Vor kurzem traf ich einen Berater und Strategen aus dem Führungskreis der CDU – nicht ganz, ganz nah dran am großen Vorsitzenden, aber auch nicht ganz weit weg. Dafür allerdings auch und umso näher an jenen Parteimitgliedern, die sich gerade auf den Wahlkampf vorbereiten: auf die Stände in den Fußgängerzonen und das Aufhängen der Plakate.
Weil wir uns lange nicht gesehen hatten, begann ich das Gespräch, wie ich fand, mit etwas Unverfänglichem: Wie denn die Stimmung gerade sei, fragte ich und schob noch hinterher, dass für viele in der Partei die Messe wahrscheinlich schon gesungen sei. Mein Gegenüber schaute mich ein bisschen verwundert an. Ich war wohl etwas vorschnell gewesen und setzte hinterher: „Wie, etwa nicht?“
Was dann folgte, hatte ich tatsächlich so nicht erwartet. Eine lange Analyse über die strukturellen Schwächen von CDU und CSU im anstehenden Wahlkampf: keine neuen Köpfe, keine jungen, frischen Leute, und stattdessen alle Promis aus der Partei- und Fraktionsspitze, seit Jahren und Jahrzehnten bekannt und oft noch in schlimmster Erinnerung aus früheren Ministerämtern. Die Corona-Groko sei ja gerade mal drei Jahre her. Vor allem aber: keine Frauen. Oder zumindest fast keine. „Wenn ich mit Frauen in den Landesverbänden spreche, sagen die mir ganz offen: ‚Mit dieser Aufstellung habe ich ein Problem.‘“
„Sie unterschätzen Habeck“
Merz sei, wie er sei, er habe seine Stärken und seine Schwächen – aber dass es die Parteiführung nicht geschafft habe, junge und vor allem weibliche Nachwuchskräfte aufzubauen, sei in den kommenden acht Wochen ein echtes Problem. Ich entgegnete, die anderen Parteien seien doch auch nicht besser und durch die letzten drei Jahre, durch „D-Day-Papier“, „Heizungsgesetz“ und „Herumscholzen“ hinreichend und ausgleichend diskreditiert. Doch mein Gesprächspartner widersprach: „Sie unterschätzen Habeck.“
Das Heizungsdebakel sei schon so gut wie vergessen, von allen vier Kandidaten sei Habeck immer noch der frischeste. Klar habe er Fehler gemacht, agierte als Minister bisweilen ahnungslos und überfordert, aber wenigstens stehe er zu seinen Fehlern. Und er sei nie intrigant und verlogen gewesen. „Warten Sie’s ab“, sagte der Mann, „der zieht auch im bürgerlichen Spektrum“.
Nach diesem Gespräch frage ich mich nach wie vor, ob hinter der Einschätzung wirklich eine ernste Sorge steckt oder eher ein bewusstes Tiefstapeln.
Was gewiss ist: Gut fünf Wochen sind seit dem Total-Ausfall der Ampel vergangen, und inzwischen haben es fast alle Parteien geschafft, sich irgendwie selbst mindestens ein Bein zu stellen – mit einer Ausnahme: Habeck und die Grünen. Dessen verdruckste Kanzlerkandidatur, die er ja in den ersten Tagen nur als „Angebot“ verstanden wissen wollte, wirkte wenige Tage nach dem Ampel-Aus und mit den frischen Eindrücken des Koalitionschaos’ auf viele ziemlich lächerlich – im Vergleich zu seinen Mitbewerbern steht Habeck heute jedoch grundsolide da.
Querschüsse aus Bayern
Die Selbstdemontage bei FDP und SPD hingegen wird bei vielen Wählern, die ohnehin ihre Zweifel hatten, nachwirken. Das gilt sogar umso mehr, wenn beide Spitzenkandidaten nun scheinbar unbeirrt in den Augen-zu-und-durch-Modus schalten. Als geneigter Zuschauer würde man sich etwas mehr Demut wünschen.
Tja, und bei der Union, da weiß man nicht, ob es Übermut ist, alte Verletzungen, ein tieferes Kalkül oder einfach nur Unvermögen – vielleicht ist es auch eine Mischung aus allem. Das Hickhack jedenfalls zwischen Spitzenkandidat Merz und CSU-Chef Markus Söder um den Umgang mit den Grünen erinnert schon wieder fatal an den Wahlkampf 2021. Als Söder wirklich keine Gelegenheit ausließ, um dem damaligen Spitzenkandidaten Armin Laschet in die Parade zu fahren. Wieder und wieder, bis dieser komplett ramponiert dastand.
Zwar hat es bei den CSU-Vorsitzenden eine lange Tradition, ihre Eigenständigkeit auch gegenüber der CDU immer wieder unter Beweis zu stellen – man erinnere sich nur an die legendären Konflikte zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel. Doch damals ging es wenigstens noch um handfeste Themen und Probleme, etwa die Folgen des Flüchtlingsstroms nach Deutschland. Jetzt geht es eigentlich um gar nichts.
Während Friedrich Merz eine Koalition mit den Grünen nicht kategorisch ausschließen will, ja, nicht einmal einen erneuten Wirtschaftsminister Robert Habeck, haut Söder ein ums andere Mal dazwischen, wenn Merz nur „grün“ oder „Habeck“ sagt. Mit der CSU werde es keine schwarz-grüne Koalition geben, diktiert der Bayer im Wochenrhythmus, Habeck müsse einfach weg, basta! Viele in der CDU empfinden das inzwischen als Sabotage.
Merz nur noch knapp vor Scholz
Dabei ist die Lage trivial: Im nächsten Bundestag wird die CDU kaum alleine regieren können (wenn Söder gegen Merz so weitermacht, erst recht nicht). Auch für eine schwarz-gelbe Koalition (Söders Lieblingsoption) wird es kaum reichen, dafür müsste sich die FDP von jetzt an bis zur Wahl am 23. Februar verdreifachen. Bleiben also SPD und Grüne für eine CDU-geführte Bundesregierung – das ist vielleicht kein Traum aus Sicht der Union, aber immerhin würde man wieder den Kanzler stellen. In dieser Situation ohne Not Schwarz-Grün kategorisch auszuschließen, ist nicht wirklich smart: Denn bliebe Söder dabei, wäre die Union erpressbar; und sammelt Söder nach der Wahl sein großspuriges Versprechen wieder ein, hat er die Union beschädigt, bevor sie überhaupt ein Ministerium bezogen hat; in jedem Fall beschädigt Söder den eigenen Spitzenkandidaten, der sich gerade ein bisschen Beinfreiheit erarbeiten will.
Das Ergebnis ist schon jetzt, nach knapp fünf Wochen, absehbar: Anfang November stand die Union bei 33 Prozent, inzwischen sind es 31. Die SPD hat leicht gewonnen, im direkten Vergleich Merz versus Scholz liegt Merz nur noch knapp vor Scholz. Und zwei Prozentpunkte zugelegt haben in dieser Zeit ausgerechnet die Grünen – sie liegen jetzt bei 13 bis 14 Prozent. Das ist alles noch nicht dramatisch – aus Sicht der CDU geht aber alles in die falsche Richtung. Wenn Söder so weitermacht, wird Merz genau dort landen, wo Scholz und Habeck ihn haben wollen.