So viel Aufmerksamkeit hat der Beirat Junge Digitale Wirtschaft in den ganzen acht Jahren seines Bestehens nicht genossen. 2013 vom damaligen Wirtschaftsminister Philipp Rösler ins Leben gerufen, operierte das Gremium – wie so viele andere Beraterkreise der Regierung – über die Jahre deutlich unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle.
Am Montag änderte sich das schlagartig – da entdeckte das „Handelsblatt“ ein Positionspapier auf der Website des Beirats, in dem zur Ankurbelung von Tech-IPOs in Deutschland ernsthaft eine „Disziplinierung der Presse“ empfohlen wurde.
Journalistenvertreter, Politiker und andere Gründer empörten sich prompt, der Beirat ruderte zurück, behauptete erst, eine Arbeitsversion wäre versehentlich ins Netz gelang und fand schließlich doch einen Schuldigen, Investor und Mitautor Christoph Gerlinger, der dankenswerterweise Wirtschaftsminister Altmaier seinen „Rücktritt anbot“, was der glücklicherweise annahm, und damit, so hoffte man, wäre die Sache gegessen.
Tief sitzendes Misstrauen gegenüber der Presse
Ist sie jedoch nicht – auch wenn die erste Aufregung vorbei ist. Denn es lohnt sich, genauer hinzuschauen und sich zu fragen: Wie kann es eigentlich sein, dass solche hanebüchenen, demokratiefeindlichen Ideen in solchen Kreisen so ernst genommen werden, dass sie zu (Arbeits-)Papier gebracht werden? Was für Grundhaltungen werden hier gepflegt, in welchen Gedankenwelten sind Tech-Unternehmer und Gründer eigentlich unterwegs?
Der Journalist und die kritische Presse als Feindbild, das ist nicht ganz neu. Das Ansehen der Berichterstatter hat aber in den letzten Jahren noch weiter gelitten, auch aus dem Mainstream werden grundsätzliche Zweifel an der redlichen Arbeit von Pressevertretern geäußert – das ist der Boden, auf dem solche Gängelungsfantasien gedeihen. Wer bei den Entschuldigungen und Distanzierungen zum aktuellen Fall genauer hinschaut, entdeckt selbst dort ein tief sitzendes Misstrauen gegenüber der Presse.
Dem „Spiegel“ erklärte Christoph Gerlinger zwar , er habe das ganze „extrem unglücklich“ formuliert, schob dann aber sofort weitere Medienkritik nach – dass nämlich ein Börsengang ein „äußerst sensibler Vorgang für eine Firma“ sei, den „wenige einseitig negative Zeilen stark erschweren oder zunichtemachen“ könnten.
Frank Thelen, bekannt als Investor aus der TV-Show „Die Höhle der Löwen“, bezeichnete das Papier im „Handelsblatt“ erst als „zu hundert Prozent daneben“, lamentierte dann aber darüber, dass „die Presse [...] oft Start-ups unnötigerweise“ zerreiße, das sei „eben nicht ideal“. Er wünsche sich „auch mehr Freude daran“. Den Grund für den Missstand glaubte er erkannt zu haben: „Leider klickt sich Negatives auch besser als ein tief greifender Bericht zu einer neuen Technologie.“
Man kann das als Missverständnis redaktioneller Mechanismen abtun, es ist aber gut möglich, dass hier sich nur etwas herausschält, was in der Tech-Welt durchaus verbreitet ist – nämlich ein Unbehagen mit demokratischen Prinzipien.
Besagter Frank Thelen zum Beispiel fantasierte vor zwei Jahren schon einmal öffentlich darüber, wie es wäre, wenn in Deutschland nicht langsame demokratische Mühlen mahlen würden, sondern autokratische Effizienz regierte. „Wir sind in vielem einfach viel zu langsam, verheddern uns in Regulierungen“, sagt er laut „Süddeutscher Zeitung“. Da schaue er „schon neidisch auf China. Einmal vier Jahre lang alles per Order und im Eiltempo aufbauen und dann ist auch wieder gut, dann können wir zurück zu unserer Staatsform.“ Denn eigentlich fände er die Demokratie nämlich sehr richtig, schob er laut der Zeitung nach.
Das riecht dann aber stark nach Lippenbekenntnis: Natürlich, freie Presse ist wichtig, Demokratie ist gut – aber, ehrlich, müssen wir immer so viele beteiligen, alle Gesetze beachten? Muss die Presse immer so herumkritteln?
Deal with it!
In den USA werden die antidemokratischen Tendenzen der Tech-Elite schon länger kontrovers diskutiert. Jüngstes Beispiel ist Investor Marc Andreessen, der sich so lange öffentlich über vermeintlich überkritische Journalisten echauffierte, bis er schließlich sein eigenes, technologiepositives Medium gründete.
Einige der exzentrischen Vordenker im Silicon Valley haben schon vor Jahren über ihre Vorbehalte gegenüber demokratischen Strukturen gesprochen. Zu ihnen gehört auch Investor Peter Thiel, der 2009 mal schrieb, Freiheit und Demokratie seien nicht länger kompatibel. Konsequenterweise unterstützte er 2016 dann auch den späteren US-Präsidenten und Möchtegernautokraten Donald Trump.
Der idealtypische Gründer ist einer, der Schnelligkeit liebt, der lieber macht anstatt zehnmal nachzufragen, der seinem Team ein positives Mindset einimpft und der Lösungen sieht anstatt Probleme, auch wenn es um hochambitionierte Ziele geht.
Demokratische Kontrollinstanzen, darunter eine kritische Presse, sind das genaue Gegenteil. Sie verlangsamen, sie problematisieren, es wird hinterfragt und kritisiert. Es verwundert daher gar nicht so sehr, dass viele Gründer damit fremdeln.
Der Theorie nach bringt der idealtypische Gründer aber ja noch eine Eigenschaft mit: Er sollte sich von Rückschlägen oder Widerständen nicht so einfach aus dem Tritt bringen lassen. Das möchte man auch in diesem Fall empfehlen: Kritische Presse hat ihren Sinn und ihre Berechtigung – deal with it!

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