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Kommentar Griechenlands neue Schulden-Option

Ist der Zeitpunkt für einen Zahlungsverzug günstig? Zumindest hat Griechenland wieder eine Wahl. Von Wolfgang Münchau
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© Getty Images

Wolfgang Münchau ist FT-Kolumnist. Er war früher Chefredakteur der eingestellten Financial Times Deutschland

Während die Finanzwelt die Rückkehr der Griechen an die Anleihenmärkte bejubelt, habe ich mir diese Frage gestellt: Ist für Griechenland der Zeitpunkt günstig für einen Zahlungsverzug bei seinen Auslandsschulden? Das ist kein Thema der gepflegten Konversation in Brüssel oder Athen. Und es scheint auch kein populäres Thema für Investorenkonferenzen zu sein.

Zum ersten Mal seit Ausbruch der Krise kann sich Griechenland einen Zahlungsverzug leisten. Es hat einen primären Haushaltsüberschuss – vor Zinszahlungen. Die Europäische Kommission sagt einen primären Haushaltsüberschuss von 2,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in diesem Jahr voraus, der 2015 auf 4,1 Prozent steigen soll. Die griechische Leistungsbilanz registriert zum ersten Mal einen Überschuss. Griechenland ist nicht mehr abhängig von ausländischen Investoren.

Natürlich heißt das nicht, dass man seine Schulden nicht bedienen sollte, nur weil die Umstände dafür günstig sind. Wie ist das also zu bewerten?

Talsohle erreicht

Griechenland hat wahrscheinlich dem Tiefpunkt seiner Wirtschaftskrise fast erreicht, die vor sechs Jahren begonnen hat. Zwischen 2008 und 2013 schrumpften das BIP um 23,5 Prozent und die Investitionen um 58,4 Prozent. Die jüngste Arbeitskräfteerhebung wies im Januar eine Arbeitslosenquote von 26,7 Prozent aus. 60,4 Prozent der Jugendlichen waren 2013 arbeitslos. Bankkredite an Unternehmen sanken im Februar im Vergleich zum Vorjahr um 5,2 Prozent. Notleidende Kredite haben ein Niveau von 38 Prozent des Gesamtvolumens erreicht. Bankguthaben schrumpfen.

Schockierender als diese relativen Veränderungen sind Statistiken, die die Daten in die richtige Perspektive rücken. Yanis Varoufakis, ein politischer Ökonom aus Griechenland, hat vor kürzlich eine lange Liste veröffentlicht, von der ich das Folgende am erstaunlichsten fand: Von 2,8 Millionen griechischen Haushalten haben 2,3 Millionen Steuerschulden, die sie nicht bedienen können; Pensionen sind die Haupteinnahmequelle für 48,6 Prozent der Familien; und 3,5 Millionen Angestellte müssen 4,7 Millionen arbeitslose oder nicht-erwerbstätige Menschen unterstützen. Die griechische Wirtschaft ist nicht in der Rezession. Sie erholt sich auch nicht. Sie ist kollabiert..

Aber es gibt noch eine andere Geschichte - die des Anleihenverkäufers – die besagt, dass Griechenland die größte Erfolgsgeschichte der Neuzeit ist. Piraeus und Alpha, der zweit- und viertgrößten Bank, ist es gelungen ihr Eigenkapital um nahezu 3 Mrd. Euro zu erhöhen. Im vergangenen Jahr waren es meistens Hedgefonds, die ihr Spiel mit dem Land trieben. Eher traditionelle Investoren sind seitdem dazu gestoßen. Bei der Bondemission in der vergangenen Woche wurden Angebote im Umfang von 21 Mrd. Euro abgegeben von 600 zumeist internationalen Investoren.

Flüssig nur auf kurze Sicht

Wenn ich eine Strategie der Eurozonen-Politik gegenüber Griechenland erkennen kann, würde ich sie so beschreiben: Lasst uns eine massive finanzielle Investitionsblase erzeugen und hoffen, dass von dem Geld einiges vielleicht den Weg in die Realwirtschaft findet. Mit einer Schuldenquote, die in diesem Jahr auf 177 Prozent des BIP steigen soll, kann Griechenland momentan keine ausreichenden Investitionen aus dem Ausland anlocken. Wegen seines kaputten Bankensystems kann es auch keine inländischen Investitionen erzeugen

Könnte die Regierung ihre Anteile an den Banken abstoßen, hätte sie Kapital für die Gründung einer „Bad Bank“ zur Übernahme der faulen Kredite. Wenn die Europäische Zentralbank ihre diesjährigen Stresstests abgeschlossen hat, könnte dann ein wiederbelebter Bankensektor mit der Kreditvergabe an eine verschlankte und reformierte Wirtschaft beginnen. Problem gelöst.

Aber es bräuchte schon eine Blase, um an diesen Punkt zu gelangen. Der Grund, warum Griechenland für seine Bondemission in der letzten Woche so großes Interesse erweckte, war eine Kombination aus hoher Rendite und dem Fälligkeitsprofil der bestehenden griechischen Schulden. Offizielle Kredite – von den Mitgliedstaaten der Eurozone und dem Internationalen Währungsfonds – machen 80 Prozent aller Schulden aus. Griechenland wird nicht vor 2023 mit der Rückzahlung beginnen. Mit anderen Worten das Land ist auf kurze Sicht solvent. Aber die langfristige Solvenz ist keineswegs sicher.

Kein Plädoyer für einen Austritt

Und das führt uns zurück zum grundlegenden Problem: Bei klarem Verstand investiert niemand langfristig in ein Land mit nicht tragbaren langfristigen Schulden. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie ein Investitionsboom ausgelöst werden kann, sofern und solange die offiziellen Schulden nicht erlassen oder der Zahlungsverzug eingetreten ist. Der sauberste Weg wäre eine Schuldenkonferenz, aber davon wollen die Gläubigerländer nichts wissen.

Denken wir an die Alternativen. Griechenland gerät bei allen Auslandsschulden in Verzug. Es führt eine neue Währung ein, die sofort abwertet. Um die Wettbewerbsvorteile mitzunehmen – um daraus eine wirkliche Abwertung zu machen – bräuchte es eine Zentralbank mit einem glaubwürdigen Inflationsziel und ausreichend deregulierten Arbeits- und Produktmärkten. Das ist keine weiche Option, sie würde viele weitere Strukturreformen erfordern, die Athen noch nicht unternommen hat.

Während bei einem solchen Szenario die ausländischen Investoren ausrasten würden, wenn es eintritt, könnte man sich darauf verlassen, dass sie schnell vergessen und schnell zurückkehren würden. An diesem Punkt wäre ein reformiertes Griechenland sehr attraktiv für ausländische Investoren, nicht nur Finanzinvestoren.

Ich plädiere nicht für den Austritt. Aber die griechischen Wähler und die ausländischen Investoren sollten wissen, dass Griechenland nun in einer Position ist, wo es eine Wahl gibt.

Copyright: The Financial Times Limited 2014

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