Es dauert zwei Stunden und 37 Minuten, bis die Frage kommt, auf die alle warten. „Hat irgendjemand aus dem Weißen Haus mit Ihnen direkt oder indirekt über den Zinssatz kommuniziert“, fragt Brian Schatz, demokratischer Senator aus dem US-Bundesstaat Hawaii. Der Mann im Zeugenstand zögert. Er rollt die Unterlippe ein und zieht die Nasenflügel leicht hoch. Zum ersten Mal an diesem Vormittag im dunkel getäfelten Anhörungssaal des amerikanischen Senats zeigt Jerome Powells Fassade einen winzigen Riss.
Er halte es für unangemessen, über private Gespräche zu berichten, weicht der 66-Jährige aus. Eines wolle er jedoch sagen: „Ich fühle mich einer Geldpolitik verpflichtet, die nicht politisch ist.“
Die Botschaft kommt leise daher, doch am anderen Ende der Washingtoner Regierungsmeile, dort, wo der Präsident der Vereinigten Staaten sitzt, dürfte sie dröhnend angekommen sein. Denn ihr wahrer Inhalt ist eine Kampfansage: Powell ist bereit, die Unabhängigkeit der US-Zentralbank Fed zu verteidigen.
Es ist ein Kampf der beiden mächtigsten Männer der Welt: der Präsident der USA gegen den Präsidenten der US-Notenbank. Für beide geht es um ihre Zukunft, Karriere und Reputation. Auf dem Spiel stehen aber auch der längste Wirtschaftsaufschwung der US-Geschichte und die Arbeitsfähigkeit der wichtigsten Zentralbank der Welt. Bis zu einer möglichen Wiederwahl im Herbst 2020 zählen für Trump drei Zahlen: die Wachstumsrate der Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit und der Stand der US-Aktienmärkte. Aber maßgeblichen Einfluss auf diese drei Werte hat Powell – er legt die Grundlage für Trumps zweiten Triumph oder für seinen Sturz.
Powell war kein Jahr im Amt, als die Twitter-Tirade aus dem Weißen Haus einsetzte. Seither hat sie sich zum Dauerbeschuss ausgeweitet. Ende November vergangenen Jahres gab Trump den Notenbankern erstmals den Ratschlag, die Ohren aufzusperren – die Inflation sinke. Vier Wochen später, an Heiligabend, war die Stimmung schon komplett im Keller, die Fed sei das „einzige Problem“ der US-Wirtschaft, so Trump. Seither vergeht kaum eine Woche ohne Attacke.
Trump weiß, dass er nur eine Chance auf eine zweite Amtszeit hat, wenn die Wirtschaft floriert. Da die Demokraten im Kongress aber wohl kein Interesse daran haben, ihn mit weiteren Konjunkturprogrammen zu unterstützen, bleibt ihm nur die Geldpolitik, um Börsen und Wähler bei Laune zu halten. Als die Fed Ende 2018 den Leitzins erhöhte, versetzte das den Präsidenten derart in Rage, dass er einen Rauswurf Powells prüfte. Er sei mit der eigenen Personalwahl „nicht einmal ein kleines bisschen glücklich“, ließ er wissen.
Nach gut 16 Monaten im Amt fragt man sich aber auch, wie Trump je auf Powell kommen konnte. Einen größeren Gegenentwurf kann man sich kaum vorstellen. Was er gedacht habe, als der Präsident die Fed als „verrückt“ und „außer Kontrolle“ bezeichnete, wurde Powell kürzlich gefragt. Ein Kommentar stehe ihm nicht zu, antwortete er beherrscht wie stets. Doch die gepressten Lippen signalisierten Anspannung. Ob der Präsident ihn rauswerfen könne, hakte der Reporter nach. Diesmal kam die Antwort wie aus der Pistole: „Nein“, antwortete Powell knapp.
Obama berief Powell ins Fed-Dirketorium
Diese Zurückhaltung zieht sich durch Powells gesamtes Leben: Statt Jerome werde er oft nur Jay genannt, erzählte er einmal: „Mein Vater hieß Jerome. Also entschieden sie – bevor ich mitreden konnte –, dass sie nicht zwei Jeromes haben wollten.“ Die große Bühne der Geldpolitik betrat Powell quasi durch die Hintertür, zuvor hatte es der Jurist knapp zwei Jahrzehnte bei Investmentbanken und Finanzinvestoren zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht – 20 bis 55 Mio. Dollar, wie er zum Amtsantritt angab.
2010 gab Powell seine hoch dotierten Jobs auf und wechselte für ein Jahresgehalt von 1 Dollar zum Bipartisan Policy Center, einem Washingtoner Thinktank. „Ich habe nie erlebt, dass er seine Coolness verliert“, sagt Shai Akabas. Der junge wirtschaftspolitische Direktor der Denkfabrik sitzt an seinem ordentlich aufgeräumten Schreibtisch und kommt aus dem Schwärmen über den Ex-Kollegen gar nicht mehr heraus. Powell habe ihn seine Überlegenheit nie spüren lassen, erzählt Akabas. „Er ist niemand, der irgendwo reinkommt und glaubt, in jeder Diskussion die Antwort zu kennen. Er will andere Perspektiven aufnehmen.“
Solch diplomatische Fähigkeiten zahlten sich aus. 2012 berief ihn der damalige Präsident Barack Obama ins Fed-Direktorium. Der Republikaner hatte seine Achtung errungen, als er seine Parteifreunde von einer Erhöhung des US-Schuldenlimits überzeugte. Neun Monate lang büffelte Powell nach dem Anruf aus dem Weißen Haus, um sich auf den neuen Job vorzubereiten.
Mit ihm zog auch der Harvard-Ökonom Jeremy Stein ins Fed-Board ein. Anfangs habe er den Kollegen für den typischen „Private-Equity-Typen“ gehalten, hat Stein einmal berichtet: „Besserer Anzug als ich, bessere Schuhe und besserer Haarschnitt.“ Auch heute noch sitzt Powells grau meliertes Haar so perfekt wie sein Maßhemd. Aber das Stereotyp passt nicht. „Er ist nicht ein bisschen arrogant. Er ist neugierig, unglaublich kollegial, und er will lernen“, lobt Stein. Vielleicht waren es diese Eigenschaften, die Trump dazu brachten, dem Vorschlag seines Finanzministers zu folgen und Powell an die Fed-Spitze zu befördern: Powell hört zu. Trump redet gerne.
Von seinem Personal aber erwartet der Präsident bedingungslose Loyalität – auch von dem, der laut Gesetz nicht ihm, sondern stabilen Preisen und Beschäftigung verpflichtet ist. Trump will, dass die Fed die Zinsen deutlich senkt und erneut im großen Stil Anleihen kauft. „Wir haben das Potenzial, abzugehen wie eine Rakete“, sagt der Mann mit dem explosiven Gemüt.
Wenn Powell nur spuren würde. Der aber verweigerte sich – zumindest bisher. Freundlich. Leise. Und äußerlich ungerührt. Inzwischen steckt er jedoch in einer brisanten Lage. Senkt er die Zinsen, steht er als Befehlsempfänger da, und der Ruf der Fed wäre ruiniert. Wartet Powell zu lange, schlittert Amerika womöglich in eine Rezession.
Noch sehen die Konjunkturdaten vergleichsweise rosig aus. Im ersten Quartal 2019 ist die Wirtschaft mit 3,1 Prozent stärker gewachsen als erwartet, und die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie seit einem halben Jahrhundert nicht. Doch die Liste der Risikofaktoren ist lang. Die Abschwächung des globalen Wachstums gehört dazu und die hohe Verschuldung – in der zweiten Jahreshälfte werden die USA wieder ihr gesetzliches Schuldenlimit erreichen. Die Börsen fahren Achterbahn. Die größte Gefahr aber sind die Handelskonflikte, insbesondere mit China. Und ein Präsident, der alles daranzusetzen scheint, diese Instabilitäten noch zu maximieren.
Maximale Transparenz

Powells Job könnte daher komplizierter nicht sein: Als er Ende November vergangenen Jahres den Zinssatz als „knapp unter“ Normalniveau bezeichnete, interpretierten die Börsianer dies bereits als eine Kehrtwende des Fed-Chefs und schlossen daraus, dass weitere Zinserhöhungen 2019 nicht mehr zu erwarten seien. Vor Begeisterung flippte die Börse regelrecht aus.
Solch marktbewegende Äußerungen sind die Todsünde jedes Zentralbankers, es gilt traditionell das Diktum des Grandseigneurs Alan Greenspan: „Wenn meine Aussagen Ihnen ungewöhnlich klar und verständlich erscheinen, dann haben Sie mich völlig missverstanden.“ Powell aber hat der Institution maximale Transparenz verordnet. Er hat die Zahl der Pressekonferenzen verdoppelt und bemüht sich nach eigenem Bekunden um eine klare Sprache.
Im Economic Club of Washington erlebte das Publikum im Januar einen entspannten Fed-Chairman, der volkswirtschaftliche Analyse mit trockenem Humor versüßte. Ob das Fußvolk über Powells Witze schneller lache, seit er Chef sei, wollte der Interviewer wissen: „Offen gesagt finde ich, dass meine Scherze immer gut angekommen sind“, antwortete Powell mit gespielter Strenge. Die Zuschauer johlten. Die Frage nach dem fehlenden Doktortitel parierte er mit dem Hinweis, dass er viel von jemandem gelernt habe, der ohne Wirtschaftsabschluss eine erfolgreiche Private-Equity-Gesellschaft gegründet habe. Ihm gegenüber saß David Rubenstein, Mitgründer des Finanz-investors Carlyle, Jurist wie Powell und ein alter Kollege.
Der unverstellte Auftritt des Fed-Chefs, die Lesebrille tief auf der Nase, ist geschickt, um die Fed gegen Trump zu verteidigen.
Er zieht sich darauf zurück, die Fed agiere unter seiner Leitung „datengesteuert“, sprich: Wenn sich die Rahmendaten verändern, reagiert die Notenbank. Nach Trumps jüngster Eskalation im Handelsstreit mit China und seiner Ankündigung, Einfuhren aus Mexiko trotz eines neuen Handelsabkommens mit Strafzöllen zu belegen, scheint die Zeit gekommen: Anfang Juni erklärte Powell, die Notenbank beobachte die Handelskonflikte genau und sei entschlossen zu handeln, um das Wachstum zu unterstützen. Seither rechnen die Märkte fest mit einer Zinssenkung in den kommenden Monaten. Den Abbau ihrer in der Finanzkrise massiv aufgeblähten Bilanz hat die Fed ohnehin stillschweigend beendet. Gut möglich, dass Powell damit die Märkte bereits beruhigt, die Konfrontation mit Trump wird er so noch nicht auflösen. Denn Trump will eine Zinssenkung um mindestens einen ganzen Prozentpunkt und ein neues Anleihekaufprogramm. Ihm stinkt die Unabhängigkeit der Notenbank ganz grundsätzlich.
Dafür sprechen auch Trumps jüngste Manöver. Für die zwei offenen Sitze im Direktorium brachte er zunächst zwei Kandidaten ins Spiel, deren wichtigste Qualifikation darin bestand, Trump treu ergeben zu sein.
Dennis Lockhart empört das. Er war zehn Jahre lang Präsident der Federal Reserve Bank of Atlanta und gehörte dem Fed-Direktorium an. „Nominierungen wie diese zwei würden die Fed in eine Institution verwandeln, die politischem Einfluss unterliegt“, kritisiert er. Das sei ein Bruch mit einer ungeschriebenen Regel: „In der Vergangenheit haben alle Administrationen hoch qualifizierte Experten ausgewählt, nicht ihnen loyale Leute.“ Lockhart hat Powell bei der Fed kennen und schätzen gelernt. Er ist sicher, dass der dem Druck widerstehen wird: „Er wird sein Auge auf dem Ball behalten.“
Seinen Vorgängern hat Powell eines voraus: Er kennt sich aus im politischen Sumpf Washingtons. Die Basis für den Widerstand gegen Trump hat er gelegt, lange bevor dem Zweifel an der eigenen Personalwahl kamen. Er trifft nicht nur regelmäßig den Finanzminister (das Frühstück sei dort besser als in der Fed), sondern geht im Kongress ein und aus – der Institution, die über die Statuten der Fed entscheidet. Er nutzt sein altes Netzwerk und tut das, was ihm überall Achtung eingebracht hat: zuhören. „Ich gehe raus aus dem Büro. Es macht mir Freude, mit Leuten ins Gespräch zu kommen“, sagt Powell.
Die Taktik hat sich schon ausgezahlt. Noch bevor Trump seine Fed-Kandidaten offiziell nominieren konnte, zog er sie wieder zurück. Seine eigenen Leute hatten ihm signalisiert, dass er damit auf gar keinen Fall durchkommen werde. Und Powell selbst hatte er zuvor schon angerufen, berichteten US-Medien, diesmal aber eher kleinlaut: „Ich schätze, ich werde dich nicht los“, habe er am Telefon eingeräumt.
Der Beitrag ist in Capital 07/2019 erschienen. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop , wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes und GooglePlay