Anzeige

Frankreich Macrons große Herausforderung sind die Schulden

Emmanuel Macron schickt sich an, Frankreich umzukrempeln
Emmanuel Macron schickt sich an, Frankreich umzukrempeln
© Getty Images
Emmanuel Macron hat in kurzer Zeit viel bewegt – nur nicht bei den Schulden. Frankreich verfügt über kaum Haushaltsspielräume, um eine eventuelle Krise zu bewältigen. Simon Nixon über Macrons Reformen und die prekäre Finanzlage

In einem Großteil der Welt herrscht offenbar Macronmanie. Gerade deshalb sind vielleicht jetzt ein paar mahnende Worte geboten. Zweifellos ist der junge französische Präsident der Mann der Stunde: In nur acht Monaten seit seinem Amtsantritt hat Emmanuel Macron die Wahrnehmung seines eigenen Landes verändert und die europäische Politik elektrisiert.

Die französische Wirtschaft wuchs 2017 um 1,9 Prozent und erreichte damit den höchsten Wert seit 2011, derweil das Vertrauen der Unternehmen im Dezember ein Zehnjahreshoch erreichte. Der 40-jährige Macron unterstrich seine Star-Power im vergangenen Monat, als er einige führende Persönlichkeiten der größten globalen Unternehmen zu einer Art Weltwirtschaftsgipfel vor Davos nach Versailles lockte, wo einst die französischen Könige residierten.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs, die früher Frankreichs Schwäche beklagten, machen sich hinter vorgehaltener Hand nun Sorgen über die weitreichenden Ambitionen Macrons. Keine Frage: Frankreich ist zurück.

Mangel an Arbeitskräften

Wenn Macron die Erwartungen bisher übertroffen hat, deutet aber einiges daraufhin, dass die Herausforderungen für ihn größer sein könnten als bisher angenommen. Das Wachstum im vergangenen Jahr war für die französischen Verhältnisse der jüngeren Vergangenheit beeindruckend war und weit besser als die Prognosen zu Beginn des Jahres vermuten ließen, die kaum über den Vorhersagen für Italien lagen. Oder auch den Prognosen für Großbritannien, das gerade einen politischen Nervenzusammenbruch erleidet.

Alarmierend ist allerdings, dass trotzdem die Zahl der offenen Stellen steigt und immer mehr Unternehmen davor warnen, sie könnten die Produktion wegen eines Mangels an Arbeitskräften nicht steigern. Und das, obwohl die Arbeitslosenquote bei 9,8 Prozent liegt. Das gibt Anlass zur Sorge, dass es weitaus weniger freie Kapazitäten geben könnte als gedacht. Vor der Krise wurde allgemein davon ausgegangen, dass die natürliche Arbeitslosenquote – der Zeitpunkt, an dem der Inflationsdruck zu steigen beginnt – bei etwa sieben Prozent lag; jetzt befürchtet die Banque de France, dass sie über acht Prozent liegen könnte.

Und dann sind da noch die Schulden. Frankreich ist mit einer auffallend hohen Verschuldung aus der Krise gekommen. Der öffentliche Schuldenstand beträgt 96,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gegenüber 64,3 Prozent im Jahr 2007. Es stimmt, dass die meisten Regierungen während der Krise hohe Kredite aufgenommen haben. Aber Frankreich erlebte 2008-2009 eine mildere Rezession als die meisten Länder des Euroraums und vermied eine „Double-Dip“-Rezession in den Jahren 2011-2012.

Frankreich ist anfällig für Schocks

Länder wie die Niederlande und Irland haben ihre Schulden von den Spitzenwerten der Krise deutlich abgebaut, und sogar in Spanien, Portugal und Italien sinkt die Verschuldung. Darüber hinaus hat die Staatsverschuldung in den meisten Ländern den Schuldenabbau des privaten Sektors kompensiert. In Frankreich aber ist die Verschuldung des privaten Sektors sprunghaft angestiegen: Die Verschuldung der Unternehmen ist seit 2007 um 25 Prozent auf 169 Prozent des BIP gestiegen. Sie ist nun die dritthöchste in der Eurozone, stellt Gilles Moec, Chefökonom der Bank of America Merrill Lynch, fest. Damit ist Frankreich anfällig für Schocks, sei es durch steigende Zinsen oder einen Konjunkturabschwung.

Natürlich ist sich Macron dieser Gefahren bewusst. Er hat bereits eine bahnbrechende Arbeitsmarktreform auf den Weg gebracht, an der sich Vorgängerregierungen vergeblich versucht hatten. Macron hat die Besteuerung von Kapitalgewinnen reformiert und einen Pauschalsatz von 30 Prozent anstelle von Grenzsteuersätzen eingeführt, die bis zu 55 Prozent betragen konnten. Er hat versprochen, die Unternehmenssteuersätze von 33 Prozent bis 2022 auf 26 Prozent zu senken und er will aus einer vorübergehenden Senkung der Lohnsteuern eine dauerhafte machen.

Ferner leitet der Präsident eine umfassende Reform der Hochschul- und Berufsbildung ein, die im Laufe der Zeit dazu beitragen soll, den Fachkräftemangel zu beheben und die Arbeitslosenquote zu senken. In diesem Jahr ist ein neues Maßnahmenpaket zum Abbau von Regulierungen für die Wirtschaft geplant, das auch eine Reihe von Reformen beinhaltet, die der Präsident schon als Minister in einer früheren Regierung versucht hatte umzusetzen.

Langsamer Schuldenabbau

Trotz alledem machen die mangelnden Fortschritte beim Schuldenabbau Frankreich auf zwei Ebenen anfällig. Erstens hat das Land kaum Haushaltsspielräume zur Bewältigung einer künftigen Krise. Der Regierung scheint es gelungen zu sein, das Haushaltsdefizit 2017 erstmals seit einem Jahrzehnt wieder unter die in der Eurozone geltenden Drei-Prozent-Grenze zu drücken – wenn auch nur mit Hilfe einer rückwirkenden Unternehmenssteuer in Höhe von 10 Mrd. Euro. Um einen weiteren Defizitabbau zu umgehen, will Paris aber die Flexibilitätsregeln der Eurozone bis zum Äußersten ausnutzen.

Ein schnellerer Defizitabbau ist schwierig, da die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes langfristig vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze geschützt sind und einige Reformen zusätzliche öffentliche Ausgaben erfordern – wie die vorgeschlagenen Bildungsprogramme für neue Arbeitskräfte, die nach offiziellen Angaben allein 15 Mrd. Euro pro Jahr kosten werden.

Regierungsvertreter argumentieren zudem, dass zu schnelle Ausgabenkürzungen das Wachstum beeinträchtigen und die Unterstützung für weitere Reformen untergraben könnten. Im Ergebnis jedoch wird die Verschuldung im Verhältnis zum BIP bis 2022 voraussichtlich nur um fünf Prozent zurückgehen.

Widerstand gegen Europa-Pläne

Die zweite Gefahr besteht darin, dass das, was im französischen Kontext sinnvoll erscheint, auf europäischer Ebene gegen Macron verwendet werden kann. Als Minister, Kandidat und jetzt als Präsident stützt Macron seine Glaubwürdigkeit auf seine Fähigkeit zur Reform der Eurozone. Dazu gehört auch die Schaffung einer europaweiten Finanzstruktur zur Stabilisierung von Ländern in wirtschaftlichen Schwierigkeiten.

Um erfolgreich zu sein, muss Macron jedoch den Widerstand von Ländern überwinden, die Defizite und Schulden abgebaut haben – oft unter weitaus schwierigeren Bedingungen als in Frankreich heute. In ihren Augen ist Stabilität viel effektiver durch die Erlangung von Haushaltsspielräumen auf nationaler Ebene zu erreichen. Und sie befürchten, dass Macrons Vorschläge zu einem System permanenter Transfers führen, das Anreize zum Abbau von Schulden verringert – nicht zuletzt in Frankreich.

Wenn man bedenkt, wie eng Frankreichs gegenwärtige Wiederbelebung mit der Glaubwürdigkeit Macrons verbunden ist, könnte nicht nur seine eigene Karriere davon abhängen, dass er diese Auseinandersetzung gewinnt.

Copyright The Wall Street Journal 2018

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel