Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Klaus Müller, bislang Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, kennen sich lange. Beide sind Mitglied der Grünen und haben in Schleswig-Holstein als Umwelt- und Landwirtschaftsminister grüne Politik gemacht – Müller von 2000 bis 2005, Habeck übernahm das Amt zwischen 2012 und 2018.
Dass Habeck als zuständiger Minister nun seinen Parteifreund Müller zum Chef der Bundesnetzagentur machen will, kommt daher wenig überraschend. Zumal der Posten in Zukunft eine noch größere Rolle spielen wird. Schon heute ist die Regulierungsbehörde einflussreich und spielt eine Schlüsselrolle beim Ausbau der Energieinfrastruktur. In den kommenden Jahren soll sie weitere Kompetenzen erhalten.
Wettbewerb regeln
Die Bundesnetzagentur sitzt in Bonn und ist eine der wichtigsten Regulierungs- und Aufsichtsbehörden in Deutschland. 1998 ging sie an den Start und war zunächst für Post und Telekommunikation zuständig. Ihre Mitarbeitenden sollten sicherstellen, dass zwischen den Marktteilnehmern ein fairer Wettbewerb bestand. Seit 2006 überwacht sie zudem den Eisenbahnsektor.
Entscheidend dürfte gerade jetzt ihre Zuständigkeit für Teile des Energiemarktes sein. Seit 2013 führt die Behörde unter anderem Planfeststellungsverfahren für länder- und grenzüberschreitende Stromtrassen durch. „Der Bundesnetzagentur kommt bei den Vorhaben der Ampel-Regierung in den nächsten Jahren eine entscheidende Rolle zu, vor allem bei der Energiewende“, sagt der Regulierungsrechtler und Experte für Energierecht Christian von Hammerstein zu Capital. Müller werde „eine Menge zu tun haben, das Aufgabenfeld der Behörde ist riesig“.
Für Habeck ist es in jedem Fall von Vorteil, wenn bald jemand die Behörde führt, der in der Klima- und Energiepolitik ähnlich denkt. „Klaus Müller ist ein überzeugter Befürworter der Energiewende, der den Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Netze mit großem Engagement und klarem Kurs forcieren wird“, sagte Habeck nach der Nominierung. Die Bundesnetzagentur sei eine wichtige Akteurin, um Planungsprozesse zu beschleunigen und auf CO2– und Kosteneffizienz zu achten.
Erste Großbaustelle: Nord Stream 2
Im breiten öffentlichen Interesse steht die Bundesnetzagentur vor allem seit ihrem Einspruch bei der umstrittenen Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2. Als zuständige Behörde muss sie die Inbetriebnahme genehmigen, doch genau da schob sie im November den Riegel vor und verlangte von der Nord Stream AG die Gründung einer deutschen Tochtergesellschaft. Seither ist der Zertifizierungsprozess ausgesetzt.
Die Pipeline ist damit eine der ersten Großbaustellen, die der künftige Behördenchef Müller vor sich haben wird. Sobald das Unternehmen die Unterlagen vorlegt, muss die Bundesnetzagentur weiter prüfen. „Müller wird bewerten müssen, ob die Auflagen erfüllt worden sind“, sagt Jurist von Hammerstein. „Die EU-Kommission wird danach auf sein Urteil reagieren. Die letzte Entscheidung liegt aber bei ihm.“
Für den Fall, dass Russlands Streitkräfte tatsächlich in der Ukraine einmarschieren sollten, müsste Müller allerdings beweisen, dass er sein politisches Handwerkszeug nicht verlernt hat. Denn dann wäre ein Start für Nord Stream 2 kaum noch politisch vermittelbar. Ob und wie Müller das Pipelineprojekt allerdings rechtssicher stoppen könnte, wenn alle Unterlagen korrekt vorliegen, ist fraglich.
Post-Ärger und Streit um 5G
Nord Stream 2 ist nicht das erste Mal, dass die Bundesnetzagentur im Fokus einer großen Öffentlichkeit steht. 2019 wurde Kritik an ihr laut, als sie die Frequenzen für den neuen Mobilfunkstandard 5G versteigerte. Als der zuständige Abteilungsleiter mitten in der Auktion in den Ruhestand verabschiedet wurde, rief das damals die Netzbetreiber auf den Plan. Telekom, Vodafone und Telefónica warfen der Behörde handwerkliche Fehler vor und beschwerten sich beim Bundeswirtschafts- und Verkehrsministerium. Beide Ministerien sind für die Bundesnetzagentur zuständig.
Bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern, für die die Bundesnetzagentur ebenfalls zuständig ist, sorgte in den Vergangenheit die Erhöhung des Briefportos für Ärger. Konkurrenzverbände der Deutschen Post haben der Behörde unter ihrem bisherigen Chef Jochen Homann vorgeworfen, dass das Briefporto in den vergangenen Jahren im Rekordtempo gestiegen sei.
Tatsächlich entschied das Bundesverwaltungsgericht 2020, dass die Bundesnetzagentur das Briefporto 2016 zu Unrecht genehmigt habe. Damals hatte sie der Deutschen Post erlaubt, für Standardbriefe 70 statt 62 Cent zu verlangen.
Lobbying in Bonn statt Berlin
Der Noch-Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) dürfte künftig in der Bundesnetzagentur die Verbrauchersicht stärker berücksichtigen. „Er hat als Verbraucherschützer wortmächtig Stellung bezogen“, so von Hammerstein. Im großen Diesel-Musterprozess war der VZBV unter Müller Gegenspieler zu VW.
Diesen Einfluss könnte er als Chef der Bundesnetzagentur ausbauen. Denn es stehen einige Entscheidungen an, die seine Rolle stärken würden. Der Regierungsrechtler erklärt: „Die Bundesregierung muss das Energiewirtschaftsgesetz dieses Jahr reformieren. Der Handlungsspielraum der Bundesnetzagentur wird sich dadurch erheblich vergrößern. Das bedeutet einen Machtzuwachs bei Müllers künftiger Behörde.“
Hintergrund der Reform des Energiewirtschaftsgesetzes ist auch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aus dem Herbst. Die Richterinnen und Richter erklärten damals weite Teile des deutschen Energierechts für EU-rechtswidrig. Als Reguliererin ist die Bundesnetzagentur davon direkt betroffen.
Jurist von Hammerstein hält in diesem Zuge eine Neuordnung der Behörde für notwendig, vor allem wenn es um den Beirat geht, der beratende Funktion hat. „Aus meiner Sicht widerspricht dieses Gremium den europäischen Vorgaben. Die Bundesnetzagentur muss laut Europäischem Gerichtshof staatsfern sein. Im Beirat sitzen aber Politikerinnen und Politiker.“
Sollte die Bundesnetzagentur tatsächlich mehr Gestaltungsspielraum bekommen, werden sie und ihre derzeit 3000 Mitarbeitenden für Lobbyverbände zunehmend interessant werden. „Die Bundesnetzagentur wird politischer“, prophezeit von Hammerstein. In Zukunft werde in Bonn statt in Berlin lobbyiert.