Seit ich von meiner Recherchereise nach Griechenland zurückgekehrt bin, werde ich von Bekannten und Kollegen ständig gefragt: „Wie war es dort als Deutsche?“ Gemeint ist damit: Wurde ich angefeindet, beschimpft, für die Härten der Austeritätspolitik verantwortlich gemacht? Um es klar zu sagen: Nein. Nicht ein einziges Mal. Alle Griechen, mit denen ich zu tun hatte, waren außerordentlich freundlich und hilfsbereit.
Das hat mich selbst ein bisschen überrascht angesichts dessen, was zurzeit in den sozialen Netzwerken an Deutschen-Bashing stattfindet. Ein Teil der Erklärung scheint mir, dass die Griechen viel stärker als die Deutschen zwischen sich und dem Staat unterscheiden nach dem Motto „l'etat n'est pas moi“. Als Gegner wird die deutsche Politik wahrgenommen, verkörpert von ihren Repräsentanten Merkel und Schäuble (wenn die Sprache auf ihn kommt, wird es sehr emotional). Dagegen bleibt der real existierende deutsche Tourist oder Journalist ein Mensch wie du und ich.
Das ist sehr sympathisch – aber es ist auch Teil des Problems. Denn auch was die Ursachen und Folgen der Krise angeht, ist die Haltung vieler Griechen: Das eine ist der Staat, das andere bin ich. Viele stimmen der Einschätzung zu, dass der Staat korrupt und schlecht gemanagt ist und über seine Verhältnisse gelebt hat. Aber sie reden darüber, als hätten sie selbst nichts damit zu tun. Als seien sie im falschen Film aufgewacht. Und in dieser Logik wird der brutale Sparkurs nicht als unabwendbare Folge, sondern als unverständlicher und böswilliger Angriff auf die Menschen empfunden. Es ist doch der Staat, der mit über 300 Mrd. Euro verschuldet ist, warum wird da mir die Rente gekürzt?
Das Hilfsprogramm ist grotesk
Wirklich baff war ich, als ein früherer Hotelmanager sich bei mir beschwerte, dass die EU jahrzehntelang Geld nach Griechenland gepumpt habe, ohne die Verwendung zu kontrollieren und Missbrauch zu verhindern. Meinen Einwand, dass die Griechen doch diese Regierungen gewählt haben und es nicht Aufgabe Brüssels sein könne, einen souveränen Mitgliedstaat zu regieren, konnte er nicht verstehen. Vielleicht eine Einzelmeinung.
Klar ist aber: Aus dem derzeitigen Desaster werden die Griechen sich nur selbst retten können. Das groteske Hilfsprogramm, das in der Nacht der Nächte in Brüssel geschnürt wurde, trägt dazu wenig bei. Die Europartner können so viele Einsparungen, Auflagen, Kontrollen und Fonds beschließen, wie sie wollen: Wenn es in Athen am Willen fehlt, wird man in Brüssel bald wieder übernächtigt, wütend und ratlos am Konferenztisch sitzen.
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hat ja mit vielen seiner Kritikpunkte recht. Es ist absurd, dem Land einen weiteren monströsen 85-Mrd-Euro-Kredit zu gewähren, der überwiegend für die Ablösung alter Schulden draufgeht. Die Idee, eine zusammengebrochene Wirtschaft mit Kürzungen im Rentensystem und Mehrwertsteuererhöhungen aufpäppeln zu wollen, ist ökonomisches – sagen wir mal vorsichtig – Neuland. Dieses Vorhaben ist kein ökonomisches Aufbauprogramm, sondern ein politisches Erziehungsprogramm. Nach den Stunts und Volten der Syriza-Regierung ging es wohl nicht anders. Die anderen Europartner vertrauen den Griechen einfach nicht mehr.
Dauerstreit mit Sprengkraft für die Eurozone
Die Lage ist völlig verfahren, und nun kann nur noch einer einen Ausweg finden: Tsipras. Er muss nun halten, was er widerwillig versprochen hat und ein Memorandum umsetzen, bei dem es an allen Ecken und Enden hakt. Und er muss mehr tun, nämlich das, wofür er einmal angetreten ist: Die Verwaltung modernisieren, Steuergerechtigkeit herstellen, Klientelismus beenden. Für die Griechen wird das eine harte Zeit werden. Mit der Abstimmung im Parlament hat der Machtpolitiker Tsipras einen ersten und bemerkenswerten Schritt in diese Richtung unternommen. Diese, seine hoffentlich letzte Volte könnte die sein, die Griechenlands Zukunft im Euro rettet. Wenn er durchhält. Und wenn die Griechen durchhalten.
An der Entscheidung der Griechen, das Programm umzusetzen statt es zu unterlaufen, hängt nicht nur ihr eigenen Schicksal, sondern das des Euro und der EU. Wenn auch dieses Programm schiefläuft, wenn in den Staaten Europas die Wut aufeinander und das gegenseitige Unverständnis so weiter wächst wie in den letzten Wochen, dann wird die Gemeinschaft das auf Dauer nicht aushalten. Dann hätte Schäuble recht gehabt, dann wäre der Grexit die bessere Lösung gewesen.