Das gab es in der Geschichte der deutschen Autoindustrie noch nie: Alle vier großen Hersteller gehen mit neuen Chefs in die nächste große Runde des globalen Wettbewerbs. Herbert Diess regiert bei VW seit gut einem Jahr, Bram Schot seit sieben Monaten bei Audi und Ola Källenius bei Daimler seit neun Wochen. Ab Mitte August vervollständigt der neue BMW-Chef Oliver Zipse die illustre Viererrunde. Männer, deren Lebensläufe sich mehr oder weniger gleichen – und die vor den selben Herausforderungen stehen: Die Absatzkrise zu meistern, die Investitionen für die Elektromobilität zu stemmen, einen eisernen Sparkurs zu fahren und sich vieler neuer Wettbewerber zu erwehren.
Das Autoquartett spielt in den nächsten zwei, drei Jahren ein sehr riskantes Spiel. Aber nicht alle Chefs spielen mit dem gleichen Einsatz. Das höchste Risiko geht der Älteste und Erfahrenste der vier: VW-Chef Diess. Der Österreicher setzt alles auf einen schnellen Durchbruch des E-Autos, stellt ganze Modellreihen auf die neue Technik um, zieht eine eigene (sehr teure) Fertigung von Batteriezellen auf und vertraut darauf, mit hohen Stückzahlen am Ende auf jeden Fall zu überleben. Bei Damiler setzt Källenius dagegen den Kurs seines Vorgängers Dieter Zetsche fort: E-Modelle ja, aber vor allem Fahrzeuge mit Hybridantrieb. Stattdessen aber Vollgas bei der Digitalisierung der ganzen Flotte. Und Bündnisse mit anderen Herstellern, wo immer es geht.
Der Holländer Bram Schot kämpft ganz andere Kämpfe – um die Selbständigkeit seiner Marke im Konzern. Um Modelle, die sich weiterhin stark genug von der übrigen Palette der Schwesterfirmen absetzen, trotzdem aber möglichst viele Vorteile der technischen Plattformen im Konzern voll ausschöpfen, um Kosten zu sparen, wo es nur geht. Und schließlich muss der Audi-Chef auch noch um seinen eigenen Posten fürchten: Viele halten den Betriebswirt im Ingenieurskonzern nur für einen Mann des Übergangs. Vom mächtigen Betriebsrat war zuletzt nur Kritik an Schot zu hören.
Große Herausforderungen für den neuen BMW-Chef
Und Oliver Zipse? Der 55jährige geht mit dem vielleicht schwersten Gepäck in die nächste Runde. Nach dem unrühmlichen Abgang seines Vorgängers erwarten die Aktionäre, vor allem die Familie Quandt, besonders viel von dem Diplom-Ingenieur, der sein ganzes Berufsleben lang nichts anderes als den BMW-Konzern gesehen hat. Zipse muss eine neue Strategie definieren, den technischen Rückstand gegenüber Daimler aufholen, das Design schärfen und vor allem neue Zielgruppen gewinnen. Und BMW braucht auch eine bessere Antwort auf den Angriff von Tesla, unter dem die Marke stärker leidet als alle anderen deutschen Marken.
Die Gemengelage erinnert ein bisschen an einen anderen Konzern im Jahr 2006: Damals traf Dieter Zetsche bei Daimler auf einen Berg von Problemen, die langfristig das Überleben der Marke Mercedes in Frage stellten. Bei allen Schwierigkeiten, die heute Daimler genauso peinigen wie die Wettbewerber, muss man festhalten: Heute steht der Konzern ganz anders, viel stärker da als damals.
Wenn sich Oliver Zipse bei BMW ähnlich bewährt wie Zetsche damals bei Daimler, könnte der neue Vorstandschef als zweiter „Dr. Z“ in die Geschichte der Branche eingehen. Fehlt nur noch der Doktor-Titel, aber der ließe sich sicherlich auch „Honoris Causa“ besorgen.