Bestimmt sollte man nicht alles ernst nehmen, was an Vorschlägen und Forderungen aus der CSU so nach außen dringt – das ist überhaupt eine ganz wichtige Grundregel für den gesamten Betrieb der Hauptstadt. Insofern könnte man auch die jüngste Einlassung von Alexander Dobrindt ignorieren, dem Chef der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. „Ich glaube, es wäre sinnvoll, darüber nachzudenken sein Gemälde im Bundeskanzleramt abzuhängen“, hatte Dobrindt zu Wochenbeginn über Altkanzler Gerhard Schröder befunden. Es sei „einfach unwürdig, dass Gerhard Schröder da noch neben erfolgreichen Kanzlern der Bundesrepublik Deutschland hängen bleibt“.
Es liegt an dieser Stelle natürlich nahe, sich kurz die Ahnengalerie im Bundesministerium für Wirtschaft vorzustellen, oder im Bundesministerium der Verteidigung, wo in beiden Häusern noch immer ein gewisser Karl-Theodor zu Guttenberg hängt, der einst, verfolgt von Schimpf und Schande aber ohne Doktortitel, aus dem Land floh. Oder die Reihe der Ressortchefs im Bundesministerium für Verkehr, wo vor gar nicht langer Zeit Andreas Scheuer seinen Dienst versah und dabei sehenden Auges hunderte Millionen Steuergeld versenkte, nur um seinem Parteichef in München einen Gefallen zu tun. Immerhin läuft inzwischen bei der Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Minister wegen des Verdachts der falschen uneidlichen Aussage vor einem Untersuchungsausschuss. Überhaupt die CSU-Vorsitzenden, deren wenige Auslandsreisen sie seit Franz-Josef Strauß zuverlässig stets nach Moskau in den Kreml und auf den Roten Platz führten. Sei’s drum.
Gerhard Schröder ist in diesen Tagen diese Milde nicht vergönnt, im Gegenteil. Eine schnöde Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuss des Bundestags genügte (also ohne jede Debatte im Plenum), um ihm und allen weiteren aktiven und künftigen Altkanzlerinnen und Altkanzlern mit den Stimmen von SPD, FDP, Grünen sowie CDU und CSU ihre bisher übliche und durchaus komfortable Ausstattung im Ruhestand mit Berliner Büro und Mitarbeitern zu beschneiden – oder zumindest so an Bedingungen zu knüpfen, dass künftig niemand auf dumme Gedanken kommt.
Wir haben alle vom günstigen Gas profitiert
Schröder ist also mit sofortiger Wirkung sein Büro und seine Mitarbeiter los – die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die er noch haben könnte, wenn nicht seine letzten sofort nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine aus Protest gekündigt hätten. Weil er sich eben nicht – wie es klug und richtig für einen ehemaligen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewesen wäre – spätestens mit dem Einmarsch in die Ukraine von seinem vermeintlichen Freund Wladimir Putin distanzierte. Daran ändert auch nichts, dass er am heutigen Freitag den Rückzug von der Spitze des Aufsichtsrats beim staatlichen Ölkonzern Rosneft erklärte. Nur seine Versorgungsbezüge als ehemaliger Bundeskanzler und den Personenschutz darf er nun noch behalten.
Die Entscheidung kann man so vertreten, die üppige Versorgung ehemaliger Kanzler und Präsidenten sorgte auch ohne solch skandalöse Anschlusstätigkeiten wie nun bei Schröder in der Vergangenheit immer wieder für Ärger und Kritik. Etwa beim Altkanzler Helmut Kohl, dem man trotz illegaler Spenden und Schwarzgeldkonten übrigens seine Büros und Mitarbeiter nie wegnahm.
Die Inbrunst, mit der Schröder nun parteiübergreifend verfolgt wird, verstört daher – sie hat etwas zutiefst Heuchlerisches. Denn auch wenn es von Anfang an ein Skandal war, dass sich ein deutscher Kanzler nach seiner Abwahl nahtlos in die Dienste russischer Staatskonzerne begab – profitiert vom günstigen russischen Pipeline-Gas haben wir alle: Die deutsche Industrie ebenso wie Millionen Verbraucher, die sich über vergleichsweise günstige Heizkosten freuen konnten. Deshalb ließen wir Schröder und die Russen machen.
Schröder war weit mehr als der Gazprom- und Putin-Kanzler
Das Verhältnis der Deutschen zu Schröder war nie einfach, es schwankte stets zwischen Hass und Faszination für diesen Machtmenschen und Macher. Aus all seinen trotzig-rumpeligen Auftritten, seiner Inszenierung als Self-Made-Man im Maßanzug sprach immer auch der ehrliche, aber etwas traurige, da oft unerwiderte Wunsch des Aufsteigers aus sehr kleinen Verhältnissen nach Anerkennung und Respekt.
Umgekehrt war Schröder aber weit mehr als der Gazprom- und Putin-Kanzler, als der er jetzt gesehen wird. Seit seiner knappen Abwahl 2005 hat seine Partei, die Schröder nun am liebsten ebenfalls ausstoßen will, im Bund nie mehr auch nur annähernd solche Wahlergebnisse erreicht. Er hat sich 2002 einem frei herbeifabulierten Krieg der US-Amerikaner gegen Saddam Hussein verweigert, und 2003 den Mut gehabt, Deutschland und seiner eigenen Partei ein Reform-Programm zuzumuten, von dem er sehr früh ahnte, dass ihn dies das Amt kosten könnte: die Agenda 2010. Dennoch hätte er 2005 um ein Haar Angela Merkel besiegt – jene Frau, die anschließend als Kanzlerin 16 Jahre von einem Aufschwung profitierte, dessen Grundlage er legte. Die aber selbst wenig wagte und im Übrigen treu alle Gasprojekte unterstützte, die Schröder im Ruhestand einstielte.
Unzweifelhaft überwiegen heute Schröders Starrsinn und der Schaden, den er damit für das Land anrichtet, viel von dem, was ihm hoch angerechnet werden müsste. Im für ihn besten Fall bringt man ihm heute nicht Anerkennung entgegen, sondern Fremdscham – wie für einen alten Onkel, der sich auf einer Familienfeier danebenbenimmt.
Was zum eigentlichen Drama führt: Es geht hier ja nicht allein um Schröder, sondern eben auch um die Stoibers, Seehofers und Merkels, die sich von Putin einwickeln, oder zumindest so einfangen ließen, dass sie immer weiter mitmachten bei den günstigen Gasdeals. Sich von Putin nicht loszusagen und seine Ämter bei Gazprom und Rosneft nicht niederzulegen, ist allein Schröders Schande. Sich all die Jahre in Moskau angebiedert und alle Hinweise, Einwände und Warnungen ignoriert zu haben, dürfte noch auf weit mehr Männer und Frauen in diesem Land zutreffen. Wem also wollen wir noch Büros, Dienstwagen, Fahrer und Mitarbeiter streichen?
Schröders Erbe wird entsorgt
Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet an dem Tag, an dem der Haushaltsausschuss des Bundestags die Büroausstattung der Altkanzler neu regelte, der Bundestag im großen Plenum mit Schröders anderem, seinem verdienstvollen Erbe aufräumte: Mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP beschloss der Bundestag am Donnerstag, Hartz-IV-Empfängern vorerst keine Leistungen mehr zu streichen, wenn sie sich weigern, ein Jobangebot anzunehmen. Unter dem Motto „Fördern und Fordern“ war dies die zentrale Reform der Arbeitslosenunterstützung unter Schröder gewesen – immer umstritten und verhasst bei Linken und Gewerkschaftern, doch weit akzeptiert in großen Teilen der Bevölkerung.
Zahlen und Fakten konnten die Ampelkoalitionäre nicht von ihrem Vorhaben abbringen: Etwa, dass mehr als 95 Prozent der Hartz-IV-Bezieher und Bezieherinnen nie auch nur in die Nähe von Sanktionen kommen, wir also ohnehin von einer ganz kleinen Personengruppe sprechen, die sich eben besonders hartnäckig bei allen Vermittlungsversuchen verweigert. Auch die eindeutigen Umfragen unter den Mitarbeitern von Jobcentern und Arbeitsagenturen vor Ort (87 Prozent sprachen sich im Vorfeld der Änderung gegen ein Auslaufen der Sanktionen aus) konnten die Ampelkoalitionäre nicht umstimmen – nicht mal die Tatsache, dass selbst unter den Langzeitarbeitslosen nur 38 Prozent eine solche Reform begrüßen würden.
Bis zum Sommer 2023 hat also niemand mehr etwas zu befürchten, der oder die Jobangebote ausschlägt und stattdessen lieber auf die volle staatliche Unterstützung vertraut. Im kommenden Jahr will die Ampel dann das System ganz umarbeiten – wie, ist noch unklar, aber der neue Name steht schon fest: Statt Hartz-IV soll die Unterstützung dann sehr viel wohlklingender heißen: „Bürgergeld“ – Hauptsache, Schröders Erbe verschwindet.
So viel Heuchelei hat der Altkanzler wirklich nicht verdient.