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Naher Osten Der Terror-Sponsor: Wie der Iran vom Angriff auf Israel profitiert

Der iranische Machthaber Ajatollah Ali Chamenei bezeichnet Israel als „Krebsgeschwür“
Der iranische Machthaber Ajatollah Ali Chamenei bezeichnet Israel als „Krebsgeschwür“
© picture alliance/dpa/Supreme Leaders Office | -
Das Blutvergießen in Nahost kennt nur Verlierer. Oder? Während der Konflikt um Gaza eskaliert, klatscht niemand lauter Beifall als das Regime in Teheran

Wenn etwas passiert, womit niemand gerechnet hat, was im ersten Moment keinen Sinn ergibt, ist die Frage nach dem Warum ein natürlicher Reflex. Auch zwei Tage, nachdem in Israel ein neues, jetzt schon historisches Blutvergießen begonnen hat, nachdem Bilder des Grauens um die Welt gingen, gibt es mehr Fragen als Antworten. Darunter: Cui bono? Wem nützt es? Wer hat etwas vom Sterben im Nahen Osten?

Unmittelbar nach dem Einschlag der ersten Rakete auf israelischem Staatsgebiet waren sich Beobachter bereits sicher, wer der Puppenspieler im Schatten, wer der wahre Drahtzieher hinter dem überraschenden Angriff ist: Iran, Israels Erzfeind. Beweise dafür gibt es keine. Die Hamas habe den Abzug gedrückt, doch der Iran den Terroristen überhaupt erst die Waffen in die Hand gedrückt, so eine andere Vermutung. Beweise dafür gibt es viele.

Es ist kein Geheimnis, dass das Gemetzel nicht nur mit dem Einverständnis, sondern mit dem ausdrücklichen Wohlwollen der Mullahs geschah. Doch die Reaktionen aus Teheran gehen weit über Schadenfreude hinaus. Was die westliche Welt als einen historischen Terrorakt sieht, nennt das Regime einen „stolzen Einsatz“. Die islamische Republik beglückwünsche die palästinensischen Kämpfer zu diesem „Befreiungsschlag“, teilte ein Berater des Obersten Führers, Ajatollah Chamenei, mit. Sogar Straßenfeste inklusive Feuerwerk soll das Regime in Teheran veranstaltet haben. 

Holte sich die Hamas das Okay aus Teheran?

Ob sich die Hamas vor dem Angriff am Samstagmorgen vielleicht sogar erst das Okay aus Teheran geholt hat, darüber lässt sich nur spekulieren. Auf jeden Fall stünden die Angriffe „im Einklang mit der Fortsetzung der Siege des antizionistischen Widerstands“, so ein Sprecher des iranischen Außenministeriums. Fest steht bereits jetzt: Der Terror kommt dem Iran sehr gelegen. 

Wer einen Eindruck davon bekommen will, wie tief der Hass der iranischen Führung auf den jüdischen Staat sitzt, der braucht nur einen Blick auf den offiziellen X-Account (früher Twitter) von Ali Chamenei werfen. Das religiöse und politische Oberhaupt des Irans betreibt auf der Plattform nicht erst seit gestern beispiellose antisemitische Hetze. So überraschte seine Reaktion auf den Angriff der Hamas die wenigsten. Die würde „so Gott will“, das „Krebsgeschwür“ Israel „ausrotten“, schrieb er am Samstag.

Die Feindschaft mit Israel ist im Prinzip seit dem Sturz der pro-amerikanischen Monarchie und der Machtübernahme der schiitischen Revolutionäre 1979 Staatsräson. Als Protektor des verhassten Schahs wurden die USA und alles, was mit ihr in Verbindung stand, zum übergreifenden Feindbild der neuen Führung. Allen voran: der noch junge jüdische Staat. Schließlich waren es die israelischen und amerikanischen Geheimdienste Mossad und CIA, die ihre die Finger beim Aufbau des gefürchteten iranischen Pendants Savak im Spiel hatten. Die bis 1979 bestehende Organisation wurde bekannt für die Verfolgung, Folter und Ermordung Tausender Iraner.

Im neuen, radikalen Regime werde Israel als „kolonialer Außenposten des Westens und der Zionismus als eine Variante des Imperialismus“ betrachtet, schrieb die frühere iranische Botschafterin Shireen Hunter in einem Beitrag für die US-Denkfabrik Stimson Center. Aus Sicht der ultrakonservativen neuen iranischen Elite stellt das Bündnis Israel-USA die größte Bedrohung für die islamische Welt dar. Der Schulterschluss mit dem aus ihrer Sicht ebenso unterdrückten palästinensisches Volk ist nur folgerichtig, versteht sich der Iran doch als Schutzmacht der Muslime.

Teheran, der Terror-Sponsor

Meterhohe Zäune, tagein, tagaus patrouillierende Soldaten, hochempfindliche Bewegungssensoren, nicht einmal eine Hand voll ein Ein- und Ausgänge: Kaum eine Region ist so gut bewacht wie der Gazastreifen. Und trotzdem konnte die Hamas hier genug Munition horten, um Israel mit den heftigsten Attacken seit Jahren zu überziehen. Der Clou: Die Sprengköpfe, die seit Samstag auf israelisches Staatsgebiet herabregnen, sind offenbar nicht „made in“, aber größtenteils „paid by“ Iran. Bis zu 30 Mio. Dollar pro Monat soll die Hamas angeblich aus dem wirtschaftlich selbst schwer angeschlagenen Iran erhalten. Genug, um die Feuerkraft vor Ort zusammenzuschustern – was den riskanten Import unnötig macht. Ganz zu schweigen von der Bereitstellung von militärischem und technischem Wissen. Ohne die Patronage der Mullahs, da sind sich Experten sicher, hätten der palästinensische Dschihad und die Hamas nicht einmal annähernd ausreichend Mittel gehabt. 

Dabei hat der Iran noch weit mehr Eisen im Feuer. Auch die Huthi im Jemen sowie mehrere kleinere Milizen im Irak und in Syrien gehören der „Achse des Widerstands“ an, deren Operationen von der Kuds-Brigade, der Elite der iranischen Revolutionsgarde unterstützt und angeblich teilweise koordiniert werden. Laut einem Bericht der Denkfabrik Council on Foreign Relations soll sich der Anführer der Kuds, General Esmail Qaʾani, erst im Frühjahr mit den Akteuren getroffen haben, um sie zu einem gemeinsamen Angriff auf Israel zu bewegen – darunter angeblich auch Vertreter der Hamas.

Zu diesem Anti-Israel-Klub gehört auch die libanesische Hisbollah. Dieser „Staat im Staat“, den der Iran einst aus einem zusammengewürfelten Haufen schiitischer Widerstandskämpfer mit formte, ist noch weitaus schlagkräftiger als die Hamas. Dass die Milizionäre die Gunst der Stunde für einen eigenen Schlag gegen den verhassten Nachbarn nutzen würden, war abzusehen.

Kaum 24 Stunden nach dem ersten Angriff der Gesinnungsgenossen im Südwesten, feuerte auch die Hisbollah auf israelische Stellungen. Die kleineren Scharmützel auf dem Gebiet der israelisch besetzten Schebaa-Farmen könnten allerdings nur ein Vorgeschmack auf das sein, was da kommt. Im schlimmsten Fall hat die Hamas lediglich den ersten Stein geworfen – und die Schiitenmiliz Hisbollah rollt als Lawine hinterher.

Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien

Durch den Iran ermächtigt könnten die drei Terrorgruppen, der Islamische Dschihad, die Hamas und die Hisbollah das durch innenpolitische Zerwürfnisse geschwächte Israel in einen Zwei-Fronten-Krieg verwickeln. Die Machthaber in Teheran applaudieren von der Seitenlinie – vermutlich auch für sich selbst. Ein Stellvertreterkrieg, bei der nur eine Seite Stellvertreter stellt. Nun ist der Iran sicher nicht die Ursache für das Blutvergießen in Israel und Gaza, dafür waren die Wunden, die man sich gegenseitig über Jahrzehnte zugefügt hat, bereits zu tief. Teheran nimmt vielmehr die Rolle eines falschen Freundes ein, der einem Schlägertypen, kurz bevor der die Beherrschung verliert, noch ein Messer in die Hand drückt. 

Vor allem Israels schrittweise Annäherung an das sunnitische Saudi-Arabien, den größten wirtschaftlichen und ideologischen regionalen Konkurrenten, war für die iranische Führung kaum zu ertragen. Eine wirtschaftliche, vielleicht sogar militärische Allianz zwischen den beiden einst verfeindeten Staaten unter Vermittlung der USA würde das Machtgeflecht der gesamten Region neu ordnen – mit dem Iran als klaren Verlierer. Auch deswegen kommt der Terror der Hamas den Machthabern in Teheran sehr gelegen. Potenzielle Freunde Israels sollten die Angriffe als Warnung verstehen, so die offizielle Botschaft. In Riad kam man offenbar zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Hamas verurteilte das Außenministerium mit keinem Wort. Ob der Flirt mit Jerusalem damit vom Verhandlungstisch ist, bleibt abzuwarten.

Einen direkten Angriff kann sich der Iran nicht erlauben. Wie sich dieser Tage zeigt, muss er das auch gar nicht. Die Fanatiker in Teheran schieben die Fanatiker im Gaza-Streifen mit unsichtbarer Hand als entbehrliche Bauern über das Schlachtfeld. Wenn sich der Staub legt, stand der Gewinner dieses Gemetzels schon lange fest. Und die Verlierer – unter ihnen das iranische Volk.

Zuerst erschienen bei stern.de

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