Die Bundesnetzagentur übernimmt als Treuhänderin die Kontrolle über Gazprom Germania, die deutsche Tochtergesellschaft des russischen Staatskonzerns Gazprom. Die Anordnung diene dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am Montagnachmittag. Die Bundesregierung tue das Notwendige, um die Versorgungssicherheit in Deutschland zu gewährleisten: „Dazu zählt auch, dass wir Energieinfrastrukturen in Deutschland nicht willkürlichen Entscheidungen des Kremls aussetzen“, so Habeck.
Als Grund für die Anordnung nannte er unklare Rechtsverhältnisse und einen Verstoß gegen Meldepflichten. Die Treuhänderschaft soll als Übergangslösung vorerst bis zum 30. September gelten. Damit kann die Bundesnetzagentur Geschäftsführer bestellen und abberufen, sämtliche Stimmrechte gehen auf die Agentur über. Erst am Freitag hatte Gazprom angekündigt, seine Tochtergesellschaft aufzugeben.
Dem Ministerium sei der mittelbare Erwerb der Gazprom Germania GmbH durch JSC Palmary und Gazprom export business services LLC zur Kenntnis gelangt, heißt es in einer Pressemitteilung. Ein Erwerb durch einen Nicht-EU-Investor der Gazprom Germania hätte aber vom Wirtschaftsministerium genehmigt werden müssen. Es sei unklar, wer wirtschaftlich und rechtlich hinter den beiden Unternehmen stehe, hieß es weiter. Zudem habe der Erwerber die Liquidierung der Gazprom Germania angeordnet, was nicht rechtmäßig sei ohne Genehmigung des Erwerbs.
Zahlreiche Tochterunternehmen
Gazprom Germania spielt eine entscheidende Rolle für die deutsche Gasversorgung. Mit seinen zahlreichen Tochterunternehmen, wie zum Beispiel Astora oder Wingas. betreibt das Unternehmen Gasspeicher und Pipelines und ist im Transport aktiv.
Astora, eine 100-prozentige Tochterfirma von Gazprom Germania, betreibt unter anderem den größten Gasspeicher Deutschlands in Rehden. Eigentlich ist Rehden eine kleine, beschauliche Gemeinde in Niedersachsen, etwas mehr als 2250 Menschen leben hier. Doch 2000 Meter unter der Erde können dort auf einer Fläche von acht Quadratkilometern 3,9 Milliarden Kubikmeter Erdgas gespeichert werden.
In der Theorie ist das genug, „um zwei Millionen Einfamilienhäuser ein Jahr lang mit Erdgas zu versorgen“, wie es auf der Internetseite des Betreibers heißt. Doch gut gefüllt ist der Speicher schon lange nicht mehr. Seit einiger Zeit sinken die Füllstände, inzwischen ist der Speicher nur noch zu 0,5 Prozent gefüllt.
Astora gehört nach eigenen Angaben zu den größten Erdgasspeicherbetreibern in Europa und vermarktet ein Erdgasspeichervolumen von rund sechs Milliarden Kubikmetern. Damit entfällt rund ein Viertel der gesamten deutschen Erdgasspeicherkapazitäten auf das Unternehmen. Neben Rehden betreibt Astora Speicher im niedersächsischem Jemgum und im österreichischen Haidach.
Wingas dagegen gehört mit einem Marktanteil von rund 20 Prozent nach eigenen Angaben zu den größten Erdgasversorgern Deutschlands und betreibt zusätzlich zu Erdgasleitungen ein rund 3000 Kilometer langes Glasfaserkabelnetz.
Beteilungen an weiteren Unternehmen
Neben den 100-prozentigen Tochterunternehmen hält Gazprom Germania weitere Beteiligungen an wichtigen Infrastrukturunternehmen in der Gasversorgung. Die Wiga Transport Beteiligungs GmbH & Co. KG ist ein Gemeinschaftsunternehmen von Gazprom Germania und Wintershall Dea.
Mario Mehren, Vorstandsvorsitzender der Wintershall Dea, sagte Anfang März, das Fundament der Arbeit in Russland sei in den Grundfesten erschüttert worden. „Der Vorstand von Wintershall Dea analysiert die Situation bereits sehr sorgfältig, einschließlich der rechtlichen Implikationen“, hieß es weiter.
Ein brisantes Detail: Ein Drittel der Stammaktien des Unternehmens gehört dem russischen Oligarchen Michail Fridman. Die Wiga betreibt zwei große Pipelines, die Nord Stream 1 mit Leitungen in Nord-, West- und Mittel-Europa verbinden.
Ein Tochterkonzern der Wiga wiederum ist Gascade, einer der wichtigsten Gas-Verteilnetzbetreiber Deutschlands. Auf seiner Internetseite betont das Unternehmen, das Transportgeschäft unterliege keinem Einfluss der Gazprom-Gruppe oder dem eines anderen Anteilseigners.
Die europäischen Tochterunternehmen von Gazprom gerieten vor der Ankündigung der Bundesregierung zunehmend unter Druck. Denn auch, wenn sie von den Sanktionen bislang ausgenommen sind, wirkt ihre Verbindung nach Russland doch abschreckend: Wie Bloomberg berichtet, vermeiden es Kunden und Geschäftspartner bereits, Geschäfte mit ihnen zu machen.