Die Energiekrise trifft kaum eine Branche so hart wie die Keramikindustrie. Die Produktion verschlingt große Mengen Energie, in allererster Linie Gas. Das bekommt auch der größte Fliesenhersteller des Landes zu spüren, die Deutsche Steinzeug Cremer & Breuer AG. Das Unternehmen hat 1115 Mitarbeiter und setzte 2021 152 Mio. Euro um. In den vier Werken in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Rheinland-Pfalz stellt das Unternehmen Fliesen sowie Schwimmbad- und Fassadenkeramik her.
Seit 37 Jahren leitet Dieter Schäfer, 74, das Unternehmen. Capital hat seit Beginn der Krise mehrmals mit ihm gesprochen. Für den Dezember war ein weiteres Interview vereinbart, eine Art Jahresbilanz. Schäfer ist aufgewühlt, das Gespräch beginnt dieses Mal er.
DIETER SCHÄFER: Guten Morgen, Frau Michel, es gibt uns noch.
CAPITAL: Das freut mich zu hören. Hatten Sie denn daran Zweifel?
Es ist schon erstaunlich, zwischendurch war ich wirklich am Verzweifeln. Für uns geht ein sehr, sehr schwieriges Jahr zu Ende. Aber am Ende haben wir es alles hinbekommen und ich würde sagen, dass wir mit einem blauen Auge davongekommen sind.
Wie haben Sie es hinbekommen?
Wie alle haben auch wir dieses Jahr die Preise erhöhen müssen. Dreimal, um insgesamt rund 25 Prozent. Darüber hinaus sparen wir Energie, wo wir nur können – indem wir zum Beispiel noch mehr recyceln und da, wo die Anforderungen an das Material es zulassen, immer mehr unserer Fliesen in einer geringeren Stärke von nur sechs Millimetern statt acht Millimetern herstellen. Das spart Material-, Energie- und Transportkosten.
Wie andere Unternehmen kämpfen Sie vor allem mit den hohen Energiepreisen. Wie haben diese sich für die Deutsche Steinzeug seit dem letzten Herbst entwickelt?
Für Gas zahlen wir je nach Verbrauch das Zwei- bis Dreifache. Das größere Problem ist für uns aber der Strompreis. Für unsere vier Werke brauchen wir pro Jahr 40 Millionen Kilowattstunden Strom und rund 400 Millionen Kilowattstunden Gas – derzeit zahlen wir für den Strom in Summe aber genauso viel wie für das Gas. Die Preise haben sich mehr als versechsfacht.
Im neuen Jahr kommen die Gas- und Strompreisbremse, für Unternehmen ist der Preis für 70 Prozent des Vorjahresverbrauchs dann gedeckelt. Das wird Ihnen doch sicher helfen.
Ich mache mir wenig Hoffnungen, dass das eine große Hilfe wird.
Wieso?
Die Regelungen sind kompliziert, und es gibt für die Entlastung Höchstgrenzen. Um wirkliche Unterstützung zu bekommen, müssten wir wohl nachweisen, dass wir 2023 weniger Gewinn (also Ebitda) machen als 2021. Das kann aber ja nicht unser wirtschaftliches Ziel sein. Schon 2021 war für uns ein schlechtes Jahr. In der Coronakrise standen Baustellen still, unser Werk im Ahrtal wurde überflutet. Es ist zum Wahnsinnigwerden. Aber ich kämpfe weiter, die Hoffnung stirbt zuletzt.
Wie kämpfen Sie?
Wir haben die Regierungen aller drei Bundesländer angeschrieben, in denen unsere Werke stehen. Wir haben auch Robert Habeck geschrieben. Aber bisher sind nur Eingangsbestätigungen zurückgekommen.
Produzieren Sie derzeit so viel wie vor der Energiekrise?
Nein, gerade stehen alle unsere Werke vorzeitig still. Normalerweise starten wir erst zwei Wochen später in die Weihnachtspause. Auch zwischendurch haben wir immer wieder mal Öfen herunterfahren müssen, wenn unsere Ware preislich nicht am Markt durchsetzbar war.
Wie entscheiden Sie, was weiter produziert wird?
Wir konzentrieren uns auf das Objektgeschäft, dabei geht es um hochwertige Ware wie Fassaden und großflächige Raumkonzepte. Da ist die Wertschöpfung noch okay. Anders sieht es bei den preiswerteren Fliesen aus. Es macht keinen Sinn, teure Energie am Spotmarkt zu kaufen und das Geld über die Verkaufspreise dann nicht wiederzubekommen. Wir merken auch, dass die Verbraucher weniger in die Ausstellungen gehen und Fliesen kaufen.
Haben Sie Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt?
Ja, wochenweise haben wir das gemacht, und es war eine schwierige Entscheidung, schließlich haben die Beschäftigten wegen der hohen Inflation sowieso weniger Geld in der Tasche. Wir konnten das Kurzarbeitergeld, das die Bundesagentur für Arbeit zahlt, als Arbeitgeber leider auch nicht aufstocken. Die Menschen leiden darunter. Wenn jemand eine Woche in Kurzarbeit ist, dann hat er 120 bis 140 Euro weniger.
Nach dem milden Herbst hat nun ein kalter Winter begonnen. Die Gasspeicher leeren sich. Wie bedrohlich ist dieses Szenario für Sie?
Wir gelten nicht als systemrelevant, würden also zu den ersten gehören, die rationiert werden. Das wäre furchtbar, aber ich rechne nicht damit. Die Speicher werden reichen und ich glaube, dass die Menschen Energie sparen. Ich gehe also davon aus, dass wir über den Winter kommen.
Auch nach diesem Winter werden die Energiepreise hoch bleiben – und die Branche wird in Deutschland wohl ums Überleben kämpfen müssen.
Drei Werke sind dieses Jahr in der Fliesenindustrie insolvent gegangen oder haben die Produktion eingestellt, darunter die Fabrik im Saarland von Villeroy & Boch Fliesen. Das Unternehmen hat ja schon länger türkische Eigentümer, sie verlagern die Produktion nun in die Türkei. Die Letzten verlassen also das sinkende Schiff, diesen Eindruck kann man schon bekommen.
Wieso halten Sie trotzdem durch?
Weil unsere Sortimente sich unterscheiden und wir international gefragte Spezialisten sind. Wir machen eben nicht nur normale Fliesen, sondern auch Architekturkeramik inklusive Fassaden und Schwimmbäder. Im Vergleich zu anderen deutschen Herstellern haben wir mit 45 Prozent deshalb einen sehr hohen Exportanteil. Und wir machen so wunderschöne Produkte. Ich bin also weiter positiv. Wir werden nach mehr als 140 Jahren, die es uns gibt, für unser Überleben weiterkämpfen.