Auf den Schlachtfeldern der Ukraine versuchen Wladimir Putins Truppen mit zunehmender Brutalität ihre stockende Invasion voranzutreiben. Nun startet der russische Präsident auch im Wirtschaftskrieg mit dem Westen einen wilden Gegenangriff. Am Mittwoch verkündete Putin, dass „unfreundliche Staaten“ wie Deutschland und deren europäische und amerikanische Verbündete ihre Gasrechnung in Russland künftig in Rubel statt wie bisher in Euro und Dollar zahlen müssten.
Was sich im ersten Moment anhört wie ein schnöder Fall für die Buchhaltung, birgt enorme politische und wirtschaftliche Sprengkraft. Denn möglicherweise versucht Putin, mit dem überraschenden Manöver den Westen zu zwingen, die eigenen Sanktionen zu unterlaufen. Wollen Deutschland und Co. sich nicht erpressen lassen, müssten sie in diesem Fall konsequenterweise auf weiteres russisches Gas verzichten.
So zumindest interpretieren Experten wie der Ökonom und Regierungsberater Jens Südekum Putins Vorstoß. Denn weil auf den internationalen Devisenmärkten gar nicht genug Rubel in Umlauf seien, um die enorme Gasrechnung zu begleichen, müsste der Westen sie sich direkt bei der russischen Zentralbank besorgen, erklärte Südekum auf Twitter. „Aber das Perverse daran ist: Die russische Zentralbank ist ja eigentlich sanktioniert und ihre Reserven im Westen sind eingefroren.“ Der Rubeltrick könnte die kaltgestellte Zentralbank nun zurück ins Spiel bringen. „Dadurch zwingt uns Putin somit indirekt, unsere eigenen Sanktionen zu unterlaufen“, sagt Südekum. Das Szenario eines kompletten Gasembargos sei dadurch wahrscheinlicher geworden.
Der Westen soll den Rubel stützen
Aber welches Kalkül steckt hinter Putins Überraschungsmanöver? Experten vermuten, dass der Kreml mit dem Schritt den Verfall der russischen Währung aufhalten will, die infolge der harten Sanktionen massiv abgestürzt ist. „Putin zwingt westliche Importeure, ihm bei der Stabilisierung des Wechselkurses zu helfen, der in Russland der Gradmesser für die Stabilität seines Regimes ist“, kommentiert der Bonner Ökonom Moritz Schularick den Schritt. Putin zwinge westliche Importeure, mehr Rubel-Liquidität zu halten, um die Nachfrage nach Rubel kurzfristig zu erhöhen. Tatsächlich sorgte schon allein Putins Ankündigung für einen Kursanstieg des Rubels, obwohl die weitere Entwicklung vollkommen unklar ist.
Eine Woche hat Putin seiner Zentralbank nun Zeit gegeben, die genauen Mechanismen für die Umstellung der Zahlungen auf Rubel auszuarbeiten. Das setzt vor allem die deutsche Regierung unter Stress, denn Deutschland ist vom russischen Gas besonders abhängig, weshalb die Bundesregierung einen kurzfristigen Importstopp trotz des Krieges eigentlich ausgeschlossen hatte.
Wirtschaftsminister Robert Habeck bezeichnete Putins Ankündigung bereits als Vertragsbruch, die Reaktion darauf werde nun mit den europäischen Partnern beraten. Tatsächlich lassen die Verträge wohl kaum eine einseitige Änderung der Zahlungsmodalitäten zu – aber was, wenn Putin das egal ist? Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge sprach am Donnerstag im Deutschlandfunk von einem „bedrohlichen Szenario“, auf das eine gemeinsame Antwort gegeben werden müsse.
Russisches Drohpotenzial
Wie der Showdown um die Gasrechnung ausgeht, vermag im Moment niemand zu sagen, zumal die russische Seite erst noch Details ihrer Forderung vorlegen muss. Eventuell ist auch ein schmutziger Kompromiss möglich, bei dem beide Seiten sagen können, sie hätten sich durchgesetzt. Commerzbank-Analyst Ulrich Leuchtmann etwa verweist darauf, dass sich Rubel theoretisch auch bei solchen russischen Banken besorgen lassen, die nicht vom Zahlungssystem Swift ausgeschlossen sind. So müssten die Sanktionen gegen die russische Zentralbank nicht gebrochen werden – zumindest formal.
Moralisch wäre aber auch das hierzulande schwer zu verkaufen. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba nannte die russische Rubel-Forderung auf Twitter eine Demütigung für jedes Land, das sich dem beuge. „Das ist, als ob man mit einer Hand der Ukraine hilft und mit der anderen Russland hilft, Ukrainer zu töten.“
Vielleicht geht es dem Kreml auch gar nicht um technische Details, sondern vor allem um die abschreckende Wirkung der Aktion. Damit der Westen sich nicht zu sicher wird, dass Russland nicht doch noch den Hahn zudreht, wenn die Ukraine weiter massiv unterstützt wird. „Putin spielt mit der Angst der europäischen Regierungen“, sagt Ökonom Schularick. Er wolle vor allem Angst schüren, um neue Sanktionen zu verhindern.