Indiskretionen in der Presse haben immer ein Ziel. Gerade erst hatte der EZB-Rat einmütig entschieden, die aktuell günstigen Finanzierungskonditionen „für einen längeren Zeitraum“ beizubehalten, da schreckte am Wochenende schon eine Enthüllung des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ auf. In Wahrheit sei das wichtigste Entscheidungsgremium der Europäischen Zentralbank über den künftigen Kurs in der Geldpolitik tief zerstritten, berichtete das Magazin. Das Kalkül hinter solchen Geschichten ist simpel, die Indiskretion solle den jüngsten Beschluss vom vergangenen Donnerstag gleich wieder diskreditieren.
Was für ein Unfug! Wem sollen wir glauben – unseren eigenen Augen und Ohren, oder jenem Informanten, der die Geschichte durchstach? Der Rat der EZB hat sich mit seinem Votum doch eindeutig und einhellig entschieden, die eigene Geldpolitik von der US-Notenbank Federal Reserve zu entkoppeln. Das ist die Botschaft von dem, was Notenbanker „forward guidance“ nennen - die künftige Orientierung, die langfristige Linie. Die Märkte haben sie verstanden und gefeiert. Wo bitte ist der Konflikt?
Selbst in der Frage weiterer Zinssenkungen gab es Einigkeit. Sollten die Daten zur Geldpolitik eine weitere Reduktion rechtfertigen, wird sie kommen – falls nötig auch vor den Wahlen in Deutschland im September. Der Schlüsselsatz von EZB-Präsident Mario Draghi lautet: „Der EZB-Rat erwartet, dass die wichtigsten Zinssätze im Euro-Raum für einen längeren Zeitraum auf dem gegenwärtigen Niveau oder darunter liegen werden.“
Wie aber sollen Zinsen ohne eine Senkung ein niedrigeres Niveau erreichen? Dass die Falken im EZB-Rat diese Linie akzeptierten, wird ihr bleibendes Verdienst sein.
Einhelligkeit bedeutet natürlich nicht zwangsläufig, dass schon zu Beginn einer Diskussion alle einer Meinung waren. Aber entscheidend ist, was am Ende einer Debatte herauskommt.
Und am Ende der Sitzung vergangene Woche in Frankfurt und nach langen, fruchtbaren Diskussionen willigten all jene Ratsmitglieder in die neue Linie der „forward guidance“ ein, die zuvor eigentlich die Zinsen hatten senken wollen. Niemand musste überredet oder gedrängt werden, alle Ratsmitglieder entscheiden sich für das, wovon sie überzeugt waren.
Das ist keine gespielte Harmonie. Das ist die Realität. Die Ratsmitglieder entschieden sich so, weil die neue Politik des „forward guidance“ ihnen jene unverzichtbare Flexibilität gibt, die nötig ist, um in Europa endlich aus der Krise zu kommen.
Die Meldung vom vergangenen Wochenende über den angeblichen Konflikt ist deshalb albern. Wenn man den Beschluss genau studiert, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Einigkeit real und nicht nur gespielt ist. In einer sehr wichtigen geldpolitischen Angelegenheit hat der EZB-Rat zusammengefunden und gemeinsam entschieden.
Europa hat schon genug andere und ganz reale Probleme – auch ohne bösartige und allenfalls vermeintliche Enthüllungen.
Melvyn Krauss ist emeretierter Professor für Volkswirtschaft an der New York University
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