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Kommentar Die Logik der Krisenvermeidung

Krisen sind teuer, ihre Verhinderung ist billiger. Der Fokus muss auf also auf Prävention auf nationaler und internationaler Ebene liegen. Dann lassen sich die Risiken eindämmen. Von Mehmet Şimşek
Mehmet Şimşek ist Finanzminister der Türkei
Mehmet Şimşek ist Finanzminister der Türkei
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Unabhängig von den unterschiedlichen Politikansätzen der Regierungen ist die Sicherstellung stabiler Finanzen eine gemeinsame Verantwortung. Das ruft nach einer realen, wirksamen politischen Koordinierung und einem übergreifenden makroprudentiellen Steuerungsrahmen sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene.

Die schlichte Wahrheit ist, dass die Kosten für die Vermeidung von Finanzkrisen viel niedriger sind als die von einem Ausbruch verursachten Kosten. Schließlich sind Finanzkrisen unmittelbar mit einem erheblichen Produktionsrückgang und einem steilen Anstieg der Arbeitslosigkeit verbunden. Und was genauso wichtig ist: Sie fügen dem gesellschaftlichen Zusammenhalt schweren Schaden zu.

Fünf Jahre nach dem Ausbruch sind die Folgen der mit dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers ausgelösten Finanzkrise und Rezession noch nicht ausgestanden. In vielen hoch entwickelten Volkswirtschaften ist das reale BIP nach wie vor niedriger als vor der Krise. Die Arbeitslosenquoten und Haushaltsdefizite sind höher, und die staatlichen Schuldenquoten haben Rekordstände erreicht.

Makroprudentielle Strategien sind kein Ersatz für solide makroökonomische Strategien; trotzdem sind sie unverzichtbar dabei, große Vermögensblasen und Verzerrungen an den Finanzmärkten zu verhindern und so das Risiko negativer Erschütterungen von Märkten und Realwirtschaft zu verringern.

Finanzstabilität und Strukturreformen

Die Finanzkrise des Jahres 2001 in der Türkei etwa rührte überwiegend aus dem Fehlen eines wirksamen Regulierungs- und Aufsichtsrahmens für den Bankensektor her. Die Krise führte zu einem Anstieg der staatlichen Schuldenquote um 30 Prozentpunkte. Das reale BIP schrumpfte um 5,7 Prozent, und die Arbeitslosigkeit stieg um 4,9 Prozentpunkte.

Luxus in der Türkei: Die Wirtschaft ist in den letzten Jahren schnell gewachsen
Luxus in der Türkei: Die Wirtschaft ist in den letzten Jahren schnell gewachsen
© Getty Images

Seitdem hat sich die Türkei auf Finanzstabilität und Strukturreformen konzentriert, was der Wirtschaftsleistung zugutekam und das Land widerstandsfähiger gegenüber Erschütterungen gemacht hat. Tatsächlich musste die Türkei während der globalen Finanzkrise keinen Cent an Steuergeldern für die Rekapitalisierung oder Sanierung ihrer Banken ausgeben. Die Kosten der Bankenrettungen während der selbst verursachten Krise vor zwölf Jahren jedoch beliefen sich auf ungefähr 25 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Dank der starken Fundamentaldaten und des makroprudentiellen Rahmens in 2008 hatte die globale Finanzkrise keine bleibenden Auswirkungen auf die türkische Volkswirtschaft. Die Erholung war schnell und stark, und das reale BIP-Wachstum betrug zwischen 2010 und 2011 fast neun Prozent. Die türkische Arbeitslosenquote ist die niedrigste seit einem Jahrzehnt, und die staatliche Schuldenquote liegt deutlich unter dem Niveau vor der Krise.

Türkei hat reagiert

Die Erfahrung der Türkei legt nahe, dass das Design eines makroprudentiellen Rahmens sowohl nationale wie internationale Finanzverbindungen berücksichtigen sollte. Der internationale Rahmen sollte vor allem die Risiken und Ausstrahlungseffekte abdecken, die von systemisch wichtigen Finanzinstituten ausgehen. Die Entwicklung und Umsetzung der Bankenstandards im Rahmen von Basel III ist für die Einführung antizyklischer Kapitalpuffer und die Stärkung der Verlustausgleichsfähigkeit dieser Institute unabdingbar.

Was nationale Maßnahmen angeht, so ist die institutionelle Architektur eines Landes ein Kernelement bei der Gewährleistung von Finanzstabilität und effektiver politischer Koordinierung und Zusammenarbeit. Die Türkei hat einen Ausschuss für Finanzstabilität eingerichtet, um eine wirksame und zeitnahe Umsetzung von Strategien zu gewährleisten, die den Finanzsektor unmittelbar betreffen. Hinzu kommt ein Ausschuss für Wirtschaftskoordinierung, der Probleme der gesamtwirtschaftlichen Stabilität überwachen und bewerten soll. Beide haben dazu beigetragen, das operative Design und die Umsetzung makroprudentieller Strategien zu verbessern.

So wurde etwa das von der türkischen Notenbank umgesetzte System der Inflationssteuerung überarbeitet, um der Finanzstabilität Rechnung zu tragen, und es ist seit Ende 2010 ein neuer geldpolitischer Rahmen in Kraft. Die Geldpolitik stützt sich nun auf ein umfassenderes Instrumentarium, das u.a. den Leitzins, den Zinskorridor, vorgeschriebene Rücklagequoten und den „Reserve Option Mechanism“ umfasst.

Bankenstresstests seit 2004

Die türkische Bankenaufsicht (BRSA) und andere Behörden haben ebenfalls makroprudentielle Maßnahmen umgesetzt. So hat die BRSA beispielsweise 2011 die Beleihungsquoten bei Hypotheken geregelt, um der aus dem Anstieg bei den Verbraucherkrediten herrührenden Kreditexpansion Einhalt zu gebieten. Davor, im Jahre 2009, hatte die BRSA eine weitere wichtige Maßnahme umgesetzt, die die privaten Haushalte daran hinderte, Kredite in Fremdwährungen aufzunehmen. So sind sie gegen die Auswirkungen von Wechselkursschwankungen abgesichert.

Was den Bankensektor angeht, so werden seit 2004 Stresstests durchgeführt, und seit 2006 gilt als Zielwert eine Eigenkapitalquote von zwölf Prozent. Selbst in der Krise waren die Eigenkapitalquoten der Banken höher als die im Rahmen von Basel II geforderten acht Prozent. Und die Gewinnausschüttungen der Banken werden seit 2008 eng von der BRSA beaufsichtigt. Infolgedessen wurden in den Bilanzen der Banken große Rückstellungen gebildet und die Kapitalrendite ist hoch geblieben.

Die Türkei hat zudem ihre Steuergesetzgebung angepasst, um die übermäßige Kreditaufnahme durch Unternehmen außerhalb des Finanzsektors zu bestrafen und deutliche Anreize zur Bildung langfristiger Ersparnisse der privaten Haushalte zu setzen.

Doch trotz dieser Maßnahmen bleibt die Situation besorgniserregend. Mit Ausbruch der globalen Krise setzten wichtige hoch entwickelte Volkswirtschaften unkonventionelle geldpolitische Strategien ein, die zu massiven Kapitalzuflüssen in die Schwellenmärkte führten. Das senkte dort die Kreditkosten und erhöhte die Verfügbarkeit von Krediten. Obwohl die Bilanzen des öffentlichen Sektors in den Schwellenländern stärker denn je sind – mit niedrigeren Defiziten und Schuldenständen, einhergehend mit hohen Devisenreserven – ist der Verschuldungsgrad der privaten Haushalte und Unternehmen gestiegen. Das hat die Anfälligkeit vieler Schwellenmärkte gegenüber einer steilen Umkehrung der Kapitalflüsse verstärkt.

Das gilt insbesondere für Schwellenländer wie die Türkei, die hohe Leistungsbilanzdefizite aufweisen. Angesichts eines Außendefizits in Höhe von sechs Prozent des BIP haben die Behörden einen makroprudentiellen Rahmen verabschiedet, der Strategien zu sehr kurzfristigen Verringerung von Wechselkursschwankungen mit langfristigen Schritten zur Steigerung der inländischen Ersparnisse und zur Förderung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des realen Sektors verbindet. Das ist ein Modell, das auch andere Schwellenländer in Betracht ziehen sollten.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate/Global Economic Symposium, 2013. www.project-syndicate.org

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