Jetzt sieht es aus als wehre er sich gegen die Geister, die er rief. Am Tag, als Europa harsche Zölle gegen E-Autos aus China verkündete, wandte sich der Autokonzern Stellantis in einer klaren Mitteilung gegen die Pläne: „Stellantis unterstützt keine Maßnahmen, die zur Fragmentierung der Welt beitragen“, hieß es. Konzernchef Carlos Tavares hatte die Zölle schon vor einigen Wochen in München als „gewaltige Falle“ gegeißelt.
Ähnlich wie seine Kollegen von Mercedes, VW und BMW prophezeite er, die EU-Maßnahmen würden der europäischen Autoindustrie mehr schaden als den gefürchteten Autobauern aus China. Autos würden teurer, der Markt ausgebremst und die Mühen der hiesigen Hersteller, wieder besser mit der chinesischen Konkurrenz mithalten zu können, würden durch Abschottung auch nicht weiter gefördert.
Tavares hat mit Stellantis 2020 den nach VW zweitgrößten europäischen Autokonzern geformt. 14 Marken gehören dazu, darunter Peugeot, Citroen, Opel, Fiat, Jeep, Chrysler und Maserati. Der gebürtige Portugiese und leidenschaftliche Autorennfahrer hat das Konglomerat zum Champion der Effizienz gemacht und VW und anderen schmerzhaft vorgeführt, wie man in stagnierenden Märkten mitten im kostspieligen Umbau der Autoindustrie mit Massenautos sehr anständige Gewinne machen kann. Das ging teilweise auf Kosten der Arbeitnehmer, was zum Beispiel auch die Beschäftigten bei Opel zu spüren bekamen. Aber es ist auch sehr wahrscheinlich, dass es Opel ohne Tavares unerbittliches Vorgehen nicht mehr gäbe.
Kaum nennenswertes China-Geschäft
Mit Blick auf die erwartete Importwelle von E-Autos aus China hat es Tavares dank seines konsequenten Kostenmanagements geschafft, mit dem e-C3 als erster ein bezahlbares und ordentlich konstruiertes Elektrofahrzeug für Alltagsfahrer auf den hiesigen Markt zu bringen: Made in EU und lange bevor es ein vergleichbares Angebot aus China gibt. Wenn einer die Konkurrenz nicht scheuen muss, könnte man also sagen, dann er.
Stellantis hat zwar – anders als die deutschen Hersteller – kein nennenswertes China-Geschäft. Der chinesische Autohersteller Dongfeng als Großaktionär hat zudem seine Beteiligung auf mittlerweile nur noch gut 1,6 Prozent reduziert. Stellantis‘ Abwesenheit vom Wachstumsmarkt China war von Analysten lange kritisiert worden. Später, als die Risiken in China zunahmen und Konkurrenten wie VW belasteten, hat nicht nur Tavares selbst diese Abwesenheit als Vorzug gepriesen. Dann im Herbst eine neue Kehrtwende.
„Wir mussten agil sein und etwas an unserer Chinastrategie ändern“, erklärte Tavares. Und hat sich für 1,5 Mrd. Euro mit 21 Prozent an Leapmotor beteiligt, einem chinesischen Hersteller für günstige und eher kleine Autos. Am Tag als US-Präsident Joe Biden in den USA Strafzölle gegen China-E-Autos ankündigte, und somit den jüngsten Handelskrieg mit China einläutete, gab Stellantis bekannt, von diesem Jahr an günstige Leapmotor-Autos nach Europa zu exportieren.
Tavares soll Macron überzeugt haben, dieser wiederum von der Leyen
Also genau die Autos, vor denen Carlos Tavares seit Jahren gewarnt hatte. Tavares gilt vielen als maßgeblicher Ideengeber der Zollpläne der EU, die nun mit der Ankündigung der Brüsseler Kommission von Mittwoch ihren vorläufigen Abschluss gefunden haben. Maßgeblich Tavares habe den französischen Präsidenten Emmanuel Macron davon überzeugt, dass Maßnahmen gegen eine Importwelle chinesischer E-Autos nötig seien, heißt es.
Die Logik: Gerade Frankreichs Autoindustrie mit ihrem starken Schwerpunkt auf Kleinwagen für kostensensible Privatkäufer sei durch die anrollende chinesische Konkurrenz stark gefährdet. Macron, so die Vermutung, habe dann Druck auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausgeübt – ist doch von der Leyen bei ihren Ambitionen auf eine zweite Amtszeit maßgeblich auf Macron angewiesen.
Es gibt zwar keine direkten Belege für diese Theorie. Von den Interessen her betrachtet, ist sie aber nicht unplausibel. Und es fällt auf, dass zum ersten Mal in der jüngeren EU-Geschichte sich nicht die Deutschen durchgesetzt haben, wenn es um ein wichtiges Autothema geht. Obwohl die Berliner Regierung in Brüssel massiv gegen die Zölle interveniert hat.
Tavares hat recht offen über seine Gespräche mit Macron berichtet. Oktober 2022, ein nüchterner, neonbeleuchteter Raum am Pariser Messegelände Porte de Versailles. Tavares kommt von einem Termin mit Macron im Élysée-Palast. „Ich war sehr direkt mit ihm“, berichtet er. „Respektvoll, aber direkt.“
Er habe sich unter anderem darüber beklagt, dass den chinesischen Herstellern der Marktzutritt in Europa sehr einfach gemacht werde, während Europäer in China auf immer mehr Hindernisse stoßen. „Die Deutsche Autoindustrie wird darunter leiden“, prophezeite er mit Bezug auf die Abhängigkeit der deutschen Hersteller vom chinesischen Markt. Die Deutschen, folgt daraus, müssten Maßnahmen gegen China vielleicht fürchten – nicht aber Stellantis oder Renault, der andere Hersteller mit Schwerpunkt in Frankreich und ohne nennenswertes China-Geschäft.
Staatliche Dumping-Strategie durch China?
Dann spricht Tavares über die Gefahren der von ihm erwarteten chinesischen Importwelle und seine Erwartungen an die europäische Politik. „Etwas ist falsch mit der Freiheit in Europa“, habe er Macron gesagt. „Sie öffnen den Markt für die Chinesen“, wirft er den Europäern vor. „Dabei wissen wir nicht, ob die Marktanteile mit Verlustgeschäften abgreifen.“ Gemeint ist, dass die China-Hersteller eine staatlich subventionierte Dumping-Strategie hätten.
Es werde so laufen, wie bei den Lowcost-Airlines: Die seien gekommen, hätten mit Niedrigpreisen die Traditionsanbieter plattgemacht und zehn Jahre später das Geschäft beherrscht und die Preise hochgezogen. „Wir wollen das nicht mit den Chinesen erleben. Das ist eine sehr ernste Angelegenheit.“ So werde Europas Autobau zerstört, sagt Tavares. Die Politik rief er auf, den Problemen ins Auge zu sehen und Maßnahmen zu ergreifen, um die Autoindustrie des Kontinents zu retten.
Bald warnte auch Macron öffentlich: Die EU dürfe nicht den Fehler wiederholen, den sie gemacht habe, als sie China den Markt für Solartechnik überlassen und sich so abhängig gemacht habe. Der Pariser Wirtschaftsminister Bruno LeMaire erklärte mit Blick auf den Vorwurf, dass China E-Autos mit Subventionen künstlich billig halte: „Wenn diese Subventionen gegen das internationale Regelwerk verstoßen, müssen wir das ahnden.“
Der aus Frankreich stammende Binnenmarktkommissar Thierry Breton warb dafür, so schnell wie möglich eine Untersuchung einzuleiten. Im September darauf kündigte von der Leyen diese Untersuchung an. Diese hat nun mit dem Beschluss für Zölle ein vorläufiges Ende gefunden. Nur haben sich die Interessen des Zoll-Inspirators Tavares inzwischen verschoben.