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Kolumne Deutschlands Russland-Lobby auf dem Rückzug

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Die deutsche Industrie setzt trotz Ukraine-Krise verbissen auf Business as usual mit Russland. Doch der Wind in der Politik dreht sich, wie das Beispiel Nord Stream 2 zeigt

Der frühere Airbus-Chef Tom Enders sorgte letzte Woche in seinen Kreisen für Aufregung. In einem Meinungsbeitrag für die Schweizer Tageszeitung NZZ forderte der Multi-Aufsichtsrat die Bundesregierung mit scharfen Worten dazu auf, endlich auf eine „robuste“ Politik gegenüber Russland umzuschalten. Waffenlieferungen an die Ukraine dürften kein Tabu mehr sein und im Fall eines russischen Angriffs müsse Deutschland die Gaspipeline Nord Stream 2 dauerhaft ad acta legen.

Enders ist der erste und bisher einzige prominente Wirtschaftsvertreter, der aus der Phalanx des Schweigens über Putins Aggression ausbricht. Von den üblichen Verdächtigen wie Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser, die sich sonst häufig politisch zu Wort melden, hört man nichts. Und der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft macht wie immer auf Business as usual: Die „abschließende Zertifizierung“ von Nord Stream 2 dürfe „keine politische Frage sein“, erklärte die Vereinigung noch in der zweiten Januar-Hälfte. „Ein Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit“ mit Russland sei der beste Weg, „Spannungen abzubauen“. Am 3. März möchten sich die Spitzen der deutschen Wirtschaft deshalb sogar zu einer Videokonferenz mit Putin zusammenschalten, als ob es gar keine Ukraine-Krise gäbe.

Der Ost-Ausschuss fällt damit sogar noch hinter seine Positionen von 2014 zurück. Nach der Okkupation der Krim raffte sich die Organisation immerhin zu vorsichtigen Protesten auf. Der damalige BDI-Chef Ulrich Grillo unterstützte sogar Sanktionen gegen Russland. Einzelne Konzernchefs sprachen von einem „klaren Bruch des Völkerrechts“.

Das pro-russische Lager schrumpft

Deutschlands Russland-Lobby dürfte es künftig jedoch schwerfallen, die bisherige Linie durchzuhalten. Denn politisch dreht sich der Wind in Berlin – langsam, aber nachhaltig. Nach langem Gerangel in der neuen Regierungskoalition steht Nord Stream 2 jetzt auch offiziell vor dem Aus, wenn es zu einem russischen Angriff auf die Ukraine kommen sollte. Die Grünen haben sich in dieser Frage gegen die SPD durchgesetzt. Dass die Bundesregierung schon aus Rücksicht auf die USA und die osteuropäischen Verbündeten nicht mehr einfach über prorussische Entgleisungen hinweggehen kann, zeigen gleich zwei Fälle: Die schnelle Entlassung des Marine-Chefs Kay-Achim Schönbach („mehr Respekt für Putin“) und das Verbot für den früheren deutschen Botschafter Dieter Haller, den Aufsichtsratsvorsitz einer Nord-Stream-2-Tochterfirma zu übernehmen.

Die CDU/CSU hat sich nach einigem Hin und Her auf eine härtere Linie gegenüber Russland festgelegt, wie Friedrich Merz vor dem Bundestag klarmachte. Selbst in der SPD, in der sich erstaunlich viele Putin-Versteher tummeln, mehren sich die Zeichen für einen vorsichtigen Wandel. Der neue Parteichef Lars Klingbeil dringt auf eine innerparteiliche Klärung. Die bisherige Linie, Nord Stream 2 sei eine „rein kommerzielle Frage“ (Kevin Kühnert), taucht neuerdings nicht mehr in den offiziellen Statements der Parteioberen auf. Unterm Strich bleiben nur noch die rechte AfD und die sozialistische Linke auf ihrer unkritischen Putin-Position – ein Lager, mit dem sich die deutsche Wirtschaft nun wirklich nicht gemein machen sollte.

Bernd Ziesemerist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.

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