ökonomen für Boomzeiten empfehlen: Reserven bilden. Sein Haushaltsentwurf sieht vor, die „Rücklage für Regentage“ um 5 Mrd. Dollar aufzustocken. Brown plant für den Nachfolger, er selbst wird aus dem Amt scheiden.

source: tradingeconomics.com

Trump dagegen kennt nur ein Datum und Ziel: die eigene Wiederwahl 2020. In der Foxconn-Fabrik in Mount Pleasant sollen dann die Maschinen laufen. Nicht jeder glaubt daran. Mehrfach hat Foxconn in der Vergangenheit Investitionen angekündigt, die nie Wirklichkeit wurden. In Pennsylvania können sie ein Lied davon singen – 2013 versprach der taiwanesische Konzern, dort eine 30-Mio.-Dollar-Fabrik zu bauen. Darauf warten sie bis heute.

1000 Kilometer weiter nordwestlich bezeichnet der Präsident des regionalen Industrieverbands seinen Bundesstaat neuerdings als „Wis-Foxconn-sin“. Vor Begeisterung fiel ihm offenbar nicht auf, dass sein Kunstwort missverständlich ist – denn „sin“ heißt nun mal Sünde.

Howard L., der Flugzeugmechaniker aus Mount Pleasant, hat sich ein neues Haus gekauft, auf der anderen Seite der Gemeinde, in Richtung Lake Michigan. Dort sind bisher keine Bagger zu sehen. Aber wer weiß, was Trump in seiner Konjunkturwut noch so alles ausheckt.

Der Beitrag ist zuerst in Capital 4/2018 erschienen. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay

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