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14. Verfassungszusatz Colorado streicht Donald Trump vom Wahlzettel – macht ein Urteil Schule?

Er ist trotz juristischer Probleme der unangefochtene Favorit der Republikaner: Ex-Präsident Donald Trump
Er ist trotz juristischer Probleme der unangefochtene Favorit der Republikaner: Ex-Präsident Donald Trump
© Andrew Caballero-Reynolds / dpa
Donald Trumps juristische Sorgen wachsen. Nun macht ihm auch noch die Frage Ärger, ob er überhaupt auf dem Stimmzettel stehen darf

Bis zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen dauert es noch fast ein Jahr. Doch schon jetzt brennt die Debatte darüber, ob ein Absatz in der US-Verfassung den republikanischen Frontrunner Donald Trump von den Wahlen ausschließen könnte. 

Am Dienstagabend fällte das Oberste Gericht in Colorado ein Urteil, das für neuen Zündstoff sorgt. Nach Auffassung der Richterinnen und Richter habe sich der ehemalige US-Präsident mit seinem Verhalten im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 für das Präsidentenamt disqualifiziert. Der Name „Donald Trump“ dürfe daher nicht auf den Wahlzetteln für die republikanischen Vorwahlen stehen, so die Entscheidung des Gerichts. Trumps Sprecher Steven Cheung kritisierte das Urteil als „zutiefst undemokratisch“ und kündigte an, umgehend in Berufung zu gehen. 

Bereits seit dem Sommer brodelt in den USA die Debatte darüber, ob ein einzelner Verfassungsabsatz den Republikaner von den Wahlen ausschließen könnte. Den Anstoß dazu gab ein im August veröffentlichter Artikel zweier prominenter konservativer Juristen in der US-Zeitschrift „The Atlantic“. Darin kommen der pensionierte Bundesrichter Michael Luttig und Verfassungsanwalt Laurence Tribe nach einjähriger Untersuchung zu dem Schluss, dass Abschnitt 3 des 14. Verfassungszusatzes die Teilnahme des Ex-Präsidenten an den Wahlen verhindere. Sie argumentieren, dass Trump demnach nicht für das Präsidentenamt infrage komme, weil er sich trotz seines geleisteten Amtseides beim Sturm auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 „an einem Aufstand beteiligt“ habe.

Seither diskutieren Wahlbehörden im ganzen Land, wie sie mit dieser heiklen Rechtsfrage in einem bereits hitzigen Wahlkampf umgehen sollen. Juristisch gibt es viele Fragezeichen. Sollte sich nun der konservativ geprägte Supreme Court einschalten, liegt die weitere Entwicklung in seinen Händen. Doch nicht nur deswegen mahnen nicht wenige Trump-Kritiker zur Vorsicht.

Streit um den 14. Verfassungszusatz und seine Anwendung auf Donald Trump

Die Geschichte des besagten Verfassungszusatzes – der auch als Ausschlussklausel bezeichnet wird – geht zurück bis ins späte 19. Jahrhundert. Nach Ende des amerikanischen Bürgerkrieges wurde Abschnitt 3 des 14. Verfassungszusatzes 1868 ratifiziert, um die Südstaaten, die weiterhin Leute in den Kongress entsandten, die zuvor Funktionen in der gegnerischen Konföderation innehatten, von Ämtern auszuschließen. Im Wortlaut besagt der Abschnitt, dass jeder amerikanische Amtsträger, der einen Eid auf die Einhaltung der US-Verfassung geleistet hat, von der Ausübung künftiger Ämter ausgeschlossen ist, wenn er „an einem Aufstand oder einer Rebellion beteiligt war“ oder Aufständischen „Hilfe oder Beistand geleistet hat“.

Und genau hier beginnen die juristischen Streitigkeiten. Einige Rechtsexperten sind der Meinung, dass das sogenannte Aufstandsverbot heute noch genauso gilt wie zum Zeitpunkt der Ratifizierung – ähnlich wie viele andere Verfassungsartikel, die sich aus bestimmten historischen Umständen ergeben haben. So erklärt Noah Bookbinder, Präsident der liberalen NGO „Citizens for Responsibility and Ethics in Washington“, dass die „festgelegte Qualifikation“ in Abschnitt 3 „sich in vielerlei Hinsicht nicht von der Qualifikation unterscheidet, dass man 35 Jahre alt sein und amerikanischer Staatsbürger sein muss, um Präsident zu werden“.

Kritiker einer Anwendung des umstrittenen Verfassungszusatzes argumentieren hingegen, dass der Abschnitt ausschließlich auf die Zeit des Bürgerkriegs zutreffe und daher überholt sei. Zudem seien die staatlichen Wahlbehörden nicht befugt, Kandidaten vor einer Wahl auszuschließen, und überhaupt sei bislang nicht vor Gericht bewiesen, dass Trump einen „Aufstand“ angezettelt habe.

Zu den rechtlichen Fragen gehört demnach, was überhaupt als „Beteiligung an einem Aufstand“ gelte, wer befugt sei, Trumps Wählbarkeit anzufechten und wer eine Disqualifizierung gegebenenfalls durchsetzen könne. „Abschnitt 3 des 14. Verfassungszusatzes ist alt – er wurde in der heutigen Zeit noch nicht wirklich auf die Probe gestellt“, bilanzierte Jessica Levinson, eine Jura-Professorin, die sich auf Wahlrecht spezialisiert hat, kürzlich in der „New York Times“.

Mehrere Staaten beschäftigen sich mit kniffliger Rechtsfrage

Im Fall von Trump sah es zunächst danach aus, dass die Angelegenheit von Staat zu Staat entschieden würde. Anfang September hatte in Colorado eine Gruppe von sechs Wählern eine entsprechende Klage eingereicht, um den Republikaner auf der Grundlage des 14. Verfassungszusatzes von den Stimmzetteln fernzuhalten. Bei den Klägern handelt es sich um republikanische und parteilose Wähler, die argumentieren, dass Trump wegen seiner Rolle im Kapitolsturm umgehend disqualifiziert werden müsse.

Ähnliche Bestrebungen sind in anderen Bundesstaaten im Gange. Im August schrieb die liberale Gruppe „Free Speech for People“ an die Staatssekretäre von Florida, New Hampshire, New Mexico, Ohio und Wisconsin und forderte sie auf, Trump auf Basis des 14. Verfassungszusatzes nicht auf den Wahlzetteln aufzuführen. Im traditionell ersten Vorwahlstaat New Hampshire hatte Staatssekretär David Scanlan daraufhin den Generalstaatsanwalt gebeten, die mögliche Anwendbarkeit auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen zu prüfen. Im umkämpften Bundesstaat Michigan erklärte die Staatssekretärin Jocelyn Benson kürzlich, dass „es stichhaltige rechtliche Argumente gibt“, um Trump von der Wahl auszuschließen, und dass sie diese Frage mit Wahlbeamten in anderen Bundesstaaten erörtern werde.

Doch viele sehen die Vorstöße von liberalen und konservativen Anti-Trumpern eher skeptisch. In Arizona verkündete Staatssekretär Adrian Fontes bereits, dass er nicht befugt sei, den Ex-Präsidenten von den Wahlen auszuschließen, fügte jedoch hinzu, dass die Frage der Wählbarkeit Trumps nicht geklärt sei. Ähnlich argumentierte sein Amtsgenosse Brad Raffensperger in einem Gastbeitrag im „Wall Street Journal“ und betonte, dass allein die Wähler „das Recht verdienen, über Wahlen zu entscheiden“. In Florida wies ein Bundesrichter eine entsprechende Klage bereits ab. Jedoch ohne die Frage der Anwendbarkeit des 14. Verfassungszusatzes zu klären, sondern weil die Kläger nicht berechtigt waren, die Klage einzureichen.

Heikle politische Debatte in den USA

Auch aus historischer Sicht ist der 14. Verfassungszusatz heikles Terrain. In New Mexico wurde im vergangenen Jahr der Otero County Commissioner Couy Griffin als erster Amtsinhaber seit 150 Jahren disqualifiziert. Doch obwohl er nicht wegen eines schwereren Verbrechens verurteilt wurde – die Anklage lautete auf Hausfriedensbruch – war er beim Kapitolsturm tatsächlich anwesend. Diese Tatsache unterscheidet seine Disqualifizierung von den gescheiterten Versuchen, sich im Fall der republikanischen Abgeordneten Marjorie Taylor Greene und Madison Cawthorn auf den 14. Verfassungszusatz zu berufen.

Fest steht, dass Trump tiefer in die Ereignisse vom 6. Januar verstrickt ist als Greene oder Cawthorn. Und die Anwendung des besagten Verfassungszusatzes ist nicht an eine Verurteilung in einem der vier gegen ihn laufenden Prozesse geknüpft. Doch angesichts der Tatsache, dass sich der Ex-Präsident derzeit mit 91 strafrechtlichen Anklagepunkten konfrontiert sieht und “Beteiligung an einem Aufstand“ nicht dazugehört, dürfte es schwierig werden ihm dieses spezifische Vergehen anzulasten.

Mit dem Urteil in Colorado hat die Debatte eine neue Dimension bekommen. Eine, die bald das höchste Gericht der Vereinigten Staaten beschäftigen dürfte: den Supreme Court. Dieser hatte sich durch die von Trump ernannten Richterinnen und Richter deutlich nach rechts verschoben. Keine Überraschung also, dass Trumps Sprecher Cheung betonte, man habe volles Vertrauen, dass der Supreme Court schnell zu dessen Gunsten entscheiden und „diesen unamerikanischen Klagen“ endlich ein Ende setzen werde. „Ich denke, es könnte 9:0 für Trump vor dem Obersten Gerichtshof stehen“, sagte Ty Cobb, ein ehemaliger Anwalt des Weißen Hauses, in einem Interview auf CNN.

In dem bereits aufgeheizten Wahlkampf warnen politische Beobachter davor, die Bedeutung der öffentlichen Wahrnehmung zu unterschätzen. Für die meisten Experten ist eindeutig, dass der 6. Januar einem Aufstand gleichkam. Doch eine Umfrage der Monmouth University im letzten Jahr hat gezeigt, dass nur 52 Prozent der Amerikaner diese Ansicht teilten. Es könnte daher ein Risiko sein, Trump wegen seiner Rolle beim Kapitolsturm von den Wahlen auszuschließen, von dem die Hälfte der Amerikaner nicht einmal überzeugt ist, dass es überhaupt ein Aufstand war.

Oder, wie es der liberale US-Professor Noah Feldman in seinem Gastbeitrag für „Bloomberg“ ausdrückt: „Donald Trump ist offensichtlich ungeeignet, Präsident zu sein. Aber es liegt an den Wählern, ihn zu verhindern. Magische Worte aus der Vergangenheit werden uns nicht retten.“

Quellen: "NY Times", "Washington Post", "CNN", "Atlantic", "WSJ", "Anklagetext Colorado", "Monmouth University Umfrage", "Bloomberg"

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