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Bernd Ziesemer Die Achse des Bösen und Deutschlands Industrie

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Russland, China, Iran und Nordkorea rücken immer enger zusammen. Deutschlands Exportwirtschaft steht deshalb vor schwierigen Entscheidungen

Der amerikanische Präsident George W. Bush prägte in einer Rede vom 29. Januar 2002 einen Begriff, der 20 Jahre später eine Wiedergeburt erlebt: „Die Achse des Bösen“. Andere Zeiten, andere Länder, eine andere Herausforderung – trotzdem aber die richtige Formel, um ein großes internationales Problem zu beschreiben. Die geächteten Regimes in Nordkorea und dem Iran, seit Jahrzehnten mit schwersten westlichen Sanktionen belegt, schließen sich immer enger mit dem neuen Paria-Staat Russland und Xi Jinpings China zusammen. Der Iran liefert Drohnen für Wladimir Putins Kriegsmaschinerie in der Ukraine, Nordkorea Artilleriemunition und China die elektronischen Bauteile für Raketen und Marschflugkörper. Vor unseren Augen entsteht ein militärisch-industrieller Komplex, der langfristig auch unmittelbar die NATO-Staaten bedroht.

Die neue Achse des Bösen stellt unsere Exportwirtschaft vor große Probleme. Was Nordkorea und den Iran betrifft, so halten sich alle deutschen Konzerne seit langem an ein eisenhartes Sanktionsregime. Kein seriöses Unternehmen, das einen Ruf zu verlieren hat, lässt sich mit den kriminellen Regimes in Teheran und Pjöngjang ein. Nur über Schattenhändler und globale Schieberringe gelangen die beiden verfemten Staaten an deutsche Waren, wenn überhaupt. Die deutsche Limousine Maybach S600, mit der Kim Jong-un zuletzt beim Staatsbesuch in Russland herumkutschierte, gelangte erst nach einer 18-tägigen Schwarzfahrt mit verschiedenen Schiffen, einem Flug mit einer schweren Iljuschin-Transportmaschine und mehrfach gefälschten Frachtpapieren 2018 nach Nordkorea – gegen den ausdrücklichen Willen des Stuttgarter Herstellers, der seit 20 Jahren keine Beziehungen mehr mit dem Regime unterhält.

Seit dem Überfall auf die Ukraine dürfen deutsche Unternehmen viele technische Erzeugnisse nicht mehr nach Russland liefern – aber viele von ihnen gelangen über Umwege trotzdem dorthin. Vor allem Hongkong hat sich zur Drehscheibe für Dual-Use-Komponenten entwickelt, die anschließend in Putins Raketen landen. Ohne das Plazet der chinesischen Führer (oder zumindest ihre stille Duldung) wäre das nicht möglich. Wollte Xi Jinping die Lieferungen wirklich blockieren, dann wäre das längst geschehen. Offiziell liefert China keine Waffen an Russland – aber ohne die Schwarzimporte wäre Putin nicht in der Lage, moderne Waffensysteme zu produzieren.

Die deutsche Wirtschaft ist mit Chinas Industrien so eng verflochten wie keine zweite westliche Wirtschaft sonst. Bisher mussten deutsche Unternehmen nicht um ihren guten Ruf fürchten, wenn sie Bauteile und Maschinen nach China lieferten. Nur bei deutschen Geschäften mit Xinjiang, der berüchtigten Zwangsarbeiterprovinz ganz im Westen des Landes, waltete Vorsicht. Je enger aber China mit Russland – und Russland mit Nordkorea und dem Iran – zusammenrückt, umso unübersichtlicher wird die Lage für die deutsche Industrie. Bisher galt China als mehr oder weniger verlässlicher Endverbraucher, wenn es um heikle Lieferungen ging. Doch das gilt in der neuen Weltordnung, die vor unseren Augen entsteht, nicht mehr. Jede Maschine, die über China in russischen Raketenwerken landet, kann einen deutschen Konzern um seine Reputation bringen – und in schweren Fällen sogar auf eine amerikanische Sanktionsliste.

Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf X folgen.

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