CAPITAL: Herr Thelen, Sie sind einer der bekanntesten Unterstützer von Elon Musk – zumindest in Deutschland. Trotzdem haben sie anlässlich der Umfrage, ob Musk seinen Job als Twitter-CEO behalten soll, seinen Rücktritt befürwortet. Warum?
FRANK THELEN: Twitter ist zu einem politischen und emotionalen Drama geworden – und das auch zu Recht. Elon Musk ist dort mit seinem First-Principle-Thinking-Ansatz, bei dem es um tiefgreifende Veränderungen auf Basis physikalischer Gegebenheiten geht, angetreten und hat progressiv Dinge umgesetzt. Die Änderungen erschienen mir auch oftmals mit guter Intention, aber sie waren zu schnell und zu wenig empathisch. Aktionen wie das Blocken einzelner Redakteure waren hingegen nicht okay. Das hat die Nutzer nachvollziehbarerweise verärgert.
Sie wären also froh, wenn er wirklich zurücktritt?
Ja, tatsächlich. Ich hoffe, dass er sich auf die Dinge konzentriert, die er wirklich gut kann – auf Raketen, Elektromobilität, KI, Chips und so weiter. Und ich hoffe, dass er eine Person für Twitter findet, die politisch erfahrener und empathischer ist als er selbst. Twitter-Chef ist sicher nicht die optimale Position für ihn.
Aber selbst wenn er als CEO abtreten sollte – es ist schwer vorstellbar, dass Musk so richtig Abstand von Twitter nimmt.
Gesellschafter wird er bleiben. Er hat Twitter zu einem unglücklichen Zeitpunkt gekauft, als die Bewertungen noch deutlich höher waren. Heutzutage könnte er Twitter nicht mehr zu diesem Preis verkaufen. Gehen wir also davon aus, dass er Gesellschafter bleibt. Dann können wir an anderen Projekten sehen, wie er handeln dürfte – bei The Boring Company, bei Hyperloop. Da sitzt er teilweise im Board und veranstaltet Innovationswettbewerbe. Er ist aber nicht ins Tagesgeschäft involviert. Das ist auch meine Hoffnung für Twitter – dass er zwar große Entscheidungen in der Software-Architektur mitträgt, sich aber aus User- und Content-Policies raushält.
Sie stehen selbst in der Kritik, weil Sie Elon Musk immer wieder verteidigen. Finfluencer Philipp Klöckner hat Sie zuletzt sogar einen „Stiefellecker“ genannt. Hat diese Kritik Ihr Denken über Elon Musk in den vergangenen Monaten verändert?
Erst einmal: die Wortwahl zeigt, wie niedrig das Niveau insbesondere auf Twitter sein kann. Das finde ich ehrlich gesagt traurig. Elon Musk ist über Dekaden betrachtet einer der größten Denker und Macher der Geschichte. Ist Elon jetzt superstark in Themen wie Empathie und Politik? Nein, sicher nicht. Aber das habe ich auch nie gesagt. Im Gegenteil: Ich habe sogar noch am Tag der Twitter-Übernahme meine Bedenken geäußert.
Das bleibt aber nicht bei Ihren Kritikern hängen. Sie gelten als naiver Musk-Jünger …
Das ist ein Narrativ, das sich gut klickt. Zu einigen Themen habe ich eine explizit andere Meinung, die ich auch öffentlich vertrete. Trotzdem picken sich manche Medien nur das raus, was in ihre Story passt. Ich verstehe das, aber es entspricht nicht der Realität. Ich mache aber auch keinen Hehl daraus, dass ich begeistert von dem bin, was er baut. Natürlich verspricht er manchmal zu viel. Aber er ist derjenige, der bislang noch am meisten geliefert hat.
Zuletzt hat der Ruf von Elon Musk stark gelitten. Glauben Sie, dass auch ihr eigener Ruf dadurch beschädigt wurde?
Nein. Solche Vergleiche sind im Positiven wie Negativen sinnfrei. Ich habe immer betont: ich bin nicht der deutsche Elon Musk, sondern der Frank. Ich habe weder eigene Raketen gebaut, noch habe ich annähernd sein Kapital. Wir kooperieren mit seinen Unternehmen, wir schießen zum Beispiel unsere Satelliten mit SpaceX ins All. Aber das ist auch alles.
Sie sind über ihren Fonds 10XDNA massiv in Tesla investiert. Zuletzt stand der Autobauer für etwa sieben Prozent ihres Portfolios. Können Sie da überhaupt ein ungefiltertes Urteil über Elon Musk treffen?
Ich muss da tatsächlich zwei Perspektiven einnehmen. Als Teil meiner Aktivitäten im Venture Capital Bereich, wo wir mit Freigeist Capital aktiv sind, sehe ich es als unsere Aufgabe an, Europa mit herausragenden Köpfen voranzubringen. Elon Musk ist hier ein großes Vorbild in Sachen Mut und Pioniergeist.
Und die zweite Perspektive?
Da investieren wir mit den 10xDNA-Fonds in börsennotierte Unternehmen und Unternehmer – und hier ist Tesla aktuell unsere zweitgrößte Position. Wir haben unseren Anlegern gegenüber die Verantwortung, gewissenhaft und faktengeleitet zu investieren. Das spiegelt sich auch in unserem Researchprozess wider. Die 10xDNA-Fonds sind keine One-Man-Show – wir haben ein mehrköpfiges Research-Team mit erfahrenen Wissenschaftlern und Kapitalmarktexperten. Entscheidungen werden immer gemeinsam getroffen und müssen vom gesamten Team getragen werden. Da bekomme ich übrigens oft Widerrede – und das ist auch gut so. Dass wir in Tesla investiert sind, liegt an einer ausführlichen Analyse, einem aus unserer Sicht positiven Investmentcase und einem für den Fonds sinnvollen Chance-Risiko-Verhältnis bei der aktuellen Bewertung. Ich selbst bin übrigens der größte Einzelinvestor im Fonds, dementsprechend sind meine Interessen mit denen unserer Anleger gleichgestellt.
Elon Musk hat noch ein paar andere Projekte, die bislang nicht gelistet sind. Zum Beispiel The Boring Company oder SpaceX. Sind das Unternehmen, in die sie mit 10XDNA investieren würden?
So wie andere börsengelistete Deep-Tech-Unternehmen würden wir uns auch weitere Musk-Companies anschauen. Ob wir investieren, ist immer eine Frage des Chance-Risiko-Verhältnisses und der Gewichtung unseres Portfolios. Starlink nutzen wir, das finde ich interessant. Mit SpaceX bringt Endurosat seine Satelliten ins All, ebenfalls sehr spannend. The Boring Company ist wahrscheinlich nicht so nah bei uns. Den Bereich Brain-Interfaces, in dem Neuralink forscht, schauen wir uns heute schon mit Freigeist an. Das könnte eine gute Ergänzung sein, jedoch ist es viel zu früh, hierzu eine seriöse Aussage zu treffen.
Ihr Fonds für disruptive Technologien ist seit September 2021 am Markt. Seitdem hat er knapp 45 Prozent verloren, und allein in diesem Jahr waren es 48 Prozent. Lief das Jahr tatsächlich so schlecht oder übertreiben die Märkte?
Man muss dazu sagen: Technologieaktien sind in den Jahren zuvor enorm gut gelaufen. Im letzten Jahres haben die Kurse dann stark nach unten korrigiert. Das Ergebnis unserer Fondsperformance stellt michnatürlich nicht zufrieden. Ich bin selbst mit über 10 Mio. Euro in unsere Strategie investiert. Unser Konzept setzt einen längeren Anlagehorizont voraus. Das heißt auch, dass solche Phasen wie jetzt dazu gehören. Wenn ich unsere Performance mit der des Nasdaq Internet-Index oder ähnlicher Fonds – ARK oder Bit Capital – vergleiche, dann stehen wir ähnlich da. Die Frage ist aber: Wie laufen wir, wenn der Markt sich dreht? Dann müssen wir nicht nur den Markt schlagen, sondern auch vergleichbare Fonds. Das ist eine große Herausforderung.
Sie haben zum Start gesagt, dass ihr Fonds in vier bis acht Jahren eine Verdreifachung erreichen soll. Dafür müssten sie bei sieben Jahren Restlaufzeit annualisiert 27 Prozent jährlich zulegen. Halten Sie das weiter für realistisch?
Diese Aussage habe ich zunächst einmal für mich persönlich getroffen und das ist auch immer noch meine persönliche Erwartung an meine Investition. Wenn ich mir die Multiples bei disruptiven Technologien anschaue, sind das Tiefstände über Dekaden. Natürlich kann man diskutieren, ob sie vorher zu hoch waren. Aber gehen wir mal davon aus, dass sie so niedrig bleiben, dann wachsen die meisten Unternehmen wahrscheinlich trotzdem um 30 Prozent – rein vom Umsatz her. Bei Tesla erwarten wir zum Beispiel ein Wachstum von 50 Prozent, bei Soitec von 25 Prozent, bei Palantir von mindestens 30 Prozent. Und wir erwarten auch, dass die Gewinne durch Skaleneffekte überproportional steigen. Wenn sie das schaffen, dann können wir diese Returns rein aus den Unternehmen heraus liefern, sogar ohne Erholung des Markts oder Zinsumfeldes.
Tatsächlich waren die Fundamentaldaten vieler Wachstumsunternehmen gar nicht so schlecht in diesem Jahr …
Sie sind sogar besser geworden. Soitec, Hims & Hers, Tesla – all diese Unternehmen haben im letzten Jahr ordentliches Wachstum geliefert. Tesla erwirtschaftet in der Automobilproduktion Bruttomargen, von denen viele Automobilproduzenten nur träumen dürfen und wächst dabei stetig. Abseits der öffentlichen Wahrnehmung sehen wir auch bei anderen Portfoliounternehmen gute operative Entwicklungen.
Trotzdem hat sich der Blick auf Fundamentaldaten in diesem Jahr verschoben. Viele Investoren achten zum Beispiel stärker auf Profitabilität und den Verschuldungsgrad. Schauen Sie auch anders auf die Daten?
Nein, unser Modell hat sich nicht grundlegend verändert. Wir haben immer schon geschaut, ob ein Unternehmen ausreichend Cash hat. Wir haben sicher noch mal feinere Discounted-Cashflow-Modelle entwickelt und schauen etwas mehr auf Multiples im Gesamtmarkt, wo wir früher stärker auf das einzelne Unternehmen geschaut haben. Im Kern ist unsere Finanzanalyse aber die gleiche.
In diesem Jahr haben vor allem Value-Aktien gut performt. Dazu zählen auch einige Technologieunternehmen, denen immer noch Disruptionen gelingen – zum Beispiel Microsoft. Haben Sie mal überlegt, solche Unternehmen zur Stabilisierung aufzunehmen?
Nein, das passt nicht zu uns und unsere Strategie zu ändern, wäre das Schlimmste, was wir jetzt tun könnten. Mir ist klar, dass wir dieses Jahr den Worst Case erlebt haben. Aber wenn ich mir zum Beispiel Berkshire Hathaway anschaue, die per Definition ein Value-Fonds sind, dann haben die dreimal 50 Prozent ihres Werts verloren. Weil Value gerade nicht gefragt war. Würden wir jetzt unser Tech-Portfolio umstellen, nur weil Tech gerade eine schwierige Zeit durchlebt, dann verlieren wir unsere DNA. Und bei Value könnte ich auch keinen Mehrwert bringen. Es ist verdammt schwer langfristig den Markt zu schlagen, das traue ich mir nur im Tech-Bereich zu.
Unter all den vielen verrückten Börsenentwicklungen in diesem Jahr: Was hat Sie besonders überrascht?
Was ich persönlich nicht erwartet habe, ist, dass auch die Großen – Shopify, Hubspot, Zoom – zu solchen Multiples gehandelt werden. Die traden wie Pizza Hut. Aus Investorensicht ist das für mich irrational.
Bei welchen Titeln in ihrem Portfolio sehen Sie denn das größte Potenzial?
Ich glaube nicht, dass es um einzelne Titel und Unternehmen geht. Alle Titel im 10xDNA-Portfolio haben aus unserer Sicht noch viel Kurspotential. Wir erwarten, dass insbesondere im Small- und Mid Cap-Bereich wie auch im Cleantech-Space noch viel möglich ist. Die aktuellen Herausforderungen unserer Gesellschaft, sei es Klimawandel oder Umweltverschmutzung, müssen mit technologischen Ansätzen gelöst werden. An diesen Themen arbeitet mein Research-Team seit einiger Zeit und wir nehmen nach und nach spannende Titel in den Fonds auf.
Sie haben in diesem Jahr fast ein Fünftel ihres Portfolios umgeschichtet. Sie haben zum Beispiel Unternehmen wie Coinbase, Hubspot oder zuletzt Tencent rausgeschmissen. Warum – und wann handeln Sie?
Es stimmt, dass wir aktiver waren als gedacht. Wir haben aber klare Regeln, nach denen wir solche Entscheidungen treffen. Als aktiver Investor ist genau das unsere Aufgabe, wenn wir durch so volatile Zeiten laufen. Wenn sich ein Unternehmen über einen längeren Zeitraum anders entwickelt, als wir das erwarten, oder makroökomische Entwicklungen das Geschäftsmodell in Frage stellen, dann schichten wir um. Ein Beispiel: Coinbase haben wir zum Glück rechtzeitig verkauft, bevor es richtig runterging. Das war kein Timing, sondern vor allem der geringen Traktion bei ihrem NFT-Produkt, den ausufernden operativen Kosten und dem Rückgang im Handelsvolumen geschuldet. Da waren wir sehr enttäuscht und haben unseren Anteil verkauft.
Auf der anderen Seite haben Sie zuletzt Unternehmen wie den Biotechnologieanbieter Zailab neu aufgenommen. Außerdem haben Sie Tesla nachgekauft. Warum?
Zailab hat ein sehr stabiles Kerngeschäft, weil sie Medikamente führender westlicher Pharmaunternehmen auf den chinesischen Markt zur Zulassung bringen und anschließend vertreiben. Das ist ein sehr robustes Geschäftsmodell. Auf der anderen Seite betreiben sie herausragende Forschung – wir erwarten in den kommenden Jahren einige Blockbuster-Medikamente von ihnen. Tesla bleibt eine wichtige Position für uns und bei solchen Kursen kaufen wir nach.
Nach diesem schwierigen Jahr – was erwarten Sie für 2023?
Mein allergrößter Wunsch ist, dass der Krieg in der Ukraine endet. Ich habe am vergangenen Wochenende noch mit Witali Klitschko darüber gesprochen. Es ist ein Leid, das wir uns alle nicht vorstellen können. Wenn ich auf unsere Fonds schaue, hoffe ich auf eine beständig niedrigere Inflationsrate. Da sind wir wahrscheinlich auch optimistischer als andere. Wir glauben, dass wir im ersten Halbjahr 2023 positive Nachrichten und damit auch weniger Zinssprünge bekommen – vielleicht gehen die Zinsen sogar einen Schritt zurück. Unabhängig von der Marktlage fokussieren wir uns weiterhin darauf, herausragenden Technologieunternehmen zu finden. Gerade jetzt gibt es wirklich besondere Chancen.