Karen Heumann sitzt in der Jury des diesjährigen Bold Woman Awards von Veuve Cliquot, der diesen Donnerstag verliehen wird. Capital ist Medienpartner der renommierten Auszeichnung. 1972 wurde der Preis ins Leben gerufen, um mutige und außergewöhnliche Frauen zu ehren, die sich durch Willensstärke und Pioniergeist unternehmerisch ausgezeichnet haben. Bis heute wurden 350 Frauen in 27 Ländern ausgezeichnet. In Deutschland wird der Award bereits seit 1984, bisher unter dem Namen den Business Woman Award , verliehen. Hier gibt es weitere Details rund um den Preis.
Sie sind eine der wenigen Top-Frauen in der Werbebranche. Ist es immer noch ein Thema, in der Werbebranche eine Frau in Führungsposition zu sein?
KAREN HEUMANN: Ja, natürlich ist das noch ein Thema. Wie in vielen anderen Branchen auch.
Warum ist das so?
Das liegt an so vielen Dingen, dass ich ein Buch darüber schreiben könnte, ernsthaft. Aber es gibt ja Ansätze. Harvard-Professorin Iris Bohnet beschreibt in „What works“, wie man es schafft, Verhalten so zu gestalten, dass sich Frauen wohler fühlen in der männlich geprägten Arbeitswelt. Denn: Von den vielen sehr begabten Frauen, die ich in meiner Laufbahn kennenlernen durfte, sind nur noch die wenigsten in einem Vollzeit-Job. Die meisten haben sich anders entschieden. Sicher aus gutem Grund. Einer davon war immer, dass sie es nicht wirklich erstrebenswert fanden, auf diese spezielle Weise zu kämpfen. Da geht den Unternehmen ein großes Potential verloren. Ich frage mich: Muss das tatsächlich sein?
Wenn Sie jetzt nochmal neu anfangen würden, würden Sie heute nochmal in die Werbung gehen?
Eher in Richtung Start-up. Nicht, weil ich die Werbung nicht mehr liebe, sondern weil ich da heute mehr Hebel sehe. Eine eigene Marke aufzubauen, statt die von anderen … das reizte mich schon immer.
Gleichzeitig sind Sie ja selber Gründerin, haben eine eigene Werbeagentur-Marke geschaffen mit Ihrer Agentur Thjnk ...
Das stimmt. Ich habe mit 45 gemacht, was andere nach der Uni tun. Nicht allein natürlich, mit meinen Partnern.
Wann ist denn der richtige Schritt raus aus dem Angestelltendasein, rein in die Selbstständigkeit? Und was muss man mitbringen?
Wer gründen will, braucht nicht nur eine Idee und einen guten Plan – sondern auch die Zähigkeit und Disziplin, ihn gegen Widerstände durchzuhalten. Und noch etwas braucht es: Einen gewissen irrationalen Wagemut. Hier haben Frauen einen Startnachteil. Studien zeigen: Mädchen werden eher gelobt, wenn sie etwas ordentlich gemacht haben, Jungs, wenn sie sich etwas trauen! Das beinflusst unser späteres Verhalten. Für mich heißt das: Frauen mit Ideen sollten den Sprung wagen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie dann entschlossen durchziehen, ist hoch und die Befriedigung groß. Ich persönlich jedenfalls empfand den Schritt in die Eigenverantwortung als echte Befreiung.
Was braucht es aus Ihrer Sicht als Unternehmer?
Ganz grundsätzlich die Bereitschaft, wirklich Verantwortung zu übernehmen, einen starken Willen und am besten noch eine klare Vorstellung davon, warum die Welt auf diese neue Firma gewartet hat. Spätestens auf der Langstrecke kommt dann hinzu, möglichst uneitel auf die eigene Entwicklung zu schauen und häufig nein zu sagen, auch wenn es schwer fällt. Man muss jeden Tag weiter daran stricken, die beste Firma der Welt zu werden, gerade dann, wenn es gut läuft.
Und welche Kultur sollte man aufbauen?
Die, in der man selbst gerne arbeiten würde.
Der Tischkicker im Büro reicht aber auch nicht ...
… stimmt, er ist mittlerweile Standard. Wo die gesamte Arbeitswelt zu einem einzigen Campus morpht, wo alle mobil sind und in begrünten Meeting-Spaces Bowls lunchen, da differenziert das nächste Spielzeug nicht mehr. Und noch mehr Freiheit ist es auch nicht unbedingt. Zumindest in der Kreativbranche werden diese Faktoren heute vorausgesetzt. Was wirklich attraktiv ist, ist aus meiner Sicht vor allem, Teil einer Top-Mannschaft zu sein. Talente, die wirklich etwas wollen und können, haben Bock auf Leute, die ebenfalls etwas wollen und können. Wenn ich eine Sache gelernt habe, dann diese! Keinen Sparringspartner zu haben für solche Art von Feuer, ist extrem lähmend.
Ist das heute mehr denn je eine der zentralen Aufgabe von Unternehmern, eine gute Kultur zu bauen und die Leute mitzuziehen?
Mitzuziehen eben nicht. Eher, die zu finden, die man nicht ziehen muss, und denen dann den Weg freizuräumen. Bei Jung von Matt gab es, als ich dort anfing, ein Garantieheftchen, in dem stand: „Wir versprechen Dir, dass Du immer die besten der Branche um Dich haben wirst.“ Damals klang das eher unsympathisch für mich. Heute weiß ich: Wenn ich als Chef dieses Versprechen einlöse, läuft es fast schon von allein. Natürlich nur fast … man ist außerdem oberster Schiedsrichter, ist 24/7 für die Kunden da und muss stets schauen, dass genügend Müsli auf dem Frühstücksbüffet steht. Aber am wichtigsten ist dennoch, dass die Begabtesten bei uns sind, und dass sie sich gegenseitig anzünden.
Ist der Kampf um Talente die größte Hürde für Unternehmer heutzutage?
Die erste Herausforderung ist es, Talente überhaupt zu entdecken. Abschlüsse und Noten helfen, sind aber nur ein Indikator. Der Unternehmer ist deshalb vor allem eine Art Trüffelschwein. Hat man sich erst einmal gefunden, bleiben die besonders Guten nach meiner persönlichen Empirie sogar am längsten. Voraussetzung sind die optimalen Partner und die besten Bedingungen. Darum geht es: Talente zu finden und ihnen dann den Weg frei zu machen.
Wie sehr hat sich ansonsten die Werbebranche verändert, seitdem Sie das erste Mal den Schritt in eine Agentur gesetzt haben?
Eines bleibt immer gleich: Verlangen kann man nicht verlangen, man muss es wecken. Das hinzukriegen, ist und bleibt der Kern unseres Jobs. Was sich geändert hat, ist die Vielzahl an Instrumenten, die uns dafür zur Verfügung stehen. Unsere Arbeit ist heute viel komplexer, dazu kommt das Technik-Know-How. Man braucht heute Spezialisten für Dinge, die vor zehn Jahren noch nicht einmal existierten, und andrerseits Neo-Generalisten, die genug überschauen, um überhaupt den richtigen Zugang zur Lösung zu wählen.
Gibt es Momente wo Sie hadern mit Ihrem Job?
Jeden Tag. Da gibt es, wie in jeder Profession, zermürbende Momente. Aber wenn man seinen Job liebt, dann hasst man ihn eben auch manchmal. Sonst wäre es ja egal. Die Werbung als solche, also Botschaften überzeugend zu den Menschen zu bringen, das ist eine Aufgabe, die mich nie langweilt.
Hat das Agenturmodell sich überlebt, muss man viel stärker in Netzwerken arbeiten?
Eine Agentur ist ja auch schon ein Netzwerk. Damit eine Kampagne entstehen kann, müssen heute sehr viele sehr unterschiedliche Menschen kooperieren. Die Kette derer, die es braucht, um Kommunikation in die Welt zu bringen, wird immer länger. Die Manager, die diese Projekte steuern, sind meist begnadete Tellerdreher. Und trotzdem: Die entscheidende Idee hat oft einer oder eine. Und das passiert so gut wie nie in Workshops, sondern irgendwo im Off, wenn man es gar nicht erwartet. Oder zwischen zwei Kollegen, im Ping-Pong.