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Leitzinsen Was für und was gegen Zinserhöhungen spricht

EZB-Chefin Christine Lagarde in der Zwickmühle
EZB-Chefin Christine Lagarde in der Zwickmühle
© IMAGO / Hannelore Förster
Experten sind sich uneins: Die einen meinen, immer höhere Zinsen verschärfen die Krise, die anderen glauben, nur so kann die Inflation gestoppt werden. Die wichtigsten Argumente für und gegen weitere Zinserhöhungen

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat – wie andere Notenbanken – ihre Leitzinsen in den vergangenen Monaten im Rekordtempo erhöht. Damit reagiert sie auf die höchsten Inflationsraten in Europa seit Einführung des Euro. Für Deutschland sind es sogar die höchsten Preissteigerungen seit mehr als 70 Jahren. Doch zuletzt hat sich die Inflation wieder abgeschwächt. Von Oktober auf November sind in Deutschland die Preise nicht mehr gestiegen, in manchen Euro-Ländern sind sie sogar gefallen. Die der Inflation meist vorauslaufenden Erzeugerpreise brachen in Deutschland im November gegenüber dem Vormonat sogar regelrecht ein. Volkswirte erwarten inzwischen, dass die Inflationsrate im Dezember von zehn auf gut sieben Prozent zurückgehen wird.

Gleichzeitig ist der Ausblick für die europäische Wirtschaftsentwicklung in den kommenden Monaten düster. Es mehren sich daher die Stimmen, die ein Ende der Zinserhöhungen fordern. Denn höhere Zinsen bremsen die Konjunktur weiter, hemmen Investitionen und erhöhen in der Regel die Arbeitslosigkeit. Andere Experten und Notenbankvertreter fordern hingegen vehement weitere Zinsschritte, bis gesichert ist, dass die Inflation wieder auf den Zielwert von zwei Prozent sinken wird. Das sind die wichtigsten Argumente für und gegen weitere Zinserhöhungen:

Contra

Die Krise wird verschlimmert

Höhere Zinsen erhöhen den Preis des Kapitals, mit dem Unternehmen arbeiten. Das dämpft die wirtschaftliche Aktivität. Das ist genau so gewollt, denn so wird die Nachfrage sowohl nach Investitions- und Konsumgütern gesenkt. Dies kostet unter anderem aber auch Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze. Wenn Notenbanken den Phasen einer überhitzten Wirtschaft und steigenden Preisen entgegenwirken müssen, ist das kein Problem. Deutschland und Europa stehen derzeit jedoch übereinstimmenden Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute zufolge am Beginn einer Rezession. Unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert deshalb einen Stopp der Zinserhöhungen. „Weitere Zinsschritte könnten die Konjunktur empfindlich schwächen - steigende Arbeitslosigkeit und eine Zunahme sozialer Härten wären die Folge“, warnt DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. 

EZB-Chefin Lagarde hat allerdings bereits deutlich gemacht, dass sie auf das Konjunkturargument keine Rücksicht nehmen will. Im Gegenteil, sie warnte die Euro-Regierungen sogar davor, die Konjunktur anzukurbeln, da sie die volkswirtschaftliche Nachfrage erhöhe, die eben gesenkt werden müsse, um die Preissteigerungen in den Griff zu bekommen. 

Inflationstreiber lassen sich nicht von Geldpolitik beeinflussen

Demgegenüber werden Gegner weiterer Zinsschritte nicht müde zu betonen, dass die aktuelle Inflation nicht durch zu hohe Nachfrage, sondern durch einen Schock beim Angebot ausgelöst worden sei. Die durch den russischen Angriff auf die Ukraine und die folgenden Sanktionen ausgelösten Steigerungen der Energiepreise und auch die Lieferkettenprobleme, die viele Produkte verknappt und damit verteuert hätten, könnten mit den geldpolitischen Mitteln der Zentralbank gar nicht wirksam beeinflusst werden. 

Krise drosselt Nachfrage von allein

Zudem sind gerade die Energiepreise bereits wieder stark gesunken, und zwar nicht infolge der bisherigen Zinsschritte der Notenbanken, sondern weitgehend durch eine Selbstregulierung des Marktes: Die exorbitant teure Energie hat zu einem globalen Konjunktureinbruch geführt, der hat die Nachfrage beispielsweise nach Rohöl stark zurückgehen lassen, weswegen der Ölpreis auf dem Weltmarkt von seinem Jahreshöchststand Anfang März um rund 40 Prozent gesunken ist. Das macht sich in Form deutlich sinkender Spritpreise an den Tankstellen auch bei den deutschen Verbrauchern bereits bemerkbar. 

Keine Lohn-Preis-Spirale in Sicht

Eine große Sorge zu Beginn des aktuellen Inflationsanstiegs war, dass sich die Inflation in Form einer Lohn-Preis-Spirale verselbständigen könnte. Davon ist jedoch am Ende des Jahres immer noch nichts zu sehen. Laut dem gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) stiegen die Tariflöhne im laufenden Jahr nur um durchschnittlich 2,7 Prozent. Zwar treten die jüngsten, meist deutlich höheren Tarifabschlüsse teilweise erst im kommenden Jahr in Kraft. Dennoch gehören die Lohnkosten eindeutig nicht zu den Inflationstreibern.

Pro

Inflation ist breiter geworden

Weder die ausbleibende Lohn-Preis-Spirale, noch sinkende Energie- und Rohstoffpreise können jedoch Befürworter weiterer Zinsschritte beruhigen. Sie verweisen darauf, dass zuletzt die Preise auch von Waren und Dienstleistungen, die nicht direkt mit den Energiepreisen zusammenhängen, gestiegen sind. So lag die Kerninflation, bei der besonders schwankungsanfällige Preise nicht mitberechnet werden, im Euroraum zuletzt bei 5,0 Prozent. Das ist zwar nicht so extrem hoch wie die stark von der Energie getriebene Gesamtinflation, aber doch weit über dem EZB-Inflationsziel von 2 Prozent. 

Neutraler Zins noch nicht erreicht

Zwar hat die EZB die Zinsen zuletzt so schnell erhöht wie noch nie. Allerdings ist sie dabei auch von einem historisch niedrigen Niveau gestartet. Derzeit liegt der europäische Leitzins, der Hauptrefinanzierungssatz, bei 2,0 Prozent. Der ebenfalls wichtige Einlagesatz liegt noch etwas darunter bei 1,5 Prozent. Das ist sowohl im Vergleich zu früheren Jahrzehnten, als auch im Vergleich zur amerikanischen Notenbank Fed, deren Leitzins aktuell in der Spanne zwischen 3,75 und 4,0 Prozent liegt, immer noch niedrig. Vor allem geht die EZB davon aus, dass die eigenen Zinssätze das neutrale Zinsniveau, auf dem sie die Wirtschaft weder stimulieren noch bremsen würden, noch nicht erreicht haben. Das heißt, die Notenbank kurbelt die Konjunktur und damit die Nachfrage tendenziell immer noch etwas an. Dies wollen die Zentralbanker angesichts der aktuellen Inflationsraten auf jeden Fall abstellen. 

Nicht die aktuelle Inflation, die mittelfristige Entwicklung zählt

Geldpolitische Maßnahmen, also vor allem Leitzinsveränderungen und Anleihekäufe oder -verkäufe, entfalten ihre Wirkung mit einem Zeitverzug. Der beträgt unterschiedlichen Schätzungen zufolge sechs Monate oder mehr. Das heißt, dass für die aktuell anstehende Zinsentscheidung die derzeitige Inflationsrate gar nicht die entscheidende sein sollte, sondern die im kommenden Jahr zu erwartende. Laut ihrer aktuellen, gerade wieder einmal angehobenen Prognose erwartet die EZB, dass die Inflation nicht nur im kommenden, sondern auch im übernächsten Jahr noch deutlich über dem Zwei-Prozent-Ziel liegen wird. Unter anderem EZB-Chefökonom Philip Lane hat deutlich gemacht, dass weitere Zinserhöhungen nötig sind, um die Inflation schneller auf den Zielwert zurückzubringen. 

Auf die Erwartungen kommt es an

Als einer der wichtigsten Faktoren für die Inflationsentwicklung, außer etwa den Energiepreisen, welche die Notenbank kaum beeinflussen kann, gelten die Inflationserwartungen. Gehen Verbraucher und Unternehmen davon aus, dass die Preise in Zukunft stark steigen, stellen sie sich entsprechen darauf ein und erhöhen ihre Lohnforderungen oder Preise. Eine selbsterfüllende Prophezeiung. Umfragen, die die EZB regelmäßig dazu durchführen lässt, zeigen, dass die europäischen Verbraucher zwar damit rechnen, dass die Inflation bald zurückgeht, aber doch mittelfristig über 2 Prozent bleibt. 

Die einen leiten daraus ab, dass die EZB mit weiteren deutlichen Zinsschritten ihre Entschlossenheit demonstrieren und die Erwartungen weiter drücken müsse. Die anderen finden diese Umfrageergebnisse beruhigend, weil sie ja auf einen Rückgang bei den Erwartungen hinweisen, der sich angesichts der aktuell bereits sinkenden Inflation weiter verstärken dürfte.

Dieser Artikel ist zuerst auf ntv.de erschienen 

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