Kaum jemand hat die Debatte über die Folgen der jüngsten Technologiesprünge für die Arbeitswelt von morgen so forciert wie der US-Zukunftsforscher Martin Ford mit seinem Buch „Aufstieg der Roboter“ im Jahr 2015, das den Preis für das „Wirtschaftsbuch des Jahres“ der „Financial Times“ gewann. Im Capital-Interview zeichnet Ford ein eher düsteres Bild über die Jobperspektiven vieler einfacher Angestellten im Zeitalter der Digitalisierung.
Capital: Mr. Ford, in Ihren Büchern wie „Aufstieg der Roboter“ sagen Sie voraus, dass unsere Arbeitswelt auf den Kopf gestellt werden wird: Viele eher einfache Jobs werden demnach wegfallen durch Fortschritte in der Automatisierung und der Marktreife künstlicher Intelligenz. Steht diese Prognose noch?
MARTIN FORD: Ja, definitiv. Und ich fürchte, wir sind darauf weiterhin nicht gut vorbereitet – gesellschaftlich und politisch.
Aber wie kann es dann sein, dass in Industrieländern wie den USA und Deutschland die Beschäftigung auf einem Rekordhoch ist?
Das passt sehr gut zusammen, gerade, wenn man das große Bild betrachtet: Die Produktivitätsfortschritte der letzten knapp 40 Jahre sind in anderen Taschen gelandet als denen der Arbeiter und Angestellten. Real haben sich die Stundenlöhne in den USA zwischen dem 2. Weltkrieg und Mitte der 70er-Jahre verdoppelt. Seitdem aber stagnieren sie. Und trotz der Wirtschaftslage bekommen wir auch keine echte Lohninflation. Die Verhandlungsmacht von Menschen wird offenbar schwächer. Übrigens gilt das auch für andere Industrieländer. Parallel dazu beobachten wir einen Aufstieg von Technologiekonzernen, die in Relation zu ihren Umsätzen mit eher wenigen, hochspezialisierten Mitarbeitern auskommen. Unsere Wirtschaft wird immer weniger personalintensiv.
Aber Menschen sind doch weiter gefragt: Unternehmen beklagen allerorten den Personalmangel. Verbraucher spüren ihn ganz konkret: an langen Securityschlangen im Flughafen, unzuverlässigen Paketzusteller und hilflosen Callcentern. Ganz offenbar sind die Unternehmen doch weiterhin gewillt, Menschen einzustellen.
Das ja. Allerdings befinden wir uns nun etwa in den USA in einem seit fast einem Jahrzehnt laufenden Aufschwung. Das stützt an sich die Nachfrage nach Arbeitskräften. In einem möglichen Abschwung oder gar in einer Rezession könnte es dann doppelt schwer werden, die Unternehmen brauchen zum einen weniger Mitarbeiter. Zum anderen haben Konjunktureinbrüche oft einen Hebeleffekt auf Technologiesprünge, weil die Unternehmen dann auf der Suche nach Möglichkeiten sind, um effizienter zu werden. Die Idee, mehr zu rationalisieren, kommt bei Unternehmen eher in der Krise auf, nicht, wenn die Dinge sehr gut laufen.
Noch einmal: widerlegt nicht der hohe Beschäftigungsstand Ihre Theorie? Auch die Weltbank kam kürzlich in einer Studie zum Schluss, die so genannte „vierte Revolution“ könnte letztlich mehr Jobs schaffen, als sie eliminiere.
Zugegeben: als ich vor vier Jahren meine Recherchen zu Papier brachte, hätte ich auch nicht gedacht, dass der Aufschwung vier weitere Jahre laufen wird und die US-Arbeitslosenquote einmal bei 3,9 Prozent landen wird. Aber wir wiegen uns mit dem Blick auf den hohen Beschäftigungsstand in einer Scheinsicherheit – und die geringe Arbeitslosigkeit ist eine Scheinblüte. In den letzten Jahrzehnten haben vor allem Bereiche wie der Einzelhandel und Restaurants, etwa Fastfood-Ketten, die Funktion eines Auffangbeckens im Niedriglohnbereich gehabt. Selbst Amazon hat viele Jobs in seinen Waren- und Logistikstandorten und indirekt in der Zustellung geschaffen.
Was ist daran auszusetzen?
Nichts. Aber genau in diesen Bereichen läuft nun eine Automatisierungs- und Digitalisierungswelle. Roboter vereinfachen die Lagerlogistik und den Transport. Denken Sie an das Smartphone, das eine Einkaufshilfe sein kann und Kassen, die kein Personal mehr brauchen. Auch im Restaurantsektor gibt es massive Fortschritte: Das Unternehmen „Zume Pizza“ lässt im Silicon Valley die Pizza vollautomatisch herstellen, ein Roboter namens „Flippy“ kann Hamburger nach Wunsch zubereiten, inklusive das Fleisch zu wenden. Was einst eine Beschäftigungsleiter war, die man hochklettern kann, ist ja schon heute eher eine Pyramide: viele Jobs unten, aber nur wenige Jobs ganz oben. Das wird sich weiter verschärfen.
Pizzaroboter und Hamburger-Flipper: Sind das Spielereien oder ernst zu nehmende Projekte?
Die entsprechenden Restaurants im Silicon Valley sind jedenfalls voll und man muss vorher reservieren, wenn man es einmal ausprobieren will! Und man sollte es nicht als Spielerei abtun: Wenn in den USA in der Vergangenheit jemand Schwierigkeiten hatte, einen Job zu finden – im Fast-Food-Bereich ging eigentlich immer etwas für Millionen Amerikaner. Es ist fraglich, ob das auch künftig so sein wird. Und der übergeordnete Trend ist einfach unbestritten: Die Zukunft der Arbeit ist in vielen Bereichen einfach weit weniger personalintensiv als bisher. Deshalb glaube ich auch, dass wir das Thema bedingungsloses Grundeinkommen noch intensiver durchdenken müssen. Es klingt wie ein sozialistisches Konzept, aber das ist es nicht, vielmehr geht es darum, wie wir unser bestehendes System nachhaltig machen können. Das ist es aktuell meiner Meinung nach nicht.
Wo wurden Sie denn seit Veröffentlichung Ihrer Buchs 2015 von den Entwicklungen überrascht, wo verliefen Sie langsamer, als Sie erwartet haben?
Ich hätte erwartet, dass das Konzept selbstfahrender Autos rascher Fortschritte macht. Es ist auch ein Bereich, der einen großen Einfluss auf die Wirtschaft haben dürfte – etwa in der Frage, wie effizient unsere Verkehrssysteme künftig sein werden. Aber das tatsächlich ganz autonom fahrende Auto dürfte noch 10 bis 15 Jahre entfernt sein. Deutlich schneller verlief der Fortschritt in der künstlichen Intelligenz und dem „Machine Learning“. Ich glaube inzwischen, er ist weitreichender als die Automation: Muskelkraft wird schon lange durch Maschinen ersetzt. Nun geht es aber auch an die Leistung der Köpfe der Menschen. Sehr rasch verläuft aber auch die Entwicklung in der Spracherkennung und dem Vorlesen von Texten. Es dauert nicht mehr lange, und es wird gar nicht mehr zu hören sein, ob sie mit einem Callcenter oder einem Sprachcomputer sprechen oder ob Ihnen ein Sprecher oder ein Computer einen Text vorliest.
Was hat Sie zuletzt am stärksten beeindruckt?
Praktisch zum Beispiel Foto-Apps, die in der Lage sind, anhand der Gesichts- und Objekterkennung große Mengen an Fotos binnen Sekunden automatisch zu sortieren. Ein schönes Beispiel dafür, wie gut programmierte Anwendungen große, unsystematische Datenmengen rasch ordnen können und sich dabei selbst laufend verbessern über Benutzereingaben.
Sie beraten nun den französischen ETF-Anbieter Lyxor in der Zusammensetzung eines ETFs, der auf Unternehmen der Automatisierung und künstlichen Intelligenz setzt. Kommen Sie da nicht ein bisschen spät zur Party, nachdem es bereits rund 20 Fonds zum Thema mit rund 20 Mrd. Euro Vermögen gibt?
Nein, es wäre fahrlässig, das als Trendthema abzutun. Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Robotics sind Alltagsthemen. Die größten Technologiefirmen wie Google, Facebook und Amazon haben künstliche Intelligenz als absolut kritisch für ihre Geschäftsmodelle definiert. Vor allem Fortschritte in der Cloud-Technologie und der Verfall der Preise für Datenspeicher machen es leichter, Daten auszuwerten und zu nutzen. Unser Ansatz ist zudem, ein möglichst breites Spektrum abzudecken, daher umfasst unser Universum an möglichen Titeln für den ETF 210 Unternehmen.
Spielen kleinere Firmen in Sachen Forschung und Entwicklung überhaupt eine nennenswerte Rolle – und reicht es nicht, wenn Anleger schlicht eine Hand voll großer Tech-Werte direkt oder indirekt halten?
Das wäre zu einfach gedacht. Ich habe gerade eine Interview-Serie mit den Architekten der künstlichen Intelligenz weltweit abgeschlossen, die demnächst als Buch erscheint. Gemein ist vielen Experten bis hinauf zum Vorstandschef eine regelrecht paranoide Angst, eine Entwicklung zu verpassen, die ein kleinerer Wettbewerber entwickelt und ausbaut. Das sorgt auch für eine rege Übernahmetätigkeit: Aussichtsreiche Firmen werden rasch gekauft. Insofern, ja, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass aussichtsreiche Firmen letztlich bei den großen Tech-Konzernen landen. Aber das ist auch ein Grund, sich möglichst breit aufzustellen, um auch das Wachstum kleinerer Innovatoren abzugreifen als Investor. Im ETF beträgt die typische Gewichtung daher auch maximal ein Prozent je Wert.
Wie geht denn jemand, der seit Jahren den Aufstieg der Technologiekonzerne beschreibt, selbst mit seinen Daten um – sind Sie eher jemand, der Dinge ausprobiert oder vorsichtig?
Ich habe ein Konto bei Google Mail und nutze beispielsweise den Kurznachrichtendienst Twitter, um interessante Beiträge zu teilen. Das war es aber schon – beispielsweise bin ich nicht bei Facebook angemeldet. Die Art und Weise, wie dort die Welt um einen herum gefiltert und gedreht wird, ist eher gruselig. Den Vormarsch von Sprachtechnologien kann ich aber innerfamiliär beobachten: Meine Tochter ist elf und nutzt begeistert den Sprachdienst Alexa von Amazon.
Und, lassen Sie sie?
Ja. Allerdings lege ich Wert darauf, dass sie höflich mit dem Sprachdienst redet. Das mag jetzt merkwürdig klingen, aber sie sollte sich nicht einen schnarrenden Befehlston angewöhnen, den viele intuitiv bekommen, wenn sie mit anonymen Sprachdiensten reden.