Anzeige

Kommentar Frankreich ist nicht reformierbar

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron macht den demonstrierenden Gelbwesten Zugeständnisse
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron macht den demonstrierenden Gelbwesten Zugeständnisse
© dpa
Emmanuel Macron ist als große französische Reformhoffnung gestartet. Doch davon ist nach den andauernden Protesten nicht mehr viel übrig. Gideon Rachman über einen Präsidenten mit einem unmöglichen Job

Wie die meisten bedeutenden Politiker polarisiert Emmanuel Macron. So nehmen Macron-Hasser die Unruhen in Paris zum Anlass, um den französischen Präsidenten als Gescheiterten darzustellen – abgehoben, arrogant und einer überkommenen neoliberalen Agenda folgend. Im Gegensatz dazu beharren Macron-Liebhaber darauf, dass ihr Held seine aktuellen Probleme meistern und ein Präsident sein wird, der die Republik verändert.

Keins der beiden Urteile überzeugt. Macron ist in der Tat eine beeindruckende Erscheinung. Er hat die Notwendigkeit von Strukturreformen in der französischen Wirtschaft richtig erkannt und sich mutig für den Internationalismus eingesetzt. Aber die düstere Wahrheit ist, dass der Präsident durch die teilweise gewalttätigen Proteste der Gelbwesten und die panikgetriebenen Reaktionen der Regierungspolitik schwer angeschlagen ist.

Die Ereignisse der vergangenen Woche dürften in der Tat ein Wendepunkt sein, der die Präsidentschaft Macrons schwächen und verhindern wird, dass sie ihre Ziele einlösen kann. Um zu verstehen, warum dies der Fall ist, müssen wir uns mit den drei zentralen Punkten der Macron-Agenda befassen: interne Wirtschaftsreformen, Vertiefung der europäischen Integration und globale Governance. Diese drei Ansätze bedingen sich gegenseitig.

Der Reformelan ist erlahmt

Die ursprüngliche Idee war: Macron stellt seine Fähigkeit unter Beweis, Frankreich zu reformieren und überzeugt auf diese Weise Deutschland davon, wichtige Schritte hin zu einer echten europäischen Wirtschaftsregierung zu akzeptieren. Eine reformierte, gestärkte EU könnte dann gegen die wiederauflebenden Kräfte des Nationalismus vorgehen, die von Washington bis Peking zu beobachten sind. Wenn Macrons innenpolitische Agenda in schwieriges Fahrwasser gerät, wird wahrscheinlich auch seine internationale Agenda scheitern. Und genau das passiert momentan.

Die Macron-Anhänger haben Recht, wenn sie darauf verweisen, dass der Präsident bereits echte Erfolge erzielt hat . Er hat Veränderungen an den starren französischen Arbeitsmärkten durchgesetzt, um die Schaffung von Arbeitsplätzen zu erleichtern. Und er errang einen wichtigen Sieg gegen die mächtigen Eisenbahngewerkschaften. Aber der Schwung dieser Reformen ist inzwischen verflogen. Macrons Regierung nahm die Erhöhung der Kraftstoffsteuern zurück. Und der Präsident wird wahrscheinlich weitere Bonbons verteilen, um die Demonstranten zu beruhigen.

Die geplanten Reformen des Renten- und das Gesundheitssystems werden dadurch weniger wahrscheinlich. Daher steht auch hinter den Bemühungen, den Staat zu beschneiden, die öffentlichen Finanzen in Ordnung zu bringen und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, ein großes Fragezeichen.

Gewaltsame Proteste bestätigen deutsche Vorurteile

Macron könnte das nächste Beispiel eines Präsidenten sein, der Reformen angesichts von Straßenprotesten aufgibt. Der zentrale Widerspruch in Frankreich – die Forderung nach niedrigeren Steuern und besseren öffentlichen Dienstleistungen – wird ungelöst bleiben. Vielleicht kommt es noch viel schlimmer, wenn Proteste und Straßengewalt monatelang anhalten und ein Gefühl der permanenten Krise erzeugen. Selbst wenn sich die französischen Städte schnell beruhigen, wächst das Risiko deutlich, dass Macron von einem Präsidenten von der extremen Rechten oder der extremen Linken abgelöst wird.

Angesichts dieser Entwicklungen in Frankreich wird sich Deutschland höchstwahrscheinlich nicht auf die von Macron skizzierten ehrgeizigen EU-Reformen festlegen. Ein Jahrzehnt der Wirtschaftskrisen in Südeuropa hat deutsche Politiker sehr misstrauisch gegenüber allem gemacht, was nach „Transferunion“ klingt. Sie könnte dazu führen, dass deutsche Steuerzahler den Wohlstand der weniger liquiden EU-Länder dauerhaft subventionieren.

Ein dynamisches und erfolgreiches von Macron geführtes Frankreich hätte diese deutsche Skepsis überwinden können (die von den Niederlanden und einem Großteil Nordeuropas geteilt wird) – und dazu beigetragen, die Eurozone in Richtung der von den Franzosen geforderte „Wirtschaftsregierung“ zu bringen. Die Ereignisse auf den Straßen von Paris bestätigen stattdessen deutsche Vorurteile, wonach der französische Staat nicht reformierbar ist.

Tatsächlich haben sich die deutsch-französischen Beziehungen noch vor dem Aufstand der Gelbwesten verschlechtert. Die Bundesregierung ist zunehmend irritiert über die in ihren Augen überflüssige Selbstdarstellung Macrons; während die französische Regierung erschüttert ist über einen Mangel an Weitsicht und Großzügigkeit in Berlin.

Eine Stimme für die liberale Weltordnung fehlt

All das hat weltweite Bedeutung. Macron hat sich entschlossen als „Anti-Trump“ positioniert – und als weltweit entschiedener Fürsprecher der internationalen Zusammenarbeit. Er hat das von den USA aufgekündigte Pariser Klimaabkommen lautstark verteidigt. Hintergrund der unglückseligen Kraftstoffsteuer ist tatsächlich sein Engagement für den Klimaschutz.

Auf der jüngsten Pariser Friedenskonferenz prangerte Macron auch den Nationalismus an –wenige Tage, nachdem Trump sich zum Nationalisten erklärt hatte. Der US-Präsident schwelgt jetzt in Macrons Verlegenheit und twitterte schadenfroh: „Proteste und Unruhen in ganz Frankreich.“ Er behauptete, die Menge habe gerufen „Wir wollen Trump“, was wenig plausible erscheint.

Aber Trump hat das Glück, im Weißen Haus zu sein und nicht im Élysée-Palast. Frankreich zu führen, sieht immer mehr nach einem unmöglichen Job aus. Präsidenten mit unterschiedlichen Stilen sind in der Öffentlichkeit durchgefallen. Nicolas Sarkozy war den Franzosen zu „glamourös“; François Hollande zu gewöhnlich; jetzt ist ihnen Macron zu arrogant.

Hätte Macron diesen trostlosen Zyklus durchbrochen, wäre seine internationale Reputation gewachsen. Er hätte sich dann zum globalen Verfechter liberaler Werte aufschwingen können – eine Position, die dringend besetzt werden muss. Jetzt scheint es jedoch höchst unwahrscheinlich, dass Macron die Welt retten kann. Er kann sich glücklich schätzen, wenn er seine eigene Präsidentschaft rettet.

Copyright The Financial Times Limited 2018

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel