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Reformpolitik Frankreichs goldenes Jahrzehnt kann beginnen

Emmanuel Macron schickt sich an, Frankreich umzukrempeln
Emmanuel Macron schickt sich an, Frankreich umzukrempeln
© Getty Images
Emmanuel Macron legt ein hohes Reformtempo vor. Schon bald könnte Frankreich Deutschland in den Schatten stellen. Holger Schmieding über die Reformagenda des Präsidenten

Emmanuel Macron macht ernst. In atemberaubendem Tempo krempelt er unser Nachbarland jenseits des Rheines um. Während Deutschlands Große Koalition sich erneut anschickt, einige Reformen unserer Erfolgsagenda 2010 aus den Jahren 2003/2004 zu verwässern und unser Sozialsystem mit teuren Rentengeschenken zu überlasten, ist Präsident Macron dabei, Frankreichs Wachstumspotenzial zu entfesseln. Frankreich steht an der Schwelle eines goldenen Jahrzehnts. Dagegen dürfte Deutschland langsam ins europäische Mittelmaß zurückfallen.

In der deutschen Öffentlichkeit werden vor allem Macrons weitreichende Vorschläge für eine vertiefte Zusammenarbeit in Europa diskutiert. Das macht durchaus Sinn. Schließlich betrifft diese Diskussion direkt unsere gemeinsame Zukunft und die Krisenfestigkeit unseres Geldes. Aber dabei übersehen wir manchmal, wie weit Macron bereits mit seinem noch ehrgeizigeren Programm für Frankreich selbst gekommen ist.

Bereits im September 2017 hat er seine große Arbeitsmarktreform unter Dach und Fach gebracht. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen genießen jetzt wesentlich mehr Freiheiten, sich mit ihren Beschäftigten über Löhne, Arbeitszeiten und weitere Arbeitsbedingungen zu einigen, statt an starre nationale Regelungen gebunden zu sein. Solche Bündnisse für Arbeit hatten einst geholfen, die Standortflucht deutscher Unternehmen zu beenden. Zudem hat Macron einige Auswüchse im Kündigungsschutz beseitigt und klare Vorgaben dafür erlassen, welche Entschädigung gekündigte Arbeitnehmer erhalten können. Für beide Seiten verbessert das die Rechtssicherheit.

Macron fasst heiße Eisen an

Zum Jahreswechsel ist eine weitere Stufe einer langfristig angelegten Steuerreform in Kraft getreten. Die Körperschaftsteuer wird bis 2022 schrittweise auf 25 Prozent gesenkt. Zudem werden Unternehmen bei den Sozialabgaben etwas entlastet. Für Unternehmen wird es somit günstiger, weitere Arbeitnehmer einzustellen.

Macron scheut auch nicht davor zurück, heiße Eisen anzufassen. In diesem Jahr hat die Regierung unter anderem bereits Pläne für eine Reform der defizitären Staatsbahn SNCF und der Arbeitslosenversicherung vorgestellt. Spätestens 2019 soll eine Rentenreform folgen, mit der die Privilegien mancher Berufsgruppen beschnitten werden sollen.

1995 war eine konservative Regierung am Versuch gescheitert, die Bahn zu sanieren und die Sonderrechte der Lokführer abzuschaffen, die vielfach bereits mit 52 Jahren in den Ruhestand gehen dürfen. Massive Streiks hatten damals den öffentlichen Fern- und Nahverkehr sowie einige andere Wirtschaftszweige so lahmgelegt, dass Premierminister Alain Juppé die Vorschläge zurücknehmen und kurz danach seinen Hut nehmen musste. Von den Reformen, die Präsident Jacques Chirac im Wahlkampf 1995 versprochen hatte, war danach kaum noch etwas zu hören.

Wenig Widerstand gegen Reformen

Gegenüber seinen glücklosen Vorgängern zeichnet sich Macron in zweifacher Weise aus. Erstens hält er sich ziemlich genau an die Ideen und den Fahrplan , die er bereits im Wahlkampf 2017 vorgestellt hat. Er kann sich auf ein klares Mandat der Wähler berufen und überrascht gerade dadurch, dass er eben nicht von seinen wesentlichen Wahlkampfaussagen abweicht. Zweitens stößt er bisher auf relativ wenig Widerstand, auch wenn wir in den kommenden Wochen und Monaten mit einigen Streiks rechnen müssen. Für den 22. März haben die gewerkschaftlich organisierten Eisenbahner einen ersten „Aktionstag“ ausgerufen

Zudem haben viele Franzosen eingesehen, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Dass vor knapp einem Jahr der liberale Außenseiter Macron und die Rechtspopulistin Le Pen die Präsidentschaftswahl unter sich ausmachen konnten, während kein Kandidat der traditionellen Volksparteien es in die Endrunde schaffte, zeigt vor allem, wie sehr Frankreich sich nach einem Wandel sehnt. Verteidiger des Status quo haben es heute schwerer als früher.

Außerdem sucht Macrons Regierung immer wieder das Gespräch mit den Gewerkschaften. Statt sie mit einem „Basta“ vor vollendete Tatsachen zu stellen, geht die Regierung ihre Pläne immer wieder Punkt für Punkt mit den Gewerkschaften durch. Auch wenn Macron letztlich nur kosmetische Zugeständnisse macht, nimmt er mit den vielen Konsultationen doch den Protestlern manchen Wind aus den Segeln. Hinzu kommt, dass sein hohes Tempo es den organisierten Lobbys schwer macht, überhaupt gegenzuhalten.

Frankreichs Potenzial ist enorm

Die von Macron selbst erst vor zwei Jahren gegründete Partei ist noch keiner etablierten Lobby verpflichtet. Mit ihrer Mehrheit im Parlament kann sie deshalb vieles erreichen, was anderen Parteien schwerer gefallen wäre.

Die Mühen des Alltags werden dereinst auch Macron und seine Partei nicht verschonen. Auch sein Elan und sein Durchsetzungsvermögen dürften irgendwann erlahmen. Bisher ist davon noch wenig zu spüren. Und wenn er die meisten der von ihm für 2018 und Anfang 2019 geplanten Reformen durchsetzt, dürfte er insgesamt eine kritische Masse erreicht haben. Frankreich wäre dann auf einem mindestens ebenso vielversprechenden Pfad, wie ihn Deutschland 2003 mit den Reformen rund um die Agenda 2010 eingeschlagen hatte.

Frankreichs Potenzial ist enorm. Heute gehen nur etwa 65 Prozent aller Franzosen im Alter von 16 bis 64 Jahren einer Arbeit nach. In Deutschland ist diese Beschäftigungsquote dank der Agenda-Reformen dagegen seit 2004 von 65 auf über 75 Prozent gestiegen. Dank der zusätzlichen Steuer- und Beitragszahler und der geringeren Ausgaben für Arbeitslosigkeit hat Deutschland heute einen Überschuss im Staatshaushalt. Der robuste Arbeitsmarkt ist auch der Grund, warum Deutschland heute das goldene Jahrzehnt genießt, das ich 2010 in einem Berenberg-Bericht ausgerufen hatte.

Mit seinen Reformen kann es Frankreich in den kommenden 10 bis 15 Jahren gelingen, seine Beschäftigungslücke gegenüber Deutschland weitgehend zu schließen. Mit zunehmender Beschäftigung und höheren Steuereinnahmen könnte dann Frankreich sein eigenes goldenes Jahrzehnt erleben, während Deutschland mangels neuer Reformen langsam zurückfallen dürfte.

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