Drei Fragen bleiben am Ende dieser kurzen Ära Laschet, die nicht zu Ende gehen will, ja, die sich mit ihrem Nichtendenwollen quält: Wie hält ein Mann so etwas aus? Wie konnte es so weit kommen? Und wie kann es überhaupt weitergehen?
#1 Wie hält ein Mann so etwas aus?
Die erste Frage spaltet sich auf in zahllose Unterfragen: Wie hält ein Mensch das aus, was der CDU-Politiker Karl-Josef Laumann als „Vernichtung“ bezeichnet hat? Ein Dauerfeuer, Dauerangriff, mit Häme und Hass begleitet, die nicht selten grenzenlos und grenzüberschreitend waren. Warum beendet Armin Laschet nicht, was längst zu Ende ist? Wieso geht man nicht, wenn man eigentlich schon weg ist?
Wie hält man es aus, wenn man über Monate nicht gewollt wird, nie gewollt war, weggewollt wird, weggetwittert wird? Und zu guter Letzt: Wieso ist die Kritik an einem Politiker aus den Fugen geraten, der jemand ist, der eigentlich versöhnen will? Der jeden Tag aufgespalten wurde, während er nicht mehr spalten wollte?
Armin Laschet bleibt einer der tragischsten Kanzlerkandidaten, aber in seinem Scheitern steckt auch etwas Beschämendes.
#2 Wie konnte es so weit kommen?
In dem klarsten Absatz seiner verklausulierten Rückzugsrede sprach Armin Laschet am Donnerstagabend von einem Streit um Vorsitz und Zukunft in der CDU, der seit 2018 andauert und nie beendet wurde.
Die CDU ist im Auswechseln ihrer Führungskräfte bei einer Frequenz angekommen, mit der sie es mit der SPD und dem HSV aufnimmt. Auslöser dieser Führungslosigkeit ist bekanntlich das Ende der Ära Merkel, Ursache ist eine doppelte Spaltung der Union: zum einen die Spaltung zwischen CDU und CSU, die sich hoffnungslos vertieft hat, die Wunden geschlagen hat.
Die zweite Spaltung besteht innerhalb der CDU, seit der Rückkehr von Friedrich Merz: Zweimal hat die CDU einen neuen Vorsitzenden gewählt, und die eine Hälfte wollte Merz folgen, die andere Merkel verlängern. In der Union spuken seitdem zu viele Geister der Vergangenheit, mal in der Gestalt von Markus Söder, mal als Friedrich Merz, dazu noch kleine Nebengespenster wie Hans-Georg Maaßen.
Die Gründe für den Absturz werden vor allem in der Figur Laschets gesucht, der keine klare Formel und Idee seiner Kanzlerschaft entwickeln konnte. Das ist richtig und zugleich zu kurz gegriffen.
Die Union hat bei ihrer Neuaufstellung einfach zu viel Zeit verloren, und zwar in zwei entscheidenden Phasen: Einmal vor einem Jahr, als der Parteitag in den Januar verschoben wurde – angeblich wegen Corona, andere sagen, weil Armin Laschet Zeit gewinnen wollte (aber wertvolle Zeit verlor).
Im Januar dann griff Laschet nicht schnell genug nach der Kanzlerkandidatur und die Formel „zwischen Ostern und Pfingsten“ wurde ihm zum Verhängnis: Denn dies wurde die Phase des wundersamen Aufstiegs der Grünen, während im Hintergrund die geschlossene und gut vorbereitete SPD wartete. Der zweite Zeitverlust fällt in die Phase ab Mai, als die Grünen um Annalena Baerbock Fehler um Fehler machten. Die Union beschloss damals, wie ihre Vertreter freimütig einräumen, „nichts zu machen“. Dieses Nichtsmachen und Abwarten, das ideenlose Warten auf die Wahl, war eine grobe Fehlkalkulation, und wurde durch die Jahrhundertflut jäh unterbrochen. Danach übernahm Olaf Scholz lächelnd das Zeichen der Raute. Damit wurde alles umgedeutet und neu bewertet: Aufbruch, Kontinuität, Wandel, Neustart.
Die Grünen retteten sich in die größte mögliche Nebenrolle, Olaf Scholz schlüpfte in die Kanzlerrolle, die CDU war weder Neustart noch Stabilität: Sie war Elend, Vakuum, Streit, und erinnerte an diese grauen Herren aus „Momo“, die sich langsam auflösen. Erst in den letzten Wochen steuerte sie panisch mit aktionistischen Ideen, Figuren, Zukunftsteams und 100-Tage-Programmen dagegen. Vergeblich.
#3 Wie kann es überhaupt weitergehen?
Seit der Wahl agiert die Union in einem Überlebensreflex: Die Jamaika-Option respektive -Fiktion hält den Laden zusammen, Laschet versucht nun eine kontrollierte Sprengung: Ein Übergang, mal wieder, irgendwie moderiert. Kommt einem bekannt vor, das wollte seine Vorgängerin auch.
Die Rhetorik des Übergangs bleibt so ungefähr, weil sich alle noch sortieren müssen. Zwei bis drei Prozentpunkte mehr, und das „Weiter so“ wäre möglich gewesen. Söder hat nun eingeräumt, dass der Kaiser nackt ist. Michael Kretschmer ebenfalls. Laschet sagt noch: Es ist richtig, dass der Kaiser im Prozess des Ankleidens seine Kleidung noch nicht anhat, er steht aber für das Ankleiden zur Verfügung – aber wir können auch einen anderen Kaiser ankleiden.
Die CDU wird weiter leiden, solange sie in der doppelten Geiselhaft von Friedrich Merz und Markus Söder bleibt. Deren Ambitionen, unerfüllt und unbefriedigt, lähmen und quälen die Partei. Merz muss endlich erkennen, dass er diese Partei nicht mehr in die Zukunft führen kann, dass er sie nicht zu neuer Größe führt, sondern an der Schrumpfung beteiligt war. Söder muss klären, ob dem nächsten CDU-Chef das gleiche Schicksal droht wie Armin Laschet – er braucht die Gewissheit, dass die CDU wieder stark genug wird und nicht die CSU mit runterzieht (in Bayern wird 2023 gewählt).
Das Problem der CDU ist es, dass zu viele Köpfe, die sich nun für die Zukunft präsentieren, schon zu verbraucht, zu vorbelastet, zu angeschlagen sind. Auch Norbert Röttgen und Jens Spahn sind mit dem Richtungsstreit verbunden – es bleiben Daniel Günther, Michael Kretschmer und Tobias Hans. Noch nicht mal eine Frau, denkt man unwillkürlich.
Ein paar Prozentpunkte entscheiden oft über die Story von Aufstieg und Fall. Im kommenden Jahr wird sich bei vier Landtagswahlen zeigen, ob die CDU den Turnaround hinbekommt: im Saarland, in Niedersachsen, natürlich in NRW und in Schleswig-Holstein. Die CDU sollte nicht noch mehr Zeit verlieren.
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