Capital: Die Corona-Krise hinterlässt erste messbare Spuren in der deutschen Wirtschaft. 470.000 Betriebe haben jetzt schon Kurzarbeit angemeldet. Mit welchen Folgen rechnen Sie für den deutschen Arbeitsmarkt?
KLAUS BAUKNECHT: Die hohe Zahl der Kurzarbeitsanmeldungen kann als Erfolg gewertet werden. Denn die Kurzarbeitsregelung entlastet die Unternehmen und dämpft die sozialen Implikationen der Krise. Gleichzeitig erlaubt das Konzept ein schnelles Hochfahren der Produktion nach der Krise, da die Mitarbeiter im Unternehmen verbleiben. Deshalb ist es wichtig, dass die Kurzarbeit so viel Menschen wie möglich auffängt, die sonst arbeitslos würden. Vorausgesetzt, es bleibt bei einer kurzen Krise und damit bei einem kurzfristigen Einbruch der Konjunktur, ist von keinem bedeutenden Anstieg der Arbeitslosenquote auszugehen.
Das klingt relativ optimistisch was den deutschen Arbeitsmarkt angeht...
Der deutsche Arbeitsmarkt sorgt schon länger für Verwunderung. Die ausgeprägt Schwächephase der Industrieproduktion seit Mitte 2018 hatte bisher kaum Spuren hinterlassen. Aktuell geht die deutsche Industrie mit deutlich weniger Rückenwind in die Krise, als dies zum Beispiel in der Finanzkrise 2008/09 der Fall war. Doch der Ausblick für den deutschen Arbeitsmarkt ist weniger von der Krise geprägt. Stärker ins Gewicht fallen könnten ein möglicherweise anhaltend schwaches Konjunkturumfeld und der aufgrund von Lohnerhöhungen und einer niedrigen Produktivität ansteigende Arbeitnehmeranteil am Volkseinkommen. Im Falle der erwarteten Konjunkturerholung vor allem im Jahr 2021 ist jedoch nicht mit einem bedeutenden Anstieg der Arbeitslosenquote nicht zu rechnen – dank der Kurzarbeitsregelung.
Tut die Politik denn ansonsten aktuell genug – speziell für kleine und mittlere Mittelstandsunternehmen?
Die Krise benötigt eine effektive Stützung der Realwirtschaft. Ein Aufkaufprogramm der Notenbank und Staatgarantien erreichen dies nur begrenzt. Bei den Rettungsmaßnahmen muss zwischen effektiver Hilfe durch Transferzahlungen und Kreditgarantien zum Beispiel zur Liquiditätssicherung unterschieden werden. Kein gesundes Unternehmen würde Kredite für laufende Kosten aufnehmen, da die Verschuldung keine zusätzlichen Investitionen und damit Erträge generiert. Das Ergebnis wären eine grundsätzlich höhere Unternehmensverschuldung und eine schlechtere Bonität. Dies wiederum würde dazu führen, dass Unternehmen in Zukunft weniger Kredite nachfragen und ihre Investitionstätigkeit zurückfahren. Außerdem wäre perspektivisch mit höheren Ausfallraten zu rechnen.
Hilfskredite allein sind also nicht die Lösung?
Kredite verschieben die Konsequenzen aus der Krise in die Zukunft, bringen aber keine effektive Entlastung. Gefragt ist eine effektive Stütze für Unternehmen. Hierfür ist das Konzept der Kurzarbeitsregelung bereits hilfreich, aber auch direkte Transferzahlungen machen Sinn. Diese werden bereits für kleinere Unternehmen geleistet, sollten aber auch von mittelgroßen Mittelständlern in Anspruch genommen werden können. Sie haben zwar durch ihre Hausbanken und Kreditgarantien oftmals Zugang zu Liquidität, doch gerade nach dem schwachen Industriejahr 2019 heißt es, diese Unternehmen für die Zukunft zu rüsten und nicht zu belasten.
Kommen wir zu den längerfristigen Folgen. Droht uns nach den ersten Folgen des Shutdowns mittelfristig eine neue Euro-Schuldenkrise?
Ohne Zweifel wird die Krise zu einem deutlichen Anstieg der Staatsschuldenquoten führen. Seit der großen Depression haben Krisen weniger zu anhaltenden realwirtschaftlichen Problemen geführt, als zu steigenden Schuldenquoten. Und das ist auch richtig so. In der großen Depression hatte der Staat zu Anfang nicht effektiv eingegriffen, um die Wirtschaft zu stützen. Die Folge war eine realwirtschaftliche Katastrophe, die sich über Jahre hinzog. Keynes hat das erkannt und analysiert und seitdem sorgen realwirtschaftliche Schocks vor allem für einen Anstieg der Staatschulden, um die Wirtschaft zu stützen.
In der Lehman-Krise sah die Antwort der Politik aufgrund dieser Lektionen anders aus. Dann folgte jedoch einige Zeit später die Euro-Schuldenkrise.
Mit der Finanzkrise 2008/09 haben sich die Schuldenquoten in der Eurozone deutlich ausgeweitet, was maßgeblich zur Euro-Krise geführt hat. Selbst bei stabilem Wirtschaftswachstum sind die Schuldenquoten in den letzten Jahren nur marginal gesunken – vor allem in südeuropäischen Ländern wie Italien und Spanien. Mit der Corona-Krise werden sich die Schuldenquoten in der Eurozone noch einmal deutlich erhöhen, was die Schuldentragfähigkeit mancher Länder infrage stellen wird. Aktuell ist davon auszugehen, dass Italien eine Schuldenquote erreicht, die kaum mehr tragfähig ist und die Handlungsoptionen des Staates begrenzt. Ob es zu einer Schuldenkrise kommt, wird nur davon abhängen, ob die Euro-Zone als Gemeinschaft früh genug gegen dieses sich aufbauende systematische Risiko vorgehen wird.
Was muss die Politik, auch die Zentralbank tun, um dies zu verhindern?
Die Regierungen und Notenbanken machen aktuell vieles richtig. Es gilt, die Realwirtschaft zu stützen und eine große Depression bzw. eine Vielzahl von Unternehmensinsolvenzen zu verhindern. Der nächste Schritt muss allerdings eine effektive und nachhaltige Lösung für die Länder sein, deren Schuldenztragfähigkeit nicht mehr gesichert ist. Dieses Problem wurde infolge der Finanzkrise nur teilweise angegangen – durch die Installation des ESM-Rettungsschirms. Das Aufkaufprogramm der EZB reduziert zwar die effektive Zinslast der Euro-Länder; es ist jedoch formal nicht Aufgabe der Notenbank, die Schuldentragfähigkeit von Euro-Staaten zu sichern. Als größter Gläubiger wird sie aber sicherlich eine entscheidende Rolle spielen, wenn es um eine effektive Entlastung geht. Und diese ist bei den zu erwarteten Schuldenquoten – insbesondere bei Italien – unausweichlich.
Schuldenbremsen gehören damit der Vergangenheit an?
Dies muss nicht unbedingt bedeuten, die gemeinsame Linie in der Haushaltsdisziplin auf lange Sicht aufzugeben. Diese sollte allerdings erst dann wieder Priorität besitzen, wenn die Schuldenquoten auf ein Niveau reduziert wurden, bei dem betroffene Staaten wieder handlungsfähig sind. Die Schuldenquoten vieler Länder werden nach der Krise einen „Reset“ brauchen – darum wird Europa nicht herumkommen, wenn wir eine nachhaltige Schuldenkrise verhindern wollen. Hierzu ist eine europäische Lösung erforderlich und nicht nur eine sich aufblähende Notenbankbilanz. Corona-Bonds oder gemeinsame Euro-Anleihen sind mögliche Elemente, aber auch ein europäischer Krisenfonds ebenso wie eine deutliche Laufzeitverlängerung der von der EZB gehaltenen Staatsanleihen.
Droht uns mittelfristig auch Inflation?
Da es sich infolge des „Shutdowns“ auch um einen Angebotsschock handelt, ist durchaus von kurzfristigem Inflationsdruck auszugehen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Nachfrage durch fiskalische Maßnahmen gestützt wird. Aktuell ist jedoch ein deutlicher Einbruch des Konsumentenvertrauens zu erkennen, was die Nachfrage eher schwächt. Dies zeigt sich auch bei den Rohstoffpreisen, die aktuell für eine eher geringe Inflationsentwicklung sorgen.
Und was passiert, wenn der Ausnahmezustand länger dauert?
Sollte der Shutdown“ länger andauern, ist mit einem Aufholeffekt der Nachfrage zu rechnen, was mittelfristig für Inflationsdruck sorgen könnte. Entscheidend wird hierbei sein, wie schnell die Produktion wieder hochgefahren werden kann. Sollten globale Produktionsketten noch auf Sicht unterbrochen sein, ist mit selektiven Inflationsimpulsen zu rechnen. Doch auch diese sollten sich nur bei einer anhaltend robusten Nachfrage als nachhaltig erweisen. Die letzten Jahre waren allerdings eher dadurch gekennzeichnet, dass die effektive Nachfrage der inländischen sowie globalen Wirtschaft nicht ausreichend war, um eine stärkere Inflationsrate zu erzeugen.
Was kann, was muss die Zentralbank in dieser Hinsicht tun?
Aktuell wird immer häufiger Helikoptergeld als weiteres Instrument zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise ins Spiel gebracht. Der Einsatz von Helikoptergeld könnte im aktuellen Stadium durchaus für Inflation sorgen. Denn die Geldmenge in der Realwirtschaft würde sofort steigen und zu einem gewollten effektiven Nachfrageanstieg führen, der jedoch aufgrund des Angebotsschocks nicht zufriedenstellend bedient werden könnte. Helikoptergeld macht deshalb nur bei einer wieder anlaufenden Produktion Sinn. Insgesamt kann ein kurzfristiger Preisdruck nicht ausgeschlossen werden. Inflation, also ein anhaltender Preisanstieg ist jedoch bei einer relativ kurzen Unterbrechung der Produktion infolge des Coronavirus nicht zu erwarten.
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