Anzeige

Kolumne Corona-Krise: Schicksalstage für Europa

Ratspräsident Charles Michel und EU-Komissionschefin Ursula von der Leyen bei einer Pressekonferenz in Brüssel. Die EU tut sich schwer mit einer gemeinsamen Linie in der Corona-Krise
Ratspräsident Charles Michel und EU-Komissionschefin Ursula von der Leyen bei einer Pressekonferenz in Brüssel. Die EU tut sich schwer mit einer gemeinsamen Linie in der Corona-Krise
© IMAGO / Xinhua
Europa fehlt noch eine überzeugende Antwort auf die Corona-Krise. Vom EU-Gipfel am kommenden Donnerstag muss daher ein Zeichen der Solidarität mit Italien und Spanien ausgehen, sonst gerät die ganze Integration in Gefahr

In ihrer Antwort auf die gefährliche Corona-Pandemie hat die deutsche und europäische Wirtschaftspolitik bisher nahezu alles richtig gemacht. Nach kurzem Zögern hat die Europäische Zentralbank die Geldschleusen weit geöffnet, damit die tiefe Rezession nicht auch noch in eine Finanzkrise ausarten kann. Daheim haben die Finanzminister große Programme aufgelegt. So wollen sie Bürgern, Arbeitnehmern und Unternehmen über die schweren Monate hinweghelfen, in denen ein erheblicher Teil der wirtschaftlichen Aktivität abgeschaltet werden muss, damit das Virus sich nicht weiter ausbreiten kann.

Auf der europäischen Ebene steht dagegen eine überzeugende gemeinsame Antwort der europäischen Fiskalpolitik auf die gemeinsame Krise noch aus. Sollte sich in Italien und anderen Ländern der Eindruck verfestigen, Nordeuropa verweigere dem härter getroffenen Süden die gebotene Solidarität, könnten in einiger Zeit gefährliche Kräfte wie Marine Le Pen in Frankreich oder sogar die neofaschistischen „Brüder Italiens“ Wahlen mit anti-europäischen Slogans gewinnen.

Solidarpaket reicht nicht aus

Inhaltlich ist der Eindruck mangelnder Solidarität zumindest übertrieben. Zwar haben Deutschland und die Niederlande die auch von mir an dieser Stelle am 16. März vorgeschlagenen „Corona-Bonds“ abgelehnt. Dennoch dürfte das Solidarpaket von bis zu 500 Mrd. Euro, das die Eurogruppe der Finanzminister am 9. April nach viel Lärm endlich auf den Weg gebracht hat, das größte grenzüberschreitende Hilfsprogramm seit dem Marshallplan der 1950er-Jahre sein. Wirtschaftlich unternimmt Europa mit den Kreditlinien des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) für Staaten, den zusätzlichen Krediten der Europäischen Investitionsbank (EIB) für Unternehmen und dem EU-Kurzarbeitergeld wichtige Schritte in die richtige Richtung. Aber sie reichen nicht aus.

Vor allem überschatten der lange Streit über die Bedingungen für Kreditlinien des in Südeuropa äußerst unbeliebten ESM sowie die anhaltende Diskussion, ob denn ein gemeinsamer Wiederaufbaufonds auch durch gemeinsame Anleihen finanziert werden sollte, die Substanz der Beschlüsse. Europa hat es geschafft, einen nahezu beispiellosen Akt der Solidarität so darzustellen, dass die Europa-Skeptiker in Südeuropa und den Niederlanden sich eher bestätigt als widerlegt fühlen.

Icon1

Kennen Sie schon unseren Newsletter „Die Woche“ ? Jeden Freitag in ihrem Postfach – wenn Sie wollen. Hier können Sie sich anmelden

Am 23. April werden die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union auf einer Videokonferenz einen neuen Anlauf nehmen. Für Europa kann das ein Schicksalstag sein. Sollte die EU erneut daran scheitern, ein klar sichtbares Zeichen der Solidarität zu senden, könnte das Virus im schlimmsten Fall zum Totengräber der europäischen Integration werden.

Zwei Einsichten

Die Diskussion, was genau die EU und die Eurozone dagegen unternehmen sollten, muss mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme beginnen. Dazu gehören zwei Einsichten:

  • Erstens hängt gerade auch der Wohlstand Deutschlands davon ab, dass es seinen Nachbarn gut geht und es den freien Zugang zu ihren Märkten genießen kann. Sollte Italien aus dem Euro und dem gemeinsamen Markt der EU aussteigen, wäre das auch für unsere Wirtschaft ein herber Schlag, von den politischen Folgen beispielsweise für das deutsch-französische Verhältnis ganz zu schweigen. Schon 2012 hatte die – wesentlich mildere - Euro-Krise nicht nur Südeuropa hart gebeutelt. Sie hatte damals auch das unmittelbar gar nicht betroffene Deutschland an den Rand einer Rezession gebracht. Probleme unsere Nachbarländer strahlen eben auch auf uns aus. Eine solche Zusatz-Rezession nach der Corona-Krise könnte für uns wesentlich teurer sein als gemeinsam mit Italien und anderen Euroländern eine begrenzte Anzahl von „Corona-Anleihen“ aufzulegen.
  • Zweitens ist die Eurozone bereits heute eine Schicksals- und Risikogemeinschaft. Mit dem Euro haben wir nicht nur eine Währung, die sich nach innen und außen als stabiler erwiesen hat als die DMark zuvor. Wir sind auch weit enger miteinander verwoben als zuvor. Wir werden die Kosten dieser Krise so oder so in einem erheblichen Umfang miteinander teilen.

Risiken werden ohnehin vergemeinschaftet

Dies zeigt sich beispielsweise in der Bilanz der Zentralbank. In einer tiefen Krise steigt der Wunsch der Haushalte, Unternehmen und Finanzinstitutionen, Vorsichtskasse zu halten, dramatisch an. Um diese abrupte Zusatznachfrage nach Vorsichtskasse zu befriedigen, muss die Zentralbank mehr Liquidität anbieten. Dies tut sie, indem sie Anleihen kauft. Deshalb wird und muss ein großer Teil der zusätzlichen Anleihen, mit denen sich deutsche, italienische oder europäische Institutionen während und im Nachgang der Krise finanzieren, letztlich auf der Bilanz der gemeinsamen Europäischen Zentralbank (EZB) beziehungsweise ihrer nationalen Ableger landen. In diesem Sinne wird das Risiko ohnehin zu einem erheblichenTeil vergemeinschaftet.

Im Vergleich zu dieser Einsicht ist der Streit um die genaue Finanzierung einer gemeinsamen Euro-Antwort auf den gemeinsamen Schock eher zweitrangig. Ob es sich um Anleihen des ESM, der EIB, der Europäischen Kommission oder eines anderen Topfes handelt, als Garantiegeber wird Deutschland innerhalb vorab gesetzter Grenzen immer dabei sein. Im Gegensatz zu allen anderen Instrumenten einschließlich des jetzt diskutierten „Wiederaufbaufonds“ hätte ein gemeinsamer „Corona-Fonds“, der sich über mit gemeinsamen Garantien unterlegte aber vorab im Umfang begrenzte „Corona Bonds“ finanziert, immerhin den Vorteil, dass er den kurzfristigen Ausnahmecharakter bereits im Namen tragen würde.

Auch wenn gemeinsame Schuldtitel mit dem Namen „Corona-Bonds“ nach dem klaren Nein aus Berlin und Den Haag wohl nicht kommen werden, dürfte es letztlich auf etwas Ähnliches hinauslaufen. Vermutlich wird Europa über den Umweg des EU-Haushaltes einen durch gemeinsame Garantien unterlegten Topf aufstellen, der zinsgünstige Langfristkredite für Investitionen und/oder zum Ausgleich von Corona-Kosten an arg gebeutelte Mitgliedsstaaten vergibt.

Zeichen der Solidarität

Die Pandemie trifft alle Mitglieder des Euro, Südeuropa allerdings noch härter als den Norden. In Italien und Spanien hat das Virus zuerst zugeschlagen. Und da eine ganze touristische Sommersaison auszufallen droht, sind die Kosten in den Mittelmeerländern besonders hoch. Alle Länder werden sich erheblich verschulden müssen, um die Kosten aufzufangen. Es geht nicht darum, dies Italien abzunehmen. Aber derzeit müsste Italien für diese zusätzlichen Schulden wesentlich mehr bezahlen als Deutschland, das sich ja zu Negativrenditen finanzieren kann. Im Kern geht es darum, Italien sowie anderen hart getroffenen Ländern einen Teil der sonst drohenden zusätzlichen Zinskosten durch eine möglichst im Umfang und der Zeit begrenzte Gemeinschaftsgarantie zu ersparen.

Wichtig an diesem Donnerstag ist nicht einmal, dass die virtuellen Gipfelstürmer sich auf alle Details einigen. Darüber können Finanzminister noch eine Weile verhandeln, solange es ein im Ton freundschaftlicher Disput bleibt. Wichtig ist vor allem, dass die Staats- und Regierungschefs eine grundsätzliche Einigung verkünden und damit ein politisch sichtbares Zeichen der Solidarität senden. Kurzfristig kann es die Europäische Zentralbank auch nahezu im Alleingang schaffen, die Finanzierungskosten für Italien wieder auf ein erträgliches Maß zu senken, sofern die Politik sichtbar auf den richtigen Weg eingeschwenkt ist.

Aber ohne ein solches Signal könnten die Risikoaufschläge auf italienische Anleihen weiter zunehmen. Diese Anleihen preisen bereits heute ein gewisses Restrisiko ein, dass ein zutiefst enttäuschtes Italien dereinst die EU und den Euro verlassen könnte. Steigt dieses Risiko, könnte uns neben der Pandemie noch eine rein hausgemachte Zusatzkrise drohen. Das zu vermeiden sollte im Interesse aller sein.

Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen. Weitere Kolumnen von Holger Schmieding finden Sie hier

Mehr zum Thema

Neueste Artikel